Freiburg will bis 2050 klimaneutral werden – reicht das? Politik & Wirtschaft | 17.06.2019 | Till Neumann

Im April hat der Gemeinderat Freiburgs Klimaziele einstimmig verschärft: Bis 2030 soll der Pro-Kopf-Verbrauch von CO2 um 60 Prozent sinken – statt bisher 50. Klimaneutralität soll bis 2050 erreicht werden. Reicht das? Nein, sagen Fridays for Future.

Zuletzt forderten 10.000 Schüler drastischere Schritte. Ebenso Extinction Rebellion. Die Bewegung ist kleiner als der Schülerprotest, aber radikaler. Trotz der Vorreiterrolle Freiburgs scheint der Burgfrieden in Gefahr. Auch die AfD mischt neuerdings mit.

Rund 100 Fahrradfahrer rollen Anfang Juni über den Schlossbergring. Das Ziel: den Verkehr lahmlegen. „Kein Auto ist klimaneutral“, steht auf einem Banner. Die Aktivisten von Extinc­tion Rebellion (XR) sind der radikale Flügel der Klimaproteste. „Einige bei uns sind durchaus bereit, sich festnehmen zu lassen“, berichten Felix und Charlie. Beide sind 20 Jahre alt und studieren in Freiburg. Ihre Nachnamen möchten sie nicht preisgeben.

In London haben die XR-Klimaschützer Kraftfahrzeuge großflächig ausgebremst. Ihr Aufruf zu zivilem Ungehorsam trägt auch in Freiburg Früchte: Straßenblockaden oder ein Flashmob im Bürgeramt, bei dem Menschen wie tot umfallen, machen von sich reden. „Wir spüren eine unglaubliche Dringlichkeit, Angst, Wut, Verzweiflung“, sagt Charlie. „Jeder geht bei uns so weit, wie er gehen will – nur bei Gewalt hört es auf“, ergänzt Felix.

XR fordern, dass Freiburg den Klimanotstand ausruft – wie Basel, Konstanz oder Kiel. Doch Umweltbürgermeisterin Gerda Stuchlik lehnt das ab. Zudem möchten XR eine Bürger*innenversammlung einberufen. Bei der sollen Vorschläge diskutiert und ein repräsentatives Gremium ausgelost werden, das Lösungen erarbeitet. Außerdem will die Gruppe eine bessere Zusammenarbeit mit den Medien. Klimathemen kommen ihnen zu kurz – beispielsweise in der Badischen Zeitung, sagt Felix. „Von einer freien Presse kann man mehr erwarten“, poltert der Student.

In Kürze soll es ein Treffen mit Stuchlik geben. Ihr wollen die Klimarebellen kommunizieren, dass die geplante Klimaneutralität bis 2050 zu lasch ist. Sie wollen das bis 2025 schaffen.

Machen Druck aufs Rathaus: Fridays for Future in Freiburg

Machen Druck aufs Rathaus: Fridays for Future in Freiburg versammeln Tausende fürs Klima

Den Klimanotstand fordern auch Fridays for Future (F4F). In Sachen Co2-Neutralität stellen sie auf Bundesebene das Jahr 2035 in den Raum. Die Freiburger wollen aber mehr: „Die Stadt muss als Vorreiter ihre Vorbildfunktion sowohl für Deutschland als auch die ganze Welt wahrnehmen.“ Sie pochen daher auf Nettonull-Emissionen bis 2030.

Ihr Wort dürfte Gewicht haben. Schließlich versammeln F4F in Freiburg Tausende. Im Januar kamen mehr als 3000, im März mehr als 5000. Zuletzt zogen rund 10.000 Jugendliche durch die City. „Wir bewegen uns immer schneller auf die größte menschengemachte Katastrophe aller Zeiten zu“, betont Felix vom F4F-Orgateam. Das klingt nicht so, als würde sich der Protest verlaufen. Zumal mit den „Scientists for Future“ zusammengearbeitet wird. Und sich auch „Parents for Future“ an den Protesten beteiligen.

Umstritten: Windräder wie hier am Rosskopf.

Der Klimaschutz ist massentauglich geworden. Die Europa- und Kommunalwahlen haben das gezeigt. Im Freiburger Ökoviertel Vauban holten die Grünen mehr als 60 Prozent der Stimmen. Im Stadtgebiet schafften sie es auf 38,5 Prozent. Mehr als CDU (16,2) und SPD (13,9) zusammen.

Die erstarkten Grünen machen Druck: Im Mai forderten die Stadträte im Gemeinderat, ein Freiburger Manifest zum Klima- und Artenschutz zu erarbeiten. Die bisherigen Anstrengungen reichten nicht aus, um bis 2050 klimaneutral zu werden, verkündete Stadtrat Eckart Friebis. Bei anderen Fraktionen stieß er auf Zustimmung – genau wie bei Bürgermeisterin Stuchlik.

