Tauziehen am Dietenbach, Stadt und Bank Hand in Hand? Politik & Wirtschaft | 10.04.2020 | Lars Bargmann

Entwurf für Dietenbach

Der neue Stadtteil Dietenbach wird nach aktuellen Berechnungen 850 Millionen Euro kosten. Ursprünglich waren 613 veranschlagt. 750 Millionen sollen durch den Verkauf der Grundstücke wieder reinkommen, 100 Millionen in 20 Tranchen aus der Rathausschatulle. Macht unterm Strich eine schwarze Null. So zumindest steht es in einer Vorlage für den städtischen Bau-, Umlegungs- & Stadtentwicklungsausschuss, die dem chilli vorliegt. Diese Rechnung wird aber nur aufgehen, wenn die Sparkasse Freiburg auf Millionen Euro verzichtet. Bank und Stadtspitze steuern auf einen Zielkonflikt zu. Zeitgleich laufen bereits eine Normenkontrollklage und bald drei Enteignungsverfahren.

Der Bodenpreis für einen Quadratmeter Bauland – anfänglich war von 600 bis 700 Euro die Rede – liegt mittlerweile bei 980 Euro. Da dieser jährlich eine zweiprozentige Steigerung vorsieht, wird er beim Verkauf der ersten Grundstücke 2024 die 1000er-Grenze schon überschritten haben. Wer eine höhere bauliche Ausnutzung als das 1,6-fache der Grundstücksgröße hat, zahlt noch mehr, erklärt Rüdiger Engel, Chef der elfköpfigen Projektgruppe Dietenbach, im Gespräch mit dem chilli.

Die Sparkassentochter Entwicklungsmaßnahme Dietenbach KG (EMD) zahlt privaten Grundstücksverkäufern 64 Euro (plus jährlich einen für die Option). Wenn sie alle knapp 80 Hektar von den Eigentümern kaufen kann, investiert sie rund 51 Millionen. Bei der Stadt stehen für diese Fläche 16,50 Euro auf der Kostenseite, mithin rund 13 Millionen. Wie dieses Loch von 38 Millionen gestopft werden soll, ist offen. „Wir werden kein Geld drauflegen“, sagt der Sparkassen-Vorstandsvorsitzende Marcel Thimm. „Ein Ausgleich zwischen den 16,50 und den 64 Euro ist in unserer Kalkulation nicht enthalten“, sagt Finanzbürgermeister Stefan Breiter. 

Das größtmögliche politische Schreckgespenst ist derweil verscheucht. „Massenenteignungen sind vom Tisch“, sagt EMD-Geschäftsführer Ingmar Roth. Er hat mittlerweile für knapp 65 der privaten 78,5 Hektar Optionsverträge geschlossen. „Wir hätten nie gedacht, dass das Modell so erfolgreich sein würde“, beweist Thimm auch Marketingqualitäten.

Mit drei Eigentümern aber kommen EMD und Stadt keinen Schritt voran, hier leitet Engel in den nächsten Wochen die Enteignungsverfahren beim Regierungspräsidium ein. Einigen sich die Beteiligten dort nicht, geht die Sache zur Baulandkammer beim Verwaltungsgericht in Karlsruhe, dann zum Oberlandesgericht und schließlich zum Bundesgerichtshof. „Die Mühlen der Enteignungsjustiz mahlen sehr langsam und gründlich“, weiß Engel. Das hindere die Stadt aber nicht daran, die fraglichen Flächen schon vorab in Besitz zu nehmen. Die Normenkontrollklage liegt derweil beim VGH. Hier attackieren Anwohner die Rechtmäßigkeit der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM) insgesamt.

Geklärt ist mittlerweile, dass das Land der Stadt seine 22 Hektar (siehe Infobox) für 16,50 Euro pro Quadratmeter verkauft. Das haben Spitzengespräche in Stuttgart erbracht. Geklärt werden muss aber noch, wie die Flächenbedarfe für die Landesanstalten SWR (Sendemast) und Uniklinikum (will selbst bauen) eingepreist werden. Die Stadt selbst darf nach einem Beschluss des Gemeinderats keinen einzigen Quadratmeter verkaufen, sondern nur als Erbpacht vergeben.

