Grättimensch – Süße Teigfigur zum Nikolaustag Land & Leute | 05.11.2023 | Heidi Knoblich

GRÄTTIMENSCH

Wenn der Santiklaus naht, ist der Grättimaa nicht weit: In Basels ältester Bäckerei tanzt das lustige Hefeteigmännlein pfiffig aus der festen Geschlechterrolle

Es ist „Santiklaus“, wie in Basel der 6. Dezember heißt, halb sechs Uhr in der Früh und stockdunkel. Hinter dem beschlagenen Schaufenster des fast 300 Jahre alten Backlädelis der Bäckerei KULT nahe dem Kleinbasler Rheinufer stapeln sich in Körben frisch gebackene, duftende Grättimenschen in undenklich vielen Variationen. Jeder davon ein Unikat.

„Als wir vor sieben Jahren die Bäckerei übernommen haben, fragten wir uns, warum das leckere Gebäck die Form eines Männleins hat und ob eine Grättifrau nicht auch gut schmecken würde“, erzählt Lea Gessler, Mitgründerin und Co.-Chefin der alten Bäckerei, die sie mit zwei Schulfreunden und frischen Ideen vor dem drohenden Konkurs gerettet hat. Tatsächlich ist für das Jahr 1549 aus Zürich ein „fröwli“, ein „Fraueli“, belegt, lange bevor der heutige Grättimaa auftauchte. „Zuerst haben wir in den verschiedenen Größen je einen Grättimaa und eine Grättifrau angeboten. Daraus wurde mit der Zeit eine ganze Grättifamilie. Doch nun wollen wir das klassische Familienmodell und die Rolle der Geschlechter nicht mehr als einzige Wahrheit in unseren Teig backen. Unsere Grättimenschen dürfen den gesellschaftlichen Rahmen durchbrechen, der Frauen und Männern vorgibt, wie sie auszusehen und sich zu verhalten haben“, berichtet die 35-Jährige.

Der Mensch aus Teig hat viele Namen

So hat jeder dieser Grättimenschen verschiedene Merkmale, die man sowohl als männlich als auch als weiblich lesen kann. „Vielleicht ist es ein Mann mit Zöpfen, der heute Lust hat, einen Rock zu tragen“, sagt sie. „Vielleicht ist es eine Frau mit kurzen Haaren, die für Sankt Nikolaus den großen Bischofsstab trägt.“ Nimmt man’s genau, trägt selbst der Grättimann, abgesehen von seinem Namen, selten männliche Beigaben. Namen hat er indessen viele: Weckmann, Dambedei auf der badischen Seite des Rheins, Elggermaa, Chläus, Grättimaa und Grittibänz in der Schweiz, um nur einige zu nennen. Bänz ist die Abkürzung für den Namen Benedikt, der in der Schweiz einst so weit verbreitet war, dass Bänz gleichbedeutend für Mann wurde. Die Silben „Grätti“ und „Gritti“ weisen auf seine gegrätschten Beine hin, ein alles verbindendes Merkmal, auch bei den Grättimenschen der Bäckerei KULT.

Grättimenschen vor dem Backen

Die Grättimenschen der Bäckerei KULT gibt es vom 21. November bis zum 13. Dezember. Danach wird das Gebäck in Form von fein dekorierten Grättitannen verkauft.

„Bei uns im Elsass heißen sie Mannala, Männchen“, erzählt der Elsässer Bäcker Yassine Hamdellou, der seit Mitternacht Grättimenschen geformt und im alten Ofen gebacken hat. „Dort ist es zwar auch ein Hefeteig wie hier, doch hier kommen viel mehr Butter und viel mehr Eier hinein.“ Der aus Bayern stammende Produktionsleiter Sebastian Przybilla hat derlei „witzige Figuren“, wie er sagt, zuvor nicht gekannt. Beim Backen entfaltet er seinen Spieltrieb. „Wir können hier unserer Kreativität freien Lauf lassen“, sagt er.

Mitarbeiter in die Produktion miteinzubeziehen, ist Teil der KULT-Philosophie. Daneben gilt: Nur „ehrliche“ Rohstoffe verwenden. Viel Liebe und Butter. Allen Teigen viel Zeit geben. Sorgfältige Handarbeit. Den Kunden mit Herzlichkeit begegnen. Die stehen für die frisch gebackenen, fluffigen Wesen mit den Rosinenaugen gerne an, um sie mit Butter bestrichen in den dampfenden Kakao zu tunken. Die morgendliche Schlange vor dem Backlädeli reicht bis auf den Gehweg hinaus.

Info

Bäckerei KULT
Riehentorstraße 18,
CH-4056 Basel
Tel.: + 41 61 692 11 80 (14 – 17 Uhr)
www.baeckereikult.ch
Di.–Fr. 6.30–18.30 Uhr,
Sa. 8–16 Uhr, So. 8–14 Uhr

Fotos: © Bäckerei Kult; Heidi Knoblich