Medizin statt Droge: Erste Cannabis-Arztpraxis in Freiburg eröffnet / Kritik von ACM STADTGEPLAUDER | 19.02.2022 | Liliane Herzberg

Rezeption der Algea Care Freiburg

Seit 2017 ist „Cannabis als Medizin“ per Gesetz legal. Eingesetzt wird das Medikament dennoch zu selten, findet Arzt Julian Wichmann. Er hat 2020 das auf die Cannabis-Therapie spezialisierte Unternehmen Algea Care gegründet. 20 Standorte hat es bundesweit, nun gibt es auch in Freiburg eine Praxis. Unumstritten ist das Konzept nicht, doch die Nachfrage ist hoch.

Wieder arbeiten gehen, das Studium fortsetzen, die Scheidung abblasen: Nicht selten verändert sich das Leben von Patienten und Patientinnen mit chronischen Leiden durch eine Cannabis-Behandlung grundlegend, berichtet Wichmann. Das Problem: Der Weg dorthin ist oft holprig. Interessierte wissen nicht, an wen sie sich wenden können, Krankenkassen lehnen Anträge ab, nicht alle Apotheken ­haben Cannabis-Präparate im Sortiment. „Da setzen wir mit Algea Care an. Wir schaffen Zugang zu Informationen, klären auf über Erfolgschancen sowie Nebenwirkungen und ermöglichen die Behandlung mit natürlichen Cannabis-Medikamenten“, erklärt Wichmann.

An der Freiburger Hornusstraße hat sein junges Unternehmen im ­November eine Praxis mit drei Ärzt·innen eröffnet. Spoiler: Für durchschnittliche Kifferinnen oder Patienten mit kleineren Beschwerden lohnt sich der Weg dorthin nicht. Es braucht eine chronische Erkrankung, um für die Therapie infrage zu kommen. „Cannabis ist kein Medikament der ersten oder zweiten Wahl. Es ist also klar, dass es nichts für gelegentliche Kopfschmerzen ist“, so der 36-jährige Experte.

Wenn medizinisches Cannabis jedoch zur Auswahl steht, ist es vielseitig anwendbar: von Schmerzerkrankungen über psychische oder entzündliche Leiden hin zu Übelkeit, Appetitlosigkeit oder neurologische Erkrankungen. Oft reicht dabei bereits eine niedrige Dosis: „Manchmal kann man schon mit 0,1 Gramm Cannabis pro Tag arbeiten. Und häufig muss es auch gar nicht gesteigert werden“, erklärt der Algea-Care-CEO.

Julian Wichmann

Julian Wichmann, Gründer von Algea Care: Setzt seit November auch in Freiburg auf Cannabis als Medikament.

Dadurch gebe es auch weniger Nebenwirkungen. Unerwünschte Effekte seien etwa Mundtrockenheit oder Schwindelgefühle. „Schwere Nebenwirkungen wie eine Psychose kommen häufig aus der Drogenmedizin, also einem unkontrollierten Markt.“ Die größte Gefahr, eine Psychose in der Cannabis-Therapie zu kriegen, bestünde dann, wenn Patienten davor bereits unter der Erkrankung litten. Auch deshalb seien die ärztliche Anamnese und Betreuung besonders wichtig.

Wer das Gefühl hat, für eine Cannabis-Therapie infrage zu kommen, der kann auf der Algea-Care-Website einen medizinischen Fragebogen ausfüllen. Lohnt sich die Behandlung nach Einschätzung des Ärzte-Teams, folgt ein Erstgespräch. Der weitere Verlauf geht online per Videosprechstunde über die Bühne: „Für Patientinnen zum Beispiel mit Angststörungen bedeutet jeder Arztbesuch Stress“, erklärt Wichmann.

Unter anderem deshalb setzt der CEO auf Telemedizin. 120 Euro kostet das Erstgespräch, die folgenden vier Beratungen zwischen 100 Euro bis 140 Euro pro Termin. Danach sinken die Kosten auf unter 100 Euro. Private Kassen erstatten die Behandlung, alle anderen müssen tief in die eigene Tasche greifen.

Die Nachfrage ist dennoch da – bundesweit zählt das Unternehmen mit Hauptsitz in Frankfurt am Main mehr als sechstausend Patienten, in Freiburg sind es bereits über hundert. Trotz Erfolg erntet das Unternehmen durchaus auch Kritik: In einer Pressemitteilung hat die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. (ACM) Algea Care vorgeworfen, den Patient·innen überhöhte Rechnungen auszustellen, dabei gegen die ärztliche Gebührenordnung zu verstoßen und Leistungen abzurechnen, die gar nicht erbracht wurden.

Wichmann sieht das als ungerechtfertigt: „Die Kritik entlädt sich an Dingen, die nicht immer durch uns primär verursacht oder lösbar sind.“ Für ihn sei das tägliche Feedback von Patienten, Ärzten und Patientenverbänden ausschlaggebend. Und das sei durchweg positiv. „Ich bin überzeugt, dass Algea Care bisher einen starken positiven Impact hatte und so zur Verbesserung der Versorgungslage beiträgt.“

Fotos: © Algea Care