Gilt das auch für die neu in den Gemeinderat gewählte AfD? Auf Bundesebene sagt die Partei: Der Klimawandel ist nicht von Menschen gemacht. Der Freiburger Stadtrat Detlef Huber betont: „Das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden, ist schlicht und einfach unrealistisch – auch vor dem Hintergrund einer wachsenden Stadt.“ Energieeffizienz beim Bau und die Förderung des ÖPNV seien sinnvoll. Windräder lehnt er ab. „Aus Naturschutzgründen und wegen der mangelnden Energieeffizienz.“

Apropos Windräder: Gerade tobt ein Streit um den Bau zweier Anlagen am Schauinsland. Sie könnten 7000 Haushalte versorgen. Naturschützer, Anwohner und Vereine befürchten aber die Gefahr eines Waldbrandes. In Lahr war im Februar eine Anlage abgebrannt. Die zweite dort in fünf Jahren.

Wind- und Wasserkraft kommen nicht vom Fleck, bestätigt die Badenova. „Seit zehn Jahren herrscht faktisch Stillstand“, sagt Kommunikationschef Roland Weis. Das liege nicht an den Potenzialen, sondern an Rahmenbedingungen und schwierigen Genehmigungen. Bei Solaranlagen und Biomasse verzeichne man jedoch einen Anstieg der Kapazitäten. „Kleinteilig, doch keineswegs explodierend.“

Deutlich mehr im Aufwind ist der Freiburger Verein „Co2-Abgabe“. Rund 1000 Mitstreiter hat die Initiative – darunter auch die Stadt Freiburg. Der Vorsitzende Jörg Lange macht sich stark für einen Preis von 40 Euro pro Tonne Co2.

Will eine CO2-Abgabe: Jörg Lange

„Wir sind in der Politik komplett hintendran“, sagt der 55-Jährige. Doch sein Thema scheint anzukommen: Auch CDU-Politiker haben sich kürzlich die Forderung einer Co2-Steuer zu eigen gemacht. Erhofft wird eine Lenkungswirkung hin zu umweltfreundlicheren Energieträgern. In der Schweiz oder in England gibt es das bereits. „Nach unseren Berechnungen wären die Kohlekraftwerke damit spätestens 2030 vom Netz“, sagt Lange. Die Logik: Was teurer wird, wird automatisch zurückgefahren.

Gründe, zu handeln, gibt es genug, meldet das Freiburger Umweltschutzamt. Die zunehmende Trockenheit mache sich auch an der Artenzusammensetzung bemerkbar. Amphibien und Insekten seien bedroht. Landwirte hätten zu kämpfen. Auch der Wald leide: „Vor allem Nadelbaumarten werden beschädigt und vom Borkenkäfer befallen.“

Hört man sich in Freiburg um, hat bei vielen der Hitze-Sommer 2018 Eindruck hinterlassen. Das Flussbett der Dreisam lag lange nackt da. Vier Monate lang waren auch die Bächle aus Wassermangel trockengelegt. Ein oder zwei Monate kein Wasser sei in den Sommermonaten der zurückliegenden Jahre des Öfteren vorgekommen. „Ein Trockenlegen wie in 2018 ist uns aber nicht bekannt“, heißt es im Rathaus.

Im Freiburger Öko-Institut beobachtet man die Lage in Freiburg mit gemischten Gefühlen: „Hauptproblem ist eine Zunahme des Auto- und LKW-Verkehrs“, erklärt Tanja Kenkmann. Die Stadt tue hier schon viel mit dem Ausbau von ÖPNV und Fahrradschnellwegen. Verringert habe das den PKW-Verkehr bisher nicht. Kenkmann fordert deswegen „auch unbeliebte Maßnahmen zur Einschränkung des motorisierten Individualverkehrs“.

Kenkmann findet die verschärften Klimaziele der Stadt „außerordentlich ambitioniert“. Doch nicht alles könne die Politik steuern. „Die Menschen müssen bereit sein, ihr Leben zu ändern. Ohne die breite Masse wird das nicht gelingen.“

Klimabilanz

Die CO2-Emissionen lagen 2014 in Freiburg bei 7,87 Tonnen pro Kopf. Das sind 37,2 Prozent weniger als 1992, zeigt die Klimaschutzbilanz der Stadt. Freiburg hat 2016 insgesamt 1,65 Millionen Tonnen CO2 verbraucht. 1992 waren es 2,27 Millionen Tonnen. Der Verbrauch ist um 27,3 Prozent gesunken.

Auch beim Strom aus Erneuerbaren Energien kommt Freiburg voran: Von 2014 bis 2016 hat sich der Anteil um etwa zehn Prozent erhöht: Von 67 Gigawattstunden (GWh) auf 75 GWh. Der Anteil des hier erzeugten Ökostroms: sieben Prozent.

Fotos: © Jürgen Baumeister, Till Neumann, privat