Herkulesaufgabe: Die Finanzierung des neuen Stadtteils Dietenbach steht auf wackligen Beinen Politik & Wirtschaft | 20.07.2018 | Lars Bargmann

Der neue Freiburger Stadtteil Dietenbach wird allein das Freiburger Rathaus 700 Millionen Euro kosten. Wenn der Gemeinderat 50 Prozent sozialen Mietwohnungsbau fordert, könnten unterm Strich aber 300 Millionen Euro fehlen.

„Bei uns in der Straße sind in den vergangenen Jahren drei Familien aus Freiburg weg ins Umland gezogen, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten konnten“, erzählte Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach unlängst vor Journalisten. 1600 wohnraumsuchende Familien seien mittlerweile in der städtischen Notfallkartei gelistet. Wegen der hohen Mieten und der im Schnitt geringen Kaufkraft habe die Wohnungsnot nun auch den Mittelstand erreicht: „Wir sind jetzt schon in einer sozialen Schieflage, ohne Dietenbach würde das noch schlimmer werden.“

Dietenbach soll für die Stadtverwaltung und den Gemeinderat die eierlegende Wollmilchsau werden: Ein inklusiver (von Kirchbach), grüner und klimaneutraler (Umweltbürgermeisterin Gerda Stuchlik), hochgradig versorgter (19 Kitas, zwei Schulen, eine Tramlinie), architektonisch ambitionierter (Haag) Stadtteil, der zudem großflächig bezahlbares Wohnen ermöglichen soll und am besten noch mit einer schwarzen Null abschließt.

Ob das realistisch ist? In Freiburg gibt es nicht nur vereinzelte Stimmen, die das anzweifeln, die mit Neubau-Quadratmeterpreisen von über 6000 Euro und hohen Mieten rechnen. Doch da ist der gemeinderätliche Beschluss, wonach bei neuen Bebauungsplänen 50 Prozent der Wohnfläche als soziale Mietwohnungen hergestellt werden muss. Hoffen die Bürgermeister, diese Grundlage bei Dietenbach anzupassen? „Die Welt ist bunter“, sagt Haag auf Nachfrage.

Dietenbach erfordere eine „andere Herangehensweise. Wir müssen erst einmal mit den Fraktionen darüber sprechen, wer was für wen überhaupt bauen kann.“ Klar ist, dass es Grundstücke für die Freiburger Stadtbau, die drei Baugenossenschaften, Baugruppen, das Mietshäusersyndikat geben soll. Ohne die private Bauwirtschaft aber wird der neue Stadtteil gar nicht zu stemmen sein. Und die baut keine 50 Prozent soziale Mietwohnungen, weil das in größerem Stil ein defizitäres Unterfangen ist.

Wer kann wie für wen was bauen?

Beim Thema öffentlich geförderter Wohnraum werden zwei Flächen die tragende Rolle spielen, die eine gehört noch dem Land Baden-Württemberg. Zehn Hektar – oder 15 Fußballfelder – ist sie groß, das Land verkauft sie für 15 Euro (das ist der gutachterlich festgestellte Wert) an die Stadt, wenn auf ihr vom Land geförderter Mietwohnungsbau entsteht. Wenn am Ende die Hälfte der Fläche bebaubar ist und die Ausnutzung (GFZ 1,8) hoch ist, könnten dort netto 70.000 Quadratmeter preiswerter Wohnraum entstehen. Das wären rund 1000 Wohnungen. Die andere, ähnlich große Fläche gehört der Stadt Freiburg, sie könnte das „soziale“ Flächenmaß verdoppeln. Allein wird die Freiburger Stadtbau diese Flächen gar nicht herstellen können. Spannend wird sein, wie sich der neue Oberbürgermeister Martin Horn in diesen Prozess einschalten wird.

Bei der Entwicklung des ­neuen Stadtteils sei nun Halbzeit, sagte Projektleiter Rüdiger Engel. Im April 2012 hatten CDU, SPD, FDP und Freie Wähler den neuen Stadtteil gefordert. 2024 sollen dort die ersten Häuser hochgezogen werden.