Ob die Interessenten bei einem Bodenpreis von 1000 Euro dafür Schlange stehen, darf bezweifelt werden. Ebenso, ob bei diesen Preisen, 50 Prozent gefördertem Mietwohnungsbau und vielen weiteren Vorgaben – eine nennen die Politiker „klimaneutral“ – am Ende tatsächlich bezahlbar gewohnt werden kann. Denn auch für die Stadtbau ist der geförderte Wohnungsbau weiterhin „hoch defizitär“, wie Stadtbauchef Ralf Klausmann Anfang März erneut bekräftigte. „Die Entscheidung, was bei den Rahmenbedingungen noch realistisch und was verzichtbar ist, muss der Gemeinderat treffen“, sagt Engel.

Um Kosten und Erlöse einigermaßen in die Balance zu bringen, wird derzeit vor allem an einer Stellschraube gedreht: an der baulichen Dichte. Während die Stadtspitze im Herbst 2016 von 5300 bis 5500 Wohnungen für 12.500 Menschen sprach, waren es im Juni 2018 schon 6000 Wohnungen für 15.000 und heute sind es 6800 – darunter mehrere hundert Apartments für Studierende, Klinikbeschäftigte und Azubis – für 16.000 Bewohner. Das entspricht etwa der Einwohnerzahl von Bad Krozingen.

„Wir werden insgesamt eine GFZ (gibt das Maß der Ausnutzung von Grundstücken an, d. Red.) von 1,7 oder 1,8 haben, in der Mitte von 2,6, an den Rändern weniger“, sagt Engel. Damit sei das Ende der Nachverdichtung erreicht.

Den aktualisierten Rahmenplan dafür soll der Gemeinderat am 9. Dezember beschließen. Der erste Teilbebauungsplan soll 2022 rechtskräftig werden, danach kommen die ersten Grundstücke in die Vermarktung – bis dahin müssen sich Rathaus und Sparkasse geeinigt haben. Wenn eine Wohnung im Schnitt 350.000 Euro kostet, liegen allein die Baukosten bei 2,38 Milliarden Euro. Ein großer Teil wird von der Sparkasse finanziert werden, die damit Geld verdient. Thimm lässt diese Gegenrechnung zum Millionendelta beim Grundstücksdeal aber nicht gelten: „Wir können unseren 35 Trägerkommunen nicht sagen, dass wir in Freiburg erst viele Millionen abschreiben, um irgendwann später mal auch zu verdienen.“ Rathaus und Sparkasse haben ein enormes Stresspotenzial abzubauen, bevor die ersten Baugenehmigungen 2024 auf den Tischen liegen. Gelingt das nicht, wird die Bank die Reißleine ziehen und die Optionsverträge nicht unterzeichnen.  Dann müsste Thimm bis zu sieben Millionen Euro ausbuchen. Und die Stadt müsste die EMD übernehmen. 

 

Info: Flächen & Kosten

Das Gebiet ist 130 Hektar oder rund 180 Fußballfelder groß. Knapp 60 Hektar umfasst das Nettobauland. 78,5 Hektar gehören Privaten; Stadt (27,2), Land (22) und Bund (2,4)- haben 51,6 Hektar. Die Sparkasse Freiburg hat mit Privaten Optionsverträge- für rund 65 Hektar abgeschlossen. Der erste Bauabschnitt wird im Zentrum des neuen Stadtteils gebaut und umfasst 35 Hektar. Die Kosten belaufen sich auf 850 Millionen Euro: 288 für soziale Infrastruktur, 170 für technische Erschließung innerhalb (mit Tram), 122,5 für Bodenordnung, Neuordnung der Grundstücke, Gewässerausbau, Ausgleichsmaßnahmen und Planung, 71,5 fürs Projektmanagement, 66,3 an Finanzierungs-kosten, 54,7 für technische Erschließung außerhalb, 33,7 für Grünanlagen, 21,5 für Grunderwerb, 15,4 für Entwässerung, 5 für die Vermarktung, 2 für Öffentlichkeitsarbeit. Die Projektgruppe rechnet mit 750 Millionen Euro aus Grundstücksverkäufen sowie gut 100 aus der Stadtkasse.

 

Visualisierung: © die-grille K9 Architekten Latz+Partner