„Der Schaden wird massiv sein“: Südbadens Wirtschaft fürchtet Einbußen durch die Corona-Epidemie Politik & Wirtschaft | 11.03.2020 | Stefan Pawellek & Philip Thomas

Die Welt rüstet sich gegen das Coronavirus. Schutzmaßnahmen wie geschlossene Büros, abgeriegelte Landstriche und leere Lage­r­hallen gehen auf Kosten der Wirtschaft.

Chinas Exporte sind im Januar und Februar im Vergleich zum Vorjahr um 17,2 Prozent auf 259 Milliarden Euro eingebrochen. In Norditalien wurden bis in den Sommer mehr als 90 Prozent der Hotelbuchungen storniert, das entspricht einem Verlust von täglich etwa drei Millionen Euro. Das Ausmaß für Südbaden ist noch nicht abzusehen. Vertreter aus Tourismus, Wirtschaft und Kultur schlagen aber Alarm.

Rund 98.500 Menschen in Deutschland haben sich während der aktuellen Grippesaison mit Influenza angesteckt. 161 sind daran gestorben. Bei einer besonders heftigen Form der Grippe starben in den Jahren 2017 und 2018 laut Robert-Koch-Institut (RKI) mehr als 25.000 Bundesbürger. Die nationale Wirtschaft blieb davon ebenso unbeeindruckt wie von dem weltweiten SARS-Ausbruch von 2002 und 2003, bei dem insgesamt 774 Tote gezählt wurden.

Bei der aktuellen Covid-19-Epidemie ist das anders. „Im Vergleich zu SARS sind die Auswirkungen vor allem deshalb stärker, weil damals die Maßnahmen viel weniger drastisch waren. Es wurden keine Millionenstädte von der Außenwelt abgeschnitten oder wochenlang Produktionen gestoppt“, erklärt Susi Tölzel, Referentin Auslandsmärkte und Zoll bei der IHK Südlicher Oberrhein.

Und das wiederum hat Auswirkungen auf die Börse: Durch die Lungenkrankheit fiel der deutsche Leitindex Dax zwischendurch auf den niedrigsten Stand seit Oktober 2019, der S&P 500, Index der 500 größten börsennotierten Unternehmen der USA, hat seit 19. Februar mehr als zehn Prozent an Wert verloren. Michael Bissinger, Aktienstratege der DZ Bank, schließt einen Kurseinbruch von 30 Prozent beim Dax nicht aus. Und: Gegen kranke Mitarbeiter oder Produktionsausfälle hilft kein Konjunkturprogramm.

Bereits am 27. Februar blieben die 250 Angestellten der Freiburger Firma Thermo Fischer Scientific wegen eines Verdachtsfalls zu Hause. Betriebe zahlen in so einem Fall trotzdem Lohn: Laut dem Arbeitsrechtsexperten Simon Fischer von der SRH Fernhochschule in Riedlingen müssen Arbeitgeber auch dann Gehalt bezahlen, wenn die Tore des Betriebs geschlossen bleiben.

Auch Messen und Veranstaltungen fallen dem Virus zum Opfer. In Stuttgart wurden die Bildungsmesse­ „Didacta“ sowie die „Logimat“ auf Anordnung des Gesundheitsamtes Esslingen abgesagt. Ebenfalls auf Weisung gecancelt wurde die Verbrauchermesse „Regio-Messe“ in Lörrach durch das Landratsamt Hochrhein. In dessen Zuständigkeitsgebiet stehen Veranstaltungen mit mehr als 200 Personen unter Beobachtung, Events mit mehr als 1000 Teilnehmern wurden im Zuständigkeitsgebiet untersagt.

