Müller-Handwerk in der REGIO: Tradition im Aufwind Land & Leute | 15.11.2022 | Philip Thomas

Mühlenzahnräder

Explodierende Energiepreise setzen das produzierende Gewerbe unter Druck. Historische Mühlen bilden eine Ausnahme: Müllermeister in der REGIO arbeiten wie vor Hunderten von Jahren mit der Kraft des Wassers und stellen hochwertige Mehle her.

Stadtmühle Elzach

Mehl und Mahlstein wurden Simon Gehring praktisch in die Wiege gelegt. Sechs Generationen lang ist die Stadtmühle Elzach in Familienbesitz. Seit seiner Kindheit hilft der mittlerweile 33-jährige Müllermeister im Betrieb aus. 2013 gewann Gehring die Wahl zum Bundessieger im Müllerhandwerk. Nächstes Jahr soll er den Betrieb vom Vater übernehmen.

Und damit auch Historie und Handwerk. In der erstmals 1315 als „Mile“ erwähnten Stadtmühle mit Grundmauern aus dem Jahr1606 – so steht es über der Eingangstür – dreht sich noch heute ein altes Wasserrad. „Das bringt nur ein paar Pferdestärken, aber viel Drehmoment“, sagt Gehring. Dieses Jahr standen die gusseisernen Zahnräder allerdings immer wieder still. „Der Sommer war außergewöhnlich trocken“, kommentiert Gehring. 

Simon Gehring

Dreht am Rad: Simon Gehring stellt den Mahlgrad ein.

Mit genug Nass aus dem Mühlenbach läuft die Wasserkraft über Riemen in den zweiten Stock. Zwei Mahlsteine drehen dort jährlich rund 400 Tonnen Getreide zu Mehl, Futtermittel oder Backmischungen. Gehring lässt das Getreide dabei nur selten aus den Augen. „Beim Mahlgrad justiere ich immer wieder mal nach“, sagt er. Um Vitamine und Eiweiße nicht zu beschädigen, behält der Müllermeister auch die Temperatur der Steine im Blick.  

Am Müllerhandwerk selbst habe sich seit Hunderten von Jahren nicht viel verändert. „Ich könnte auch mit Tablet durch die Mühle rennen, aber das Prinzip ist das gleiche“, sagt Gehring. Bloß bei der Verpackung setzt er auf Technik aus diesem Jahrhundert. Eine moderne Abfüllungsanlage verpasst Mehlen, Nudeln, Müsli oder Backmischungen den letzten Schliff. 

Einen anderen Beruf konnte sich Gehring nach dem Abitur nicht vorstellen. „Ich habe den ganzen Tag mit einem Naturprodukt zu tun, die Arbeit ist technisch anspruchsvoll und breit gefächert. Außerdem reizt mich das Kreative, etwa beim Ausprobieren neuer Mischungen.“ Es mache ihn stolz, dieses Handwerk in seiner Heimat fortzuführen. Ein Ende ist nicht in Sicht: „Man lernt schließlich nie aus.“

 

Adler Mühle in Bahlingen

Der Wecker von Linus Spiegelhalder klingelt um 6 Uhr. Eine Stunde später steht der Inhaber auf der Schwelle seiner Adler Mühle in Bahlingen. Am Eingang des Geländes lehnt noch ein alter, leicht rankenbewachsener Mühlstein. Seit mindestens 700 Jahren wird an diesem Ort am Kaiserstuhl Mehl gemahlen. „Wie alt die Mühle genau ist, weiß keiner genau“, sagt der 54-Jährige. Erstmals urkundlich erwähnt ist sie in einem Dokument vom 4. Juli 1310. 

Das rund 50 Meter hohe Getreidesilo der Mühle ist deutlich jünger. 1000 Tonnen fasst der silberfarbene Zylinder. Im Sommer kommen Traktoren aus Eichstetten, Riegel oder Endingen und befüllen ihn mit wertvoller Fracht: Weizen, Roggen und Dinkel im Wert von rund 150.000 Euro warten derzeit gekühlt und belüftet auf ihre Weiterverarbeitung in der Mühle. Insgesamt 500 Tonnen verarbeitet der Betrieb jedes Jahr.

Linus Spiegelhalder

Setzt auf Technik aus den 60er-Jahren: Müller und Maschienenbau-Ingenieur Linus Spiegelhalder.

Auf die kurzen Transportwege sowie die Qualität des Getreides legt der 54-Jährige Wert. „Die Rohware muss stimmen, Chemie gibt es bei uns nicht“, betont er. Seit Jahrzehnten vertraue die Adler Mühle, selbst kein Agrarbetrieb, auf einen engen Stamm von Landwirten. Der Ertrag dieses Jahr sei gut gewesen. „Im Winter feucht, im Sommer trocken“, so Spiegelhalder, der das Wetter eines Jahres am Getreide – und der resultierenden Qualität des Mehls – abliest.

Gemahlen wird es zu großen Teilen mit der Kraft der Natur. Bis heute wird die Adler Mühle über Dreisamwasser, das sich im Mühlkanal am Ortseingang sammelt, angetrieben. Rund 30 Kilowattstunden bringt der angeschlossene Generator der Mühle. Im Sommer setzt der Betrieb auf Sonne: Vor fünf Jahren ließ der Maschinenbau-Ingenieur eine Fotovoltaik-Anlage auf dem Dach der Mühle anbringen. „Das macht uns über das Jahr relativ energieunabhängig“, sagt er. 

In der Mühle selbst rotiert Technik aus den 60er-Jahren. Mikrochips sucht man vergebens. „Es sieht archaisch aus, hat aber den Vorteil, dass es weniger anfällig ist“, erklärt Spiegelhalder. 12 Lederriemen ziehen sich durch Schlitze in der Decke und verbinden die Antriebsscheiben im Gewölbe mit dem zweiten Stock. 

Chaos mit System

Dort stehen sechs Maschinen mit je zwei Mahlwerken. Die Walzen laufen unterschiedlich schnell, durch Reibung zerkleinern sie pro Durchlauf knapp 15 Tonnen Getreide aus einem komplexen Rohrsystem, das sich durch vier Stockwerke bis unter das Dach der Mühle zieht. „Es sieht chaotisch aus, die Sache hat aber System“, lacht Spiegelhalder. 

Mit Unterdruck wird der Schrot durch die Leitungen hindurchgesogen. Schließlich fällt das Weiß auf siebzehn verschiedenmaschige Siebe – fünfzehn Mal –, bis eine bestimmte Partikelgrößte erreicht ist. Es sei eine Herausforderung, diesen Apparat am Laufen zu halten. „Fällt eine Komponente aus, steht die gesamte Maschine still“, so der Ingenieur.

Auch hinter der Mühle wurde die letzten fünf Jahre gewerkelt. Eine 2021 fertiggestellte Fischtreppe stellt die ökologische Durchlässigkeit des Mühlkanals sicher. Dadurch geht zwar die ein oder andere Kilowattstunde den Bach runter, diese Verantwortung nimmt Spiegelhalder aber an: „Das ist ein wichtiger Beitrag.“ Das nächste Projekt sei noch nicht in Sicht. Aber wie die Mühle steht auch ihr Müller nicht lange still: „Mir fällt sicher irgendwas Neues ein.“ 

Fotos: © Philip Thomas