Aufruhr am Grethergelände: Hausdurchsuchungen bei Radio Dreyeckland Szene | 30.03.2023 | Pascal Lienhard

Die Redaktion von Radio Dreyeckland Hinter der Tür staut sich der Frust: Die Redaktion von Radio Dreyeckland.

Die größte redaktionelle Ausspähung seit mehr als 60 Jahren: So beschreibt Radio-Dreyeckland-Redakteur Fabian Kienert die Hausdurchsuchungen bei sich und einem Kollegen. Seine Anwältin rechnet sich derweil gute Chancen aus, dass das Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Vereinigungsverbot eingestellt wird.

Fabian Kienert erinnert sich gut an den 17. Januar: Kurz vor 7 Uhr klingelt es Sturm. Zunächst glaubt der Redakteur des linksalternativen Freiburger Senders Radio Dreyeckland (RDL) an einen Einbrecher. Schließlich hört Kienert aber die Durchsage der Kriminalpolizei. Ein Durchsuchungsbeschluss liegt vor, er soll die Tür öffnen. Zeitgleich wird die Wohnung von RDL-Geschäftsführer Andreas Reimann durchsucht. Beschlagnahmte Speichermedien werden später zurückgegeben – vorher jedoch kopiert. Kurz ist die Polizei auch in den Redaktionsräumen am Grethergelände.

2017 hatte das Bundesinnenministerium die Website „linksunten.indymedia“ in Anwendung des Vereinsgesetzes verboten. Auf der Homepage konnte jeder Inhalte einstellen, diese waren zum Teil linksextremistisch. Ob es sich bei „linksunten.indymedia“ um einen Verein handelt, wird bis heute diskutiert. Vergangenen Sommer berichtete Kienert in einem Artikel auf der RDL-Website über aktuelle Entwicklungen. Und setzte einen Link zur Archivseite von „linksunten.indymedia“.

Deshalb ermittelt nun die Staatsanwaltschaft Karlsruhe. Der Grund: Verdacht auf Verstoß gegen das Vereinigungsverbot. Beanstandet wird auch das Foto, das zum Artikel veröffentlicht wurde. Es zeigt ein Graffito mit dem Satz „Wir sind alle linksunten indymedia“. Das ließe laut Ankläger einen unterstützenden Charakter erkennen.

Kienert lässt sich von Anwältin Angela Furmaniak vertreten. Sie hält das Vorgehen gegen RDL für rechtswidrig. „Meinem Mandaten wird vorgeworfen, die weitere Betätigung einer verboten Vereinigung mit der Verlinkung zu unterstützen“, sagt sie. „Das ist aus meiner Sicht nicht haltbar, weil das Gericht damit das Grundrecht der Presssefreiheit missachtet.“ Kienert habe mit der Verlinkung im Sinne der journalistischen Informationspflicht gehandelt. Zudem unterschlage die Staatsanwaltschaft, dass das beanstandete Graffito-Foto in der Bildunterschrift kritisch kontextualisiert worden sei. Nun kämpft Furmaniak um Einstellung des Ermittlungsverfahrens.

„Ein solches Vorgehen gab es seit der Spiegel-Affäre nicht mehr“, behauptet Kienert selbst. Damit spielt er auf das Ermittlungsverfahren wegen Landesverrates an, das 1962 gegen Journalisten des Nachrichtenmagazins Spiegel geführt wurde – und nachhaltig für die Pressefreiheit sensibilisierte. Das geht Michael Wehner, Leiter der Freiburger Außenstelle der Landeszentrale für politische Bildung, dann doch zu weit. In den 1980er-Jahren habe es mehrere Durchsuchungen gegeben, auch beim zunächst illegal sendenden RDL. Das gehöre zur Geschichte des Radios. „Einen Vorgang wie jetzt hat es aber lange nicht mehr gegeben“, sagt Wehner.

Nach Ansicht des Wissenschaftlers nehmen auch kleinere Medien in einer bunten und pluralistischen Gesellschaft einen wichtigen Platz ein. Zwar sei RDL ein eher subjektiver Spartensender. Anzurechnen sei ihm, dass er sich immer wieder für Minderheiten eingesetzt habe.  Gleichwohl spiele Radio für die politische Willensbildung bei weitem keine so große Rolle mehr wie noch vor 40 Jahren.

Dennoch haben die Durchsuchungen Wellen geschlagen. Politiker·innen und Vereinigungen wie Reporter ohne Grenzen haben sich gegen die Kriminalisierung des Senders ausgesprochen. Am 17. Januar zog eine Kundgebung in der Innenstadt viele Menschen an. Reimann geht von 600 bis 700 Demonstrierenden aus: Das sei berührend gewesen – und ein wichtiges Zeichen für die
Pressefreiheit.

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