 

14.000 statt 20.000 Besucher auf der Messe

 

So weit ist es in Freiburg zum Redaktionsschluss nicht: „Alles geht seinen gewohnten Gang“, sagt Daniel Strowitzki, Geschäftsführer der Freiburger Messegesellschaft FWTM. Alle Veranstaltungen wie die „Baby und Kind“ oder die „Automobil“-Ausstellungen finden wie geplant statt. „Stand jetzt“, ergänzt er am 5. März. Die Lage könne sich jederzeit ändern. „Es herrscht aber eine Verunsicherung“, so der 46-Jährige. Auf der Automobil-Messe sei durch Corona bereits ein Besucherrückgang festzustellen. Die Veranstalter rechneten mit 20.000 Besuchern. Erschienen seien etwas mehr als 14.000.

Auch der Wirtschaftsverband WVIB Schwarzwald AG mit Sitz in Freiburg, 1044 produzierenden Unternehmen, 350.000 Beschäftigten und weltweit 74 Milliarden Euro Umsatz, rechnet mit Einbußen: „Der wirtschaftliche Schaden wird lokal wie global massiv sein“, sagt Hauptgeschäftsführer Christoph Münzer. Bei der Corona-Epidemie handelt es sich laut Münzer zwar um „höhere Gewalt“ – Strafzahlungen stünden also nicht unmittelbar im Raum. Laut IHK kann das im Falle eines Rechtsstreits allerdings erst dann geltend gemacht werden, wenn ganze Landstriche – wie in China und Italien – abgeriegelt werden.

Die wirtschaftlichen Schäden für Südbaden – allein durch die Unterbrechung von Handelsbeziehungen in diese­ Regionen – lassen sich noch nicht genau beziffern. „Wir haben viele Firmen mit Lieferverflechtungen und Geschäftsbeziehungen aller Art nach und von China oder Italien. Über Zahlen zu Geschäftsverbindungen unserer Unternehmen nach Italien und China können wir keine seriöse Aussage treffen“, sagt Tölzel von der IHK.

Eine Umfrage der IHK ergab, dass 29,2 Prozent der Unternehmen (76 der Antwortenden) Umsatzeinbußen durch das Coronavirus haben, 29,4 Prozent der Unternehmen melden Lieferengpässe durch das Virus und 48,1 Prozent der Unternehmen verzichten derzeit auf Geschäftsreisen. Zahlreiche Lieferbeziehungen seien dank hoher Lagerbestände zwar noch intakt, „aber so manche Lieferkette ist bereits unterbrochen“, so Münzer.

Das habe Folgen, wie etwa Kurzarbeit, die nicht so schnell wieder ausgeglichen werden könnten. Laut der Agentur für Arbeit Freiburg kann der Erreger durch Lieferengpässe oder Schutzmaßnahmen bei Betrieben tatsächlich „erhebliche Arbeitsausfälle“ verursachen. Bereits im Februar habe das erste Unternehmen im Agenturbezirk Beratungsbedarf zu Kurzarbeit angemeldet, weil es im Zusammenhang mit der drohenden Pandemie Arbeitsausfälle befürchtet.

Auch der lokale Kulturbetrieb ist betroffen. Das Freiburger Barockorchester plante im Januar eine Tour nach Hongkong und Seoul. Alle vier Konzerte wurden abgesagt. „Niemand möchte für eine weitere Ansteckungswelle in Städten wie Hongkong oder Seoul mit mehreren Millionen Einwohnern verantwortlich sein“, so Martin Bail, Sprecher des Orchesters. Es komme für Künstler, Agenturen und Veranstalter unter Umständen zu „gravierenden finanziellen Auswirkungen“. Anderen Organisatoren wird diese Entscheidung abgenommen: Der Karneval im elsässischen Rosheim wurde nach einem Beschluss der Präfektur wegen Corona verboten.

Der Freiburger Oberbürgermeister Martin Horn betonte am 3. März auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz, dass es noch keine Veranlassung gebe, öffentliche Events seitens der Stadt abzusagen: „Es gibt unsererseits keine Maßnahmen, das ist Sache der Veranstalter.“ Die für den Breisgau-Hochschwarzwald zuständige Landrätin Dorothea Störr-Ritter will sich diesbezüglich an Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts halten. Sollte sich die Lage ändern, müssen laut Horn entsprechende Maßnahmen diskutiert werden.

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