Massenenteignungen sind vom Tisch: Deal am Dietenbach bald in trockenen Tüchern STADTGEPLAUDER | 31.03.2018 | Lars Bargmann

Nach schleppendem Start hat der Zug für die Entwicklung des neuen Freiburger Stadtteils Dietenbach nun Reisegeschwindigkeit erreicht: Von dem 130 Hektar großen Plangebiet zwischen Rieselfeld und dem Autobahnzubringer gehören 80 Hektar Acker, mithin rund 110 Fußballfelder, privaten Eigentümern. Mehr als 400.

Das Freiburger Rathaus hat diesen anfangs pro Quadratmeter gutachterliche 15 Euro angeboten. Das lockte kaum jemanden hinter dem Ofen vor. Dann kam die Freiburger Sparkasse und bot 64 Euro plus 1. Diese Offerte haben mittlerweile 80 Prozent der Besitzer akzeptiert. Ob es am Ende ganz ohne Enteignung gehen wird, ist aber noch offen. „Wer finanziell schmerzfrei oder ideologisch fest im Glauben verankert ist, der lässt es eben drauf ankommen“, sagte Oberbürgermeister Dieter Salomon unlängst vor Journalisten.

Zehn Hektar fehlen noch, um die Planungen im Dietenbach, wo mal bis zu 13.000 Menschen in gut 5000 Wohnungen leben sollen, weiter voranzutreiben. Wenn deren 40 Besitzer nicht freiwillig verkaufen, werden sie enteignet. Das ist die klare Botschaft der Rathausspitze. Wie das geht, erklärte der neue Dietenbach-Projektgruppenchef Rüdiger Engel: Erst werden Briefe geschrieben, dann gibt es eine mündliche Verhandlung vor der Enteignungsbehörde im Regierungspräsidium. Wenn da immer noch keine Einigung möglich ist, wandert das Verfahren vor die Gerichte, notfalls bis vors Bundesverwaltungsgericht. „Das haben wir aber in der Stadt Freiburg in den vergangenen 35, 40 Jahren nicht gehabt“, so Engel. Bisher sei immer ein Kompromiss gefunden worden. Verschleppen können die Unwilligen die Bebauung auch nicht, es gebe das Instrument einer „vorzeitigen Besitzeinweisung“. Man werde sich jedenfalls von ein, zwei Eigentümern „nicht ausbremsen lassen“, sagte Baubürgermeister Martin Haag. Die Folterwerkzeuge liegen seither offen auf dem Tisch.

Es gibt sogar eine Anti-Pokerface-Regel, die nur nicht so heißt: Wer später verkauft, bekommt nicht einen Cent mehr. So stehe es in den Optionsverträgen, erklärte Rechtsanwalt Thomas Burmeister, der die verkaufswilligen Eigentümer vertritt und nicht unschuldig am erfolgreichen Kooperationsmodell ist.

Wer noch in diesem Jahr auf den Kooperationszug aufspringt, der bekommt zu den 64 bis einschließlich 2020 noch jährlich einen Euro pro Quadratmeter obendrauf. Da das Rathaus Grundstücke in Nähe des fließenden Dietenbachs für Ausgleichsarbeiten und Hochwasserschutz als Erste braucht, kriegen deren Eigentümer sofort zehn Euro. Den Rest gibt es erst nach Abschluss eines Kaufvertrags im Jahr 2020.

Insgesamt soll der neue Stadtteil mit Schulen, Straßen und Stadtbahn nach heutiger Planung 614 Millionen Euro kosten. Ob diese Zahl auch am Ende der Entwicklung steht? „Heute sind, was die Wirtschaftlichkeit angeht, noch viele Fragen offen“, sagt Sparkassen-Chef Marcel Thimm. Seine Bank will an den Grundstückskäufen und -verkäufen nichts verdienen – aber später natürlich die Bauträger finanzieren.

Was und wie diese bauen, liegt im groben Maßstab seit Anfang Februar vor. Da hatte ein Preisgericht aus 28 Bewerbern vier Architektenentwürfe ausgewählt, die derzeit optimiert werden. „Alle vier sind nicht nur städtebaulich gut, sie sind auch wirtschaftlich“, so Haag. Bei der Präsentation der Entwürfe sprachen er und der Preisgerichtsvorsitzende Franz Pesch davon, dass es keine richtig hohen Hochhäuser geben würde, was hernach auch in der lokalen Presse stand. Wer sich die Entwürfe genau anschaut, stellt fest, dass das Freiburger Büro K 9 ein 20-geschossiges Gebäude plant sowie neun 12-Geschosser, das Züricher Büro Hosoya ein Haus mit 16 Stockwerken. Die beiden anderen ausgewählten, das Berliner Studio Wessendorf und das Büro Cityförster aus Hannover, haben maximal achtgeschossige Baukörper gesetzt. Ohne eine hohe Dichte wird ein wirtschaftlicher Stadtteil nicht zu haben sein.

