3500 Euro und immer noch kein Lappen: Noch nie sind beim Führerschein so viele durchgerasselt Mobilität | 20.05.2024 | Till Neumann & Philip Thomas

Leider nicht bestanden. Rund zwei Millionen theoretische Führerscheinprüfungen wurden 2023 in Deutschland abgelegt. Fast jeder Zweite fiel durch. Auch Daniel Müller (Name geändert) tat sich schwer: Er hat die praktische Prüfung gleich fünf Mal verhauen. Experten nennen die Gründe für die alarmierenden Zahlen.
„Wahrscheinlich die Nerven“
Daniel Müller erzählt erstaunlich gelassen von seinem Schlamassel: „Wahrscheinlich war ich einfach nicht so gut vorbereitet.“ Gleich fünf Mal ist er seit Juni durch die praktische Prüfung gerasselt. Einmal fuhr er auf der Autobahn über eine durchgezogene Linie, einmal parkte er falsch ein, ein andermal missachtete er das Rechts-vor-Links. Doch seinem Fahrlehrer will der 20-jährige BWL-Student aus Frankfurt am Main keinen Vorwurf machen: „Wahrscheinlich haben da einfach bisschen die Nerven reingespielt.“
Immerhin: Die Theorie hat Müller beim ersten Mal bestanden. Das hat 2023 nur knapp jeder Zweite in Deutschland geschafft. 42 Prozent sind laut TÜV durchgefallen. So viele wie nie zuvor. 2014 war es „nur“ jeder Dritte (32 Prozent).
Jeder Zweite fällt durch die Prüfung
„Die Theorieprüfung ist wesentlich schwieriger geworden“, erklärt Jochen Klima, Vorsitzender des Fahrlehrerverbands Baden-Württemberg, die Zahlen. Stumpfes Auswendiglernen führe heute nicht mehr zum Führerschein. Verkehrsregeln müssten heutzutage nicht nur wiedergegeben, sondern auch angewandt werden. Und auch der Fragen-Pool hat sich über die Jahre von 800 auf aktuell rund 1300 vergrößert. Die praktische Fahrprüfung ist seit 2021 mit 55 Minuten veranschlagt und dauert damit länger als zuvor.
„Prüfungen haben heute den Charakter von Trial and Error“, so Klima – auch weil die Prüfungen mittlerweile beliebig oft wiederholt werden. Zuvor wurden Prüflinge bei dreimaligem Durchrasseln noch mit einer dreimonatigen Sperre belegt. Das ruft auch Betrüger auf den Plan: „Es scheint eine hohe Dunkelziffer zu geben“, sagt Klima. Zwei Betrugsmaschen seien bekannt: „Entweder schicken die Betrüger jemanden zur Prüfung, der ihnen ähnlich sieht, oder die Leute sind verkabelt, mit Knopf im Ohr und Kamera im Hemdknopf.“
„Fähigkeiten sind zurückgegangen“
Die Kosten für „den Lappen“ sind in den vergangenen Jahren explodiert. Laut Andreas Müller, Leiter Abteilung Verkehr, Technik und Umwelt beim ADAC Südbaden, müssen Fahranfänger mit Kosten von 2500 bis zu 4500 Euro für einen B-Klasse-Schein rechnen. „In der Regel können die wenigsten Führerscheinschüler die Kosten selbst aufbringen. Sehr häufig werden Schüler von den Eltern oder nahen Verwandten unterstützt“, erklärt Müller.
Klima begründet die Preissteigerung mit der fehlenden Vorerfahrung zahlreicher Fahrschüler: „Wir beobachten, dass Jugendliche heute so gut wie keine Mitfahrerfahrungen haben. Wir müssen heute viel mehr Verkehrsregeln erklären, die früher bekannt waren. Das steigert die Ausbildungszeit.“ Auch Müller nimmt die Prüflinge in die Pflicht: „Die Fähigkeiten der Fahrschüler, sich in komplexen Verkehrssituationen zurechtzufinden, sind stark zurückgegangen.“
Frankreich ist viel billiger
Hinzu kämen zahlreiche Verteuerungen, die an Fahrschüler weitergegeben werden. „Früher hat man ein Auto für 300 Euro geleast, heute sind es 800 Euro“, sagt Klima. Auch der Fachkräftemangel spiele eine Rolle, viele Schulen suchen laut Klima händeringend Ausbilder. Die private, einjährige Ausbildung kostet rund 20.000 Euro. Der monatliche Bruttolohn für Berufseinsteiger liegt bei 3500 bis 4000 Euro.
