Bündnis will Stadtteil Dietenbach verhindern – Projektleiter Engel kontert Politik & Wirtschaft | 30.05.2018 | Tanja Senn

Freiburg bekommt einen neuen Stadtteil – oder vielleicht doch nicht? Das RegioBündnis will die Bebauung des Dietenbachgeländes verhindern. Im Baudezernat gibt man zu: Es gibt noch viele offene Fragen.

Mehr als hundert Seiten dick ist die Mappe mit Stellungnahmen, die das „RegioBündnis ProLandwirtschaft, Natur und ökosoziales Wohnen“ zusammengetragen hat. Die Mitgliederliste der Initiative liest sich wie das Who is Who der regionalen Naturschutzverbände – vom Freiburger Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) bis hin zum Naturschutzbund (NABU) Freiburg und Dreisamtal. Ungewöhnlich sei so eine breite Gegnerfront bei Großprojekten jedoch nicht, weiß Engel. „Das gehört zum täglichen Geschäft. Wenn gebaut wird, sind auch Gegner da, die sich artikulieren.“ Und obwohl er einige der Punkte nicht nachvollziehen könne, sieht der Planer die Kritik durchaus auch positiv: „Solch ein Zusammenschluss bündelt das Wissen und stärkt das politische Echo.“

So suche das RegioBündnis zunächst den Dialog. Georg Löser vom Sprecherteam stellt aber auch klar: „Wenn im Gemeinderat kein Umschwung stattfindet, müssen wir uns rechtliche Maßnahmen überlegen.“ Dass die von Erfolg gekrönt wären, bezweifelt er nicht: „Es gibt viele Sollbruchstellen.“

So bezweifeln die Kritiker schon die Grundvoraussetzung für einen neuen Stadtteil: Während laut Stadtverwaltung bis 2030 rund 14.600 Wohnungen geschaffen werden müssen, geht das Bündnis von einem deutlich niedrigeren Bedarf von rund 8250 Wohnungen aus. Das Problem: Planer und Kritiker stützen sich auf unterschiedliche Bevölkerungsprognosen.

Das Statistische Landesamt geht davon aus, dass Freiburg 2025 rund 236.400 Einwohner haben wird und diese Zahl dann die darauffolgenden zehn Jahre stagniert. Die Statistiker im Rathaus sehen bei der vorsichtigsten Prognose 236.898 Einwohner erst bis 2030. Die vergangenen Jahre hätten aber gezeigt, so Engel, dass das tatsächliche Wachstum eher der obersten Variante entspreche und sie sogar teilweise übertroffen habe. Demnach würden 2030 etwa 258.000 Menschen in Freiburg leben.

Aus Vauban und Rieselfeld lernen

Für den Projektleiter steht daher fest: „Es braucht einen Mix von Maßnahmen. Wir müssen gegen Leerstände vorgehen, Innenentwicklungspotenziale ausnutzen und den Dachgeschossausbau fördern. Doch auch damit allein lässt sich der Wohnbedarf nicht decken.“ Das Bündnis fordert hingegen die Prüfung einer „Null-Variante“: Statt dem „Bauen auf der grünen Wiese“ solle die Stadt Möglichkeiten für die Innenentwicklung prüfen, „die bisher zu wenig angegangen oder gar fahrlässig vernachlässigt wurden“.

Die Kritiker fordern dazu – wie auch schon Freiburgs neuer Oberbürgermeister Martin Horn im Wahlkampf – einen Leerstands- und Dachgeschoss-ausbaukataster. Eine Forderung, bei der Engel nur müde abwinkt: „Ein Leerstandskataster bringt eine statistische Übersicht. Aber wenn man keine Mittel hat, um gegen den Leerstand vorzugehen, ist es wirkungslos.“

Auch der Ausbau von Dachgeschossen sei nur beschränkt möglich: „Innenentwicklung beruht immer auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Sie können niemanden zwingen, sein Dachgeschoss auszubauen und den Wohnraum zu vermieten.“ Für die Eigentümer sei ein Ausbau aufgrund der rechtlichen Anforderungen oft zu kompliziert und teuer. So erhöhen sich die Anforderungen in Sachen Feuerschutz, Wärmedämmung oder Barrierefreiheit.