Die Folterwerkzeuge sind übrigens nur dann zu gebrauchen, wenn es im Stadtteil auch preiswerten Wohnbau gibt. Das erfordere eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme, die die Bedingung für die drohenden Enteignungen Privater zum Wohle der Allgemeinheit wäre, erklärte Engel. Zunächst muss der Gemeinderat eine Entwicklungssatzung beschließen, was vor der Sommerpause geplant ist. Es ist Dampf auf dem Kessel. Dass die Bürgerinitiative „Pro Landwirtschaft und Wald in Freiburg-Dietenbach & Regio“ unlängst vor dem Bürgerhaus in Zähringen wieder mit 40 Menschen eine Schilderdemonstration gegen die Bebauung inszenierte, wird den Zug nicht aufhalten.

Fotos: © Hosoya Schaefer mit Agence Ter; BI pro Landwirtschaft

Champions-League in der Stadtplanung

Die besten Entwürfe für den neuen Stadtteil Dietenbach

Für Franz Pesch, den Vorsitzenden des Preisgerichts zum städtebaulichen Wettbewerb um den neuen Stadtteil Dietenbach, war die Qualität der vorgelegten Arbeiten „Bundesliga und Champions League.“ 28 Büros hatten sich der Aufgabe gestellt, vier sind von einer 36-köpfigen Jury als beste ausgezeichnet worden. Eine Bewertung.

Die Aufgabe: Einen neuen Stadtteil im Freiburger Westen zu entwerfen, der Lösungen für die Einbettung der Fläche in den vorhandenen Kontext, die Verzahnung von Freiräumen und Gebäuden mit mindestens 5000 Wohnungen, den öffentlichen und individuellen Nahverkehr, für Radwege und ruhenden Verkehr, verschiedene Gebäudetypen, ein Stadtteilzentrum anbietet sowie – das ist im Auslobungstext fett gedruckt – „die Vereinbarkeit von Wirtschaftlichkeit mit höchstmöglicher städtebaulicher Qualität und rechtssicherer Planung“ erreicht. Das Plangebiet zählt aktuell zwar zu den größten in Deutschland, aber nicht zu den kompliziertesten“, sagt Pesch.

1) Der Entwurf von K 9 Architekten aus Freiburg mit Latz+Partner Landschaftsarchitektur Stadtplanung aus Kranzberg: Die Bewerber haben die Dietenbach-Aue deutlich aufgewertet, zusätzlich aber auch den Käslebach mit einbezogen. Die neue Stadteilmitte, etwas klein vielleicht, liegt genau zwischen diesen Freiräumen. Das Alleinstellungsmerkmal ist ein 20-geschossiges Gebäude im Norden sowie weitere, kräftige Hochpunkte, die die Ränder des Quartiers akzentuieren. Im Inneren, wo unterschiedliche Wohnformen möglich sind, geht es dafür etwas flacher zu.

2) Der Entwurf vom Berliner Studio Wessendorf mit dem Berliner Atelier Loidl Landschaftsarchitekten: Der „Geniestreich“, so Pesch, ist ein terrassiertes Zentrum. Zudem schafft der Entwurf ein hohes Angebot an grünen Innenhöfen. Und er verbindet den neuen Stadtteil geschickt mit dem Rieselfeld, indem er einen Keil mit Schulen bis an die terrassierte Mitte führt, die sich zur Dietenbach-Aue öffnet.

3) Der Entwurf (s.o.) von Hosoya Schaefer Architects aus Zürich mit Agence Ter Landschaftsarchitekten, Karlsruhe/Paris: Die Arbeitsgemeinschaft schafft es, durch die Ausbildung von Miniquartieren im Quartier eine hohe Durchmischung von Gebäudetypen und damit indirekt auch der künftigen Nutzer zu ermöglichen. Deswegen steht er unter dem Motto „Unsere Nachbarschaften in Dietenbach“. Dietenbach und Käslebach sind wieder als Naherholungszonen gestaltet, das neue Zentrum aber zu mickrig geraten.

4) Der Entwurf von Cityförster architecture+urbanism (Hannover), Felixx Landscape Architects&Planners (Rotterdam) und R+T Ingenieure Verkehrsplanung, Darmstadt: Schon auf den ersten Blick hebt sich dieser Entwurf ab, weil er es gar nicht darauf anlegt, klare Kante zu zeigen, sondern sehr locker Freiräume, Straßen und Wohnbebauung miteinander mischt. Man könnte ihn als den natürlichsten Entwurf ansehen. Gleichwohl sei er „städtebaulich sehr durchdacht“, so Pesch. In der Struktur entstehen mehrere Quartiere aus gemischten Gebäudetypen.

Das Fazit: „Wir kriegen eine höhere Dichte als im Rieselfeld“, sagte Baubürgermeister Martin Haag. „Die vier Entwürfe haben es geschafft, keine Monostrukturen zu kreieren und auch Landschaftsnähe zu zelebrieren“, so Pesch. Aktuell verbessern die Preisträger (insgesamt gab es 225.000 Euro) ihre Arbeiten. Am Ende wird ein Büro als Sieger durchs Ziel laufen.

Fotos: © K9 Architekten mit Latz+Partner; Studio Wessendorf mit Atelier Loidl; Cityförster mit Felixx und R+T Ingenieure