Harte Pflaster und Horrorszenarien: In March sorgt ein Gewerbegebiet seit zehn Jahren für Aufregung Politik & Wirtschaft | 19.11.2019 | Philip Thomas

Weite Wiesen, saubere Luft und himmlische Ruhe: Das Leben auf dem Land kann ein Idyll sein, wären dort nicht auch vergleichsweise günstige Gewerbeflächen. Gemeinden sind solche Gebiete oft ein Dorn im Auge und die Bürger fürchten Veränderungen: Pendler verstopfen Straßen, Firmen versiegeln Flächen und Lärm belästigt die Leute. In der Gemeinde March wird seit bereits zehn Jahren um ein Gewerbegebiet gestritten. In der jüngsten Gemeinderatssitzung wurde es mit elf zu acht Stimmen politisch auf den Weg gebracht. Es geht aber weiter um verhärtete Fronten, Unterschriftenaktionen und Rücktritte. Auch von Klüngelei ist die Rede.

Im Landkreis Lindau soll ein 6,4 Hektar großes Gewerbegebiet für ein Dutzend Firmen entstehen. Der Spatenstich im Oktober erfolgte unter Protest, der gemeinnützige Bund Naturschutz in Bayern reichte beim bayrischen Verwaltungsgericht Klage ein. Vier Monate zuvor hatte der Bürgerverein Stammheim vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg erfolgreich gegen einen rechtswidrigen Bebauungsplan fürs Gewerbegebiet am Containerbahnhof in Kornwestheim geklagt. Im September wies der Verwaltungsgerichtshof Mannheim eine Normenkontrollklage einer Familie gegen die Gemeinde Fichtenberg bei Stuttgart zurück, die das geplante Gewerbegebiet Hirschäcker verhindern wollte.

Ausgewiesene Flächen für Firmen sind ein hartes Pflaster. Das weiß auch der Marcher Bürgermeister (parteilos) Helmut Mursa: „Ich bin froh, dass das Gewerbegebiet beschlossen ist.“ Mitte Oktober stimmte sein Gemeinderat mit elf zu acht Stimmen für das neue 6,5 Hektar oder 10 Fußballfelder große Gewerbegebiet Neufeld im Süden des Marcher Ortsteils Holzhausen. Der Protest ist deswegen noch nicht verhallt.

„Das Gebiet hat eine lange Vorgeschichte und ist ein besonders schwerer Fall“, sagt der 39-Jährige. Das Gewerbegebiet sollte ursprünglich 13,6 Hektar groß werden, zehn davon als reine Gewerbefläche. Weil der Bund aber eine Raststätte an der östlich angrenzenden Autobahn A5 plant, die sich mit dem Gebiet überschneidet, ruhten die Planungen trotz eines rechtsgültigen Bebauungsplans seit zehn Jahren. Der damals insgesamt 410.000 Euro teure Plan ist noch rechtsgültig. Laut Marcher Sitzungsvorlage wäre eine Neuentwicklung wegen gestiegener Anforderungen, etwa im Bereich Naturschutz und Wasserrecht, heute noch kostspieliger.

„Wie kann man zehn Jahre alte Pläne, die entstanden sind, um eine Rastanlage zu verhindern, einfach absegnen“, fragt Gemeinderat Andreas Steiert (ehemals Unabhängige Bürgerliste March, UBM) in einem dem bib vorliegenden Schreiben an den Gemeinderat vom 10. Oktober. Das Gewerbegebiet sei in dieser Form als Mittel gegen eine vom Bund geplante Raststätte von rund dreieinhalb Hektar zwischen Freiburg-Hochdorf und Holzhausen geplant gewesen.

Wirtschaftlichkeit vor Wiese

Anders als Steiert stimmte Carolin Mayer (SPD) für den Bau des Gebiets. Wirtschaftlichkeit wiege in diesem Falle mehr als Wiese: „Das Neufeld ist eine bewirtschaftete Fläche. Im Bebauungsplan sind die Biotop- und Grünflächen berücksichtigt und eingebunden“, so die 43-Jährige. Aus Gesprächen mit in March ansässigen Betrieben wisse sie außerdem: „Wir müssen den Firmen zusätzliche Gewerbefläche anbieten, damit diese nicht abwandern.“ 2010 zog bereits der Hy­draulikzylinderhersteller AHP Merkle mit rund 120 Mitarbeitern und einem Umsatz in zweistelliger Millionenhöhe von March auf eine 5600 Quadratmeter große Fläche nach Gottenheim.

Andere Firmen und Vereine ziehen erst gar nicht nach March. „Das Freiburger Fraunhofer Institut für solare Energiesysteme hat hier angefragt“, erzählt Mayer weiter. Das drei Hektar große Areal mit Solarpaneelen entsteht nun allerdings auf der Gemarkung von Merdingen. Laut Mayer hätten die Forscher dort mehr Platz angeboten bekommen. „MAN hatte Interesse, hierher zu kommen“, berichtet Gemeinderatsmitglied Thomas Gerspach von der Unabhängigen Bürgerliste.

Der Lastwagenhersteller sitzt heute in Umkirch. Das Interesse von Unternehmen an einem Umzug oder Erweiterung sei durchaus vorhanden. Seit Januar 2018 gab es nach einer Auf­listung der Gemeindeverwaltung etwa 14 Anfragen – für Flächen mit 1000 bis 15.000 Quadratmeter – aus den ­unterschiedlichsten ­Gewerbebereichen. Tatsächlich wird March von seinen Nachbarn wirtschaftlich abgehängt: Die 8500 Einwohner starke Gemeinde beim Kaiserstuhl nahm 2016 Gewerbesteuern in Höhe von 2,2 Millionen Euro ein. Umkirch mit 5800 Bewohnern kam auf 5,5 Millionen, Gottenheim mit 2800 Bürgern generierte 2,3 Millionen Euro. „Uns sind Gewerbesteuereinnahmen entgangen“, sagt Gerspach. Durch die zehnjährige Verzögerung könnten dies für die Gemeinde bis zu 2,5 Millionen Euro gewesen sein.

