Sourrund Sound: Freiburgs Münster ist Hightech-Mekka der Orgelspieler Szene | 04.08.2019 | Till Neumann

Orgelspieler

Der Segen kommt von oben, der Sound aus allen Richtungen. Das Freiburger Münster bietet in Sachen Beschallung großes Kino: Vier Orgeln hängen quer durch die Kathedrale verteilt. Die jüngste ist kürzlich für knapp eine Million Euro angeschafft worden.

Wie sich das einzigartige Ensemble bedienen lässt, versteht Organist Jörg Schwab (Foto oben) wie kein Zweiter. Das chilli hat ihn begleitet und viele staunende Gesichter gesehen. 

Im Zentrum stehen an diesem Mittwoch vier Riesen: die opulenten Orgeln der Freiburger Kathedrale. Am besten bändigen kann sie ihr Meister Jörg Schwab. Wie das geht, zeigt der Münsterorganist an diesem Abend einer Besuchergruppe, die hinter die Kulissen des Orgel-
ensembles blicken möchten.

Dunkle Jeans, blaues Hemd, braune Lederschuhe. Jörg Schwab steht vor rund 25 Besuchern und zeigt, wo die vier Instrumente verteilt sind: die Marienorgel schräg links vor den Besucherreihen, die Langschifforgel – Spitzname Schwalbennestorgel – hängt links über den Sitzbänken, die Michaelsorgel thront hoch oben am Eingangsbereich und die nagelneue Chororgel auf der Empore hinter dem Altar. „Eine seltene Attraktion“, sagt der 43-Jährige zu dem Quartett. Schließlich sind alle vier von unterschiedlichen Herstellern. Und gleichzeitig spielbar.  

„Es gibt tausend Möglichkeiten, da findet man kein Ende“

Wie das geht, demonstriert Schwab nur zu gerne. Dafür läuft er Richtung Altar. Direkt daneben steht der sogenannte Spieltisch. Er setzt sich, aktiviert das System und greift konzentriert in die Tasten. Zwei Stücke füllen die Stille des Münsters. Von den Sitzreihen aus ist nicht zu sehen, was seine Hände bewerkstelligen. Ein Kinderspiel dürfte es nicht sein. Aus allen vier Orgeln ertönen die Pfeifen –, als satter Bass, glasklare Klarinetten oder einer dem menschlichen Gesang nachempfundenen „Voix Humaine“.  

Woher welcher Ton kommt, ist kaum zu orten. Klänge überlagern sich, hallen durch den Raum, verlieren sich wieder. Die Zuhörer sind begeistert, flüstern sich zu, nicken beeindruckt. „Die Orgel ist unglaublich verändert worden über die Jahrhunderte“, erzählt Schwab. Erste Belege für deren Existenz gibt es um 1545. Fast 500 Jahre später basiert das System weiter auf traditionellen Orgeln, doch die Technik ist hochmodern: „Es gibt tausend Möglichkeiten, da findet man kein Ende“, sagt Schwab und lacht. Das Münster verfügt jetzt über 166 Klangfarben (Register) mit insgesamt 10.195 Pfeifen.

Der elektrische Spieltisch ist 2013 für rund 200.000 Euro angeschafft worden. Mit ihm können alle Pfeifen und Klangfarben der Münsterorgeln angewählt werden. Wie viele Tasten er hat, weiß nicht einmal Schwab. Die vier Spielebenen sind umgeben von zahlreichen weiteren Knöpfen. Rechts daneben ist ein buntes Touchpad. „Man hat die maximale Ausbeute, kann alles koppeln und mischen“, schwärmt Schwab. Und scherzt: „Man muss dann nur noch selbst kapieren, was man angerichtet hat.“ Ob das alle vier Orgeln in einem Stück waren, will ein Zuhörer nach dem Stück wissen. „Ja, aber nicht volle Pulle“, antwortet der Organist. 

Orgelspieler

Tradition trifft Moderne: Jörg Schwab zeigt den Besuchern am Spieltisch, wie sich alle vier Orgeln parallel spielen lassen.

Auch die Tischposition nahe am Altar ist eine Rarität. Für alle gut sichtbar agiert dort der Spielende – wie ein DJ. „Selten ist der Organist so prominent zu sehen wie hier“, sagt der gebürtige Bayer. Der Vorteil sei, mitten im liturgischen Geschehen zu sein. „Machsch ned so lang, zwei Strophen reichen“, raune ihm der Pfarrer da manchmal zu. Der Nachteil: Der Spieler ist weit weg von seinen Instrumenten. 