Entscheidende Fortschritte hat es unterdessen bei den Verhandlungen mit den Grundstückseigentümern nicht gegeben, die nicht an die Stadt oder an die unlängst von der Freiburger Sparkasse gegründete Kommanditgesellschaft Entwicklungsmaßnahme Dietenbach verkaufen wollen. Und denen gehört immerhin ein Vierteil der benötigten Fläche. Engel wird daher im kommenden Jahr „die erforderlichen Enteignungsmaßnahmen einleiten“. Das sei ­keine Ausnahmesituation. Beim Stadtteil Vauban, aber auch bei Straßenbahnprojekten habe es in der Vergangenheit immer wieder solche Verfahren gegeben – zu einer faktischen Enteignung sei es dabei aber in keinem Fall gekommen.

Der Projektleiter muss derzeit viele Bälle in der Luft halten. Da geht es um die baurechtlichen Verfahren, um die Suche nach 37 Hektar Ausgleichsflächen für Landwirte, um mehrere Millionen Kubikmeter Erde, die im hochwassergefährdeten und grundwasserflachen, 130 Hektar großen Areal aufgeschüttet werden müssen, um Grundstücks- und städtebauliche Verträge, sogar schon um Überlegungen, wie die Stadt die Vermarktung der Flächen so steuern kann, dass die Bauherren bei den Handwerkern oder Generalunternehmen keine Mondpreise bezahlen müssen, weil zu viel in zu kurzer Zeit auf den Markt kommt. „Wenn wir einen sozial ausgewogenen Stadtteil wollen, dann zählt auch das dazu“, sagt der 60-Jährige.

Spätestens in zwei Jahren müssten der Bebauungsplan, die Grundstückszuschnitte und das Vermarktungskonzept – abgestimmt mit dem Gemeinderat – so gut wie fertig sein. Am 24. Juli soll das Gremium die Satzung für die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme beschließen. Die Stadträte bekommen insgesamt mehr als 1000 Seiten in sechs Vorlagen serviert.

Marcel Thimm, der Vorstandsvorsitzende der Freiburger Sparkasse, die den privaten Eigentümern 64 statt der fürs Rathaus festgelegten 15 Euro auf den Quadratmeter zahlt, sieht derzeit „viel Bewegung“ bei den Grundstücksverträgen. Mehr als 300 Eigentümer haben sich verkaufswillig erklärt, 50 werden wohl auf den Zug aufspringen.

Was die Finanzierung mit einer schwarzen Null auf dem Treuhandkonto angeht, bleibt er aber skeptisch. In der Kalkulation seien 600 Millionen Euro aus den Grundstückserlösen gerechnet. Wenn 50 Prozent sozialer Mietwohnungsbau gefordert würden, werde sich diese Zahl halbieren: „Bauträger können den sozialen Mietwohnungsbau nur darstellen, wenn bei den Grundstückskosten eine Null steht.“ Auch die Sparkasse wolle preiswerten Wohnraum, aber 50 Prozent könnten das nicht sein. Zudem klaffe in der ihm bekannten Kalkulation darüber hinaus noch ein etwa 50 Millionen Euro großes Loch.

Wenn der neue Stadtteil mit so vielen Anforderungen konfrontiert werde, dass es auf der politischen Bühne keinen wirtschaftlich tragfähigen Kompromiss gibt, kann die Sparkasse immer noch aussteigen. Dann hätte sie fünf, sechs Millionen Euro verloren. Die Stadtverwaltung könnte dann die Kommanditanteile übernehmen. Projektleiter Engel hofft, dass es dazu nicht kommt: Er will bei seinem Abschied aus dem Rathaus im Jahr 2024 den ersten Bewohnern am liebsten noch persönlich die Hand schütteln.

Dietenbach-Info

Die maßgeblichen Kosten
Erschließung: 120 Mio.
Grund- und weiterführende Schulen: 118 Mio.
Kitas & sonstige Einrichtungen: 90 Mio.
Projektmanagement: 56 Mio.
Grünanlagen: 53 Mio.
Entwässerung: 31 Mio.
Geländefreimachung/Modellierung: 30 Mio.
Finanzierungskosten: 30 Mio.
Grunderwerb: 24 Mio.
Planung und Gutachten: 17 Mio.
Ausgleichsmaßnahmen: 12 Mio.
Entschädigungen: 7 Mio.
Gewässerausbau: 6 Mio.

Die Erlöse
Grundstücksverkäufe: 574 Mio.
Fördermittel: 19 Mio.

Illustration: © erhui1979