Großes Interesse: Gemeinderatssitzung in der Holzhauser Halle.

Trotzdem gibt es gegen den Straßenlärm und die Abgase Proteste aus der Bevölkerung. Auch weil eine Alternative zum geplanten Standort nicht in Sicht ist: Andere Flächen sind entweder zu nah an der vom Bund geplanten Autobahn-Raststätte oder mitten in einem Naturschutzgebiet. Die Fläche bei Holzhausen ist nicht geschützt – weil der geplante Bau eines Möbelhauses in den 90er-Jahren dieses Feld schon bestellt hatte. Ein neues Gewerbegebiet sorgt für zusätzliche Lärmbelastung. Immerhin liegen Orientierungswerte für Lärmschutz in Gewerbegebieten tagsüber bei 65 und nachts bei 50 Dezibel. In reinen Wohngebieten liegt der Richtwert jeweils 15 Dezibel darunter.

Rund 62.000 Gewerbegebiete gibt es derzeit in Deutschland, rund neun Prozent der Gesamtfläche von Baden-Württemberg sind entsprechend genutzt. „Gewerbe ist richtig und wichtig“, lenkt Holzhausens Ortsvorsteher Rolf Lorenz (ehemals Unabhängige Bürgerliste March) ein, der gegen den Bau stimmte. Der Vertriebler versuchte bis zuletzt, dem Gemeinderat eine Alternativlösung schmackhaft zu machen: Man könne das Gebiet um 90 Grad drehen und weiter westlich an eine zukünftige Ortserweiterung legen. „Wir wollen eine andere Lösung direkt an der Fläche. Dass mitten ins Grüne gebaut werden soll, bricht einem das Herz“, sagt der 56-Jährige.

»Feindliche Übernahme«

Steiert legt nach: „Durch den Bebauungsplan werden 1,5 Hektar nur für Straßen versiegelt.“ Den Vorschlag, das Gebiet direkt an Wohnraum anzuschließen, kann Mayer nicht nachvollziehen: „Ich wünsche mir eine grüne Knautschzone.“ Je nachdem, wo das Gewerbegebiet gebaut wird, gibt es mehr oder weniger Flächen-Verkäufer: Das Gebiet Neufeld ist zu 82 Prozent im Gemeindebesitz und auf acht Eigentümer verteilt. Die 90-Grad-Alternative ist zu 91 Prozent in Privatbesitz und auf mehr als 80 Eigentümer verteilt. „March ist nicht groß. Da wird geklüngelt“, mutmaßt ein Insider.

Steiert und Lorenz traten nach der Abstimmung als Vorsitzender und Vize-Vorsitzender der UBM zurück. Lorenz spricht gar von „feindlicher Übernahme“. Aktuell sind beide fraktionslos. „Es ist nicht persönlich geworden“, sagt Mursa über den Prozess. Gekämpft wurde aber mit harten Bandagen: Eine durch die Holzhauser Ortschaftsräte Adelbert Siegel und Markus Fürderer (Grüne) getragene Unterschriftenaktion sorgte im Vorfeld der Gemeinderatssitzung für Irritation. „Die Initiatoren sagten, sie hätten vor der Abstimmung 1000 Stimmen gegen das Gewerbegebiet.“ Übergeben wurden Mursa schließlich nur 682 Signaturen. „Das hat einen falschen Eindruck vermittelt“, sagt der Bürgermeister. Lorenz hingegen moniert: „Er hat die Unterschriften nicht gewürdigt.“

Im Publikum heißt es vor der Entscheidung am 14. Oktober, einigen Marchern sei der Einlass zu Geschäften in der Gemeinde erst gegen Unterschrift auf der Liste gewährt worden. Lorenz, der die Aktion mittrug, wiegelt ab: „Das stimmt nicht, die Leute standen seitlich zum Eingang.“ Auch ein Flugblatt sorgte für Aufsehen. Die Befürchtung der Bevölkerung ist groß, dass das Gewerbegebiet noch weiter ausgedehnt wird. „Ich gehe aktuell nicht davon aus, dass es weiter wächst“, sagt Mursa. Auf einem Flugblatt unter Verantwortung der Bürgerinitiative „Lebenswerte March“ war die Ausweitung der Gewerbegebietszone zu sehen. „Ich wüsste nicht, was daran nicht korrekt ist“, sagt Lorenz. Zwar werde darauf ein „Horrorszenario“ abgebildet, „das kann man allerdings nicht ganz ausschließen.“ Gers­pach protestiert: „Das Konzept darauf ist falsch.“

Er möchte den alten Bebauungsplan jetzt nutzen: „Bis ein neuer Flächennutzungs- sowie Bebauungsplan rechtskräftig ist, können wieder zwei bis fünf Jahre vergehen.“ Bis dahin sollen sich erste Firmen im Gewerbegebiet Neufeld niedergelassen haben. Mursa habe dazu bereits mit dem alten Planungsbüro gesprochen. Bis das Muster final sei, könnte noch mal ein dreiviertel Jahr vergehen. Der erste Spatenstich auf dem Gelände soll 2022 folgen. Für Steiert zu früh. Er kündigt an: „Es ist noch nicht vorbei.“

Foto/Illustration: © pt, st