„Die Chororgel ist eine Art Monitorbox“, erklärt Schwab. Sie steht ihm am nächsten. Für Sonderfälle gibt es einen kleineren Spieltisch, der bewegt werden kann. Gerade bei Zeremonien, die nicht am Altar stattfinden, helfe das, um näher am Geschehen zu sein.

Die Chororgel ist das jüngste Element im Klangkörper. Für stattliche 900.000 Euro wurde sie angeschafft und am Ostermontag geweiht. Sie ersetzt ihren „mangelhaften“ Vorgänger, wie Schwab erklärt. Das neue Instrument verfügt über ein Auxiliarwerk, eine separate Sonderanfertigung, die in einem Fenster rechts vor den Zuschauerreihen versteckt ist. „Sehr glücklich“ sei man über die neuen Klangfarben, die man sich lange gewünscht habe, erzählt Schwab. 

Scharfe Kritik am Million Dollar Baby

Er berichtet auch von negativen Meinungen zum Million Dollar Baby des Münsters: „Wir sind auch in der Kritik, das ist viel Geld.“ Erstaunte, verärgerte oder ungläubige Reaktionen zur Rieseninvestition sind dem chilli bekannt. Die Erdzdiözese Freiburg habe offensichtlich Geld wie Heu, heißt es in einer. Schwab findet solche Aussagen unsachlich. Schon seit 1936 gebe es vier Orgeln im Münster. Die Erneuerung sei nötig gewesen. Die Gelder stammten zudem nicht vom Erzbischöflichen Ordinariat, sondern von kirchlichen und weltlichen Stiftungen und mehr als 550 Klangpaten. Auch das „großartige Engagement“ des Stiftungsrates habe die neue Orgel möglich gemacht. 

Schwab erklärt: „Wir sind sehr stolz und dankbar, dass wir dieses Projekt realisieren konnten und so viel Unterstützung erfahren haben, auch wenn es bei solchen Summen natürlich immer auch kritische Stimmen gibt.“

Gebaut hat die Orgel die Schweizer Werkstatt Kuhn aus Männedorf am Zürichsee. Lokale Firmen hätten sich den Auftrag auch gewünscht, erklärt Schwab. Doch im schweizerischen Fribourg habe man sich in ein ähnliches Modell verliebt, das eben von dieser Werkstatt angefertigt wurde. 

Begehrlichkeiten weckt die Super-Surround-Installation allemal. Viele Interessenten meldeten sich, um darauf zu spielen, heißt es. „Alle bekommen eine technische Einweisung“, erklärt Schwab. Gastorganisten übten teils bis tief in die Nacht, um die Technik für ihren Auftritt bei der Dienstagsreihe zu beherrschen.  

Jetzt dürfen die Besucher endlich zum Spieltisch. Dort gibt Schwab eine finale Kostprobe. Gebannte Blicke folgen seinen schnellen Händen. Die Führung neigt sich dem Ende entgegen. Doch Fragen haben die Besucher noch viele. „Verrückt, man weiß nicht, woher der Klang kommt“, raunt einer.  

Dann ist Feierabend. Seinen Orgeln wird Schwab Ende September für ein paar Tage den Rücken kehren. Für ein Gastspiel geht’s nach London in die St. Pauls Cathedral. Dort steht eine dreiteilige Orgelanlage. Dürfte also doch mal ein Kinderspiel werden für den Orgelmeister.

 

MÜNSTERORGANIST 

Jörg Josef Schwab wurde 1976 in Illertissen (Bayern) geboren. Er studierte an der Freiburger Musikhochschule Schul- und Kirchenmusik (Diplom). Weitere Stationen waren Mainz, Berlin und Amsterdam. Seit Oktober 2013 ist er Münsterorganist in Freiburg. Konzerte spielte er unter anderem in Italien, den Niederlanden oder Schweden. 

ORGELFÜHRUNGEN 

Einmal im Monat gibt es Führungen zu den Münsterorgeln. Die nächsten Termine sind am 3. August, 13. September und 2. Oktober. Die Tour geht von 19.45 Uhr und 21.15 Uhr und kostet 15 Euro (ermäßigt 10 Euro).
Anmeldung und weitere Infos auf
www.muensterorgel.de

 

Fotos: © tln