Unterm Strich zahlen deutsche Fahrschüler mehr als ihre europäischen Nachbarn: In Frankreich oder Belgien kostet der Führerschein durchschnittlich weniger als 2000 Euro. Laut Müller hängt das auch mit der Anzahl von Fahrstunden zusammen: „So sind in Deutschland 15 Stunden Praxis Pflicht, in anderen Ländern gibt es hingegen keine Mindestanzahl an Stunden, die absolviert werden müssen.“
Auch in Freiburg ist der Negativ-Rekord bei Führerscheinprüfungen bekannt. Die größte Fahrschule hier ist die Academy Fahrschule Fiek unter Leitung von Sascha Fiek. Er sieht drei Gründe für die traurige Bilanz: „komplexere Prüfungen, weniger eigene Motivation der Prüflinge und ein verändertes Lernverhalten“. Fiek findet, gerade Fahrschulen seien da gefragt: „Wir können viel tun.” Vor der Prüfung brauche es Lernzielkontrollen.
„Verändertes Lernverhalten“

Sascha Fiek
„Wir dürfen nur dann jemanden in die Prüfung schicken, wenn er prüfungsreif ist.“ Wer das nicht tue, brauche sich über so manche Ergebnisse nicht zu wundern. Fahrschulen seien sogar gesetzlich verpflichtet, sich darum zu kümmern. Und die heutige Generation junger Menschen sei es zudem gewohnt, an die Hand genommen zu werden.
In seinem Haus liege die Durchfallquote bei nur 25 Prozent. Dafür sorge auch ein internes Ampelsystem: „Rot heißt, du bist noch gar nicht prüfungsreif. Gelb heißt, es könnte schon was werden. Grün heißt: Du hast unter Beweis gestellt, dass du prüfungsreif bist“, erklärt Fiek. Bei ihm gehe ein Schüler nur dann in die Prüfung, wenn er grün ist. „Sonst kriegt man gar keine Zulassung.“ Dennoch bleibe es auch Abwägungssache: „Es ist ein Spagat. Eigentlich hätte ich Schüler gern noch fünf Stunden im Auto, um es etwas zu stabilisieren. Aber natürlich ist es auch teuer für junge Menschen“, sagt Fiek.
„Das sind Kostentreiber“
Dass Fahrschulen sich mit steigenden Preisen eine goldene Nase verdienen, sei falsch: „Wir sind eigentlich in Sachen Qualitätsmanagement noch unterfinanziert.“ Fahrschulen müssten durch geänderte Systeme mehr Autos vorhalten als früher. Die seien zudem deutlich teurer geworden. Genau wie Sprit und Energie. Das Personal werde außerdem zahlreicher und wolle keine Sechstagewoche mehr. „Das sind alles Kostentreiber, die es einfach gibt.“
Für Daniel Müller sind diese Zahlen Nebensache. Er hat bisher rund 3500 Euro bezahlt – und weiterhin keinen Führerschein. Die bestandene Theorieprüfung ist inzwischen verfallen und muss neu gemacht werden. Er möchte nun erst sein Studium beenden und dann einen neuen Anlauf nehmen. Mit mehr Fokus und Vorbereitung. Ein Leben ohne Auto kann er sich jedenfalls nicht vorstellen: Per Zug in die Heimat zu fahren, sei weitaus teurer als auf vier Rädern.
Foto: © iStock.com/urbazon & privat
»Das macht so keiner« – Start-up will autonomes Fahren ermöglichen