Doch das RegioBündnis sieht den neuen Stadtteil nicht nur als überflüssig an, die Gegner bezweifeln auch seine sozialen Effekte. „Auch Vauban und Rieselfeld haben die Mietpreise nicht entlastet“, moniert Susanne Schlatter von der BI Pro Landwirtschaft und Wald in Freiburg Dietenbach & Regio. „Beide gehören heute zu den teuersten Stadtteilen von Freiburg.“ Tatsächlich sind beide Stadtteile damals mit einer 50-Prozent-Quote für Sozialwohnungen gestartet, die allerdings nie umgesetzt worden sei. Ein Grund: Der Bund hatte sich in den 90er Jahren aus der Wohnungsbauförderung verabschiedet. „Das ist eine Lücke, der wir heute noch hinterherlaufen“, sagt Engel.

Mit uns nicht: Die Dietenbacher Landwirte haben ihre Hoffnung auf einen Erhalt des Areals noch nicht aufgegeben.

Das Ziel der Stadt sei, einen ausreichenden Anteil an sozialem Mietwohnungsbau zu schaffen. Auch Schwellenhaushalte oder Familien mit vielen Kindern, die keinen Berechtigungsschein haben, müssten sich in Freiburg Wohnraum leisten können: „Das muss uns mit dem neuen Stadtteil gelingen. Wenn nicht, machen wir etwas falsch.“

Ob der Stadt das gelingt, ist nur eine der noch offenen Fragen. Auch in Sachen Klima- und Naturschutz ist noch viel zu klären. So brüten mehr als 20 Vogelarten im Dietenbachgelände – darunter auch geschützte Arten. Schwarzmilan, Mäusebussard, Baumfalke, Weißstorch, Neuntöter oder Feldlerche würden durch den neuen Stadtteil in der Brut gestört oder ihre Nahrungshabitate verlieren, ist man sich beim NABU sicher.

Kumuliert mit anderen Bauvorhaben wie dem Stadionneubau oder dem Ausbau der Rheintalbahn „erwarten wir starke negative Effekte auf Arten, die aufs Offenland angewiesen sind“, so Alexander Milles vom NABU Freiburg. „Ein neuer Stadtteil ist mit gravierenden Einschränkungen für Natur und Landschaft verbunden“, gibt auch Engel zu. „Es gibt viele schützenswerte Strukturen im Gebiet, für die wir einen Ausgleich finden und für die wir Schutzmaßnahmen ergreifen müssen. Das wird uns in den nächsten Jahren sehr intensiv beschäftigen.“

Auch die Auswirkungen aufs Stadtklima gehören zu den Punkten, die noch geklärt werden müssen. So befürchten die Kritiker, dass sich das Klima im Stadtteil Weingarten drastisch verschlechtern könnte, da eine wichtige Durchlüftungsbahn bebaut wird. „Klimatisch ist jede neue Bebauung eine potenzielle Beeinträchtigung, die Stadtplanung muss sich Strategien überlegen, wie sie damit umgeht.“ So stehe dieses Thema in der zweiten Phase des städtebaulichen Wettbewerbs ebenso im Vordergrund wie das Thema „klimaneutraler Stadtteil“.

Was den Zeitplan angeht, muss sich die Projektgruppe Dietenbach ranhalten. In vier Jahren könnte – wenn alles glatt läuft – der erste Bebauungsplan beschlossen werden. Bis dahin müssen alle offenen Themen geklärt sein.

Kommentar: Ein steiniger Weg

Wer denkt, ein neuer Stadtteil lässt sich bauen, ohne dass irgendwelche Nachteile entstehen, ist naiv. Ja, der Naturschutz wird leiden. Ja, das Stadtklima wird beeinträchtigt. Ja, die Landwirtschaft wird in Mitleidenschaft gezogen. Ja, das Ziel „klimaneutral bis 2050“ wird noch unrealistischer. Das lässt sich nicht wegdiskutieren und nicht schönreden. Die Frage ist nicht, ob all diese negativen Aspekte eintreten werden, sondern wie sie abgemildert werden können.

Wo ein politischer Wille ist, da ist meist auch ein Weg. Die Stadtplaner sind nun dazu aufgerufen, diesen Weg für alle Freiburger Bewohner – ob menschlich oder tierisch – so eben wie möglich zu gestalten. Und gegebenenfalls auch den Rückwärtsgang einzulegen, anstatt Hindernisse rücksichtslos umzufahren. Nur wenn Gutachten in Auftrag gegeben werden, die auch ein offenes Ergebnis haben dürfen, statt längst beschlossene Maßnahmen rechtlich abzusichern, sind sie das Papier wert, auf dem sie stehen.

Visualisierung: © Stadt Freiburg /Studie Wessendorf, Foto: © BI pro Landwirtschaft