Herrgott vergib mir: Wie chilli-Volontärin Liliane Herzberg aus der Kirche austritt Szene | 20.08.2021 | Liliane Herzberg

Kirche Leergefegt: Nicht nur die chilli-Volontärin ist hier nicht mehr zu finden.

Es gibt viele Gründe, nicht mehr Teil der Kirche sein zu wollen: Missbrauchsskandale, fehlende Gleichberechtigung oder schlicht die Kirchensteuer. Es gibt ebenso viele, Mitglied zu sein: Gemeinschaft, Zugehörigkeit oder die kirchliche Ehe. Die Religionswissenschaftlerin und chilli-­Volontärin Liliane Herzberg hat sich für den Ausstieg entschieden. Leicht fiel ihr das nicht.

Es ist grau und trist am Tag meines Austritts. Während ich zum Freiburger Rathaus radle, gehe ich ein letztes Mal die Gründe für den Ausstieg durch. Viele Jahre spielten der Glaube und die Kirche eine wichtige Rolle für mich. Anfangs ganz klassisch: Als Kind wurde ich getauft, es folgte die Konfirmation mit 14 Jahren. Ich war außerdem viele Male in Indien und habe dort schon als Kind Religion von einer anderen, sehr intensiven Seite kennengelernt.

Nach dem Abitur studierte ich unter anderem Religionswissenschaft. Ich nahm an vielen Exkursionen teil, lernte immer mehr dazu, fühlte mich parallel aber immer weniger als Angehörige meiner oder irgendeiner Glaubensgemeinschaft oder Institution. Während ich noch über die gewachsene innere Distanz zur Kirche nachdenke, erreiche ich schon die Pforten des Rathauses.

Lili

Wählt den Weg der Abtrünnigen: Liliane Herzberg.

Eingetreten, folge ich den Schildern in den ersten Stock. Eine nette Standesbeamtin empfängt mich in einem beeindruckend schönen Raum. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch hinter einer Plexiglasscheibe. Wir plaudern belanglos, während ich ihr zuerst meinen Personalausweis reiche und dann die Gebühr zahlen muss. 19 Euro kostet ein Austritt aus der Kirche in Freiburg. Der Preis variiert je nach Bundesland und Stadt, in Baden-Württemberg liegt er bei mindestens 6,50 Euro und maximal 75 Euro. Die Konfession spielt keine Rolle.

Ich warte, dass sie mir Fragen stellt, mich vielleicht eindringlich fragt, ob ich das wirklich will – aber nichts dergleichen. Dafür ist sie wohl auch nicht zuständig. Stattdessen liest sie mir formlos noch einmal meine Daten und die Austrittserklärung vor. Ich unterschreibe und bin entlassen.

Mein persönlicher Glaube ist heute nicht mehr verknüpft mit einer Institution. Die Entscheidung, den Schritt aus der Kirche zu wagen, fiel mir trotzdem nicht leicht. Ich setze mich deshalb noch einmal in den Vorraum und lasse die letzten zehn Minuten nachwirken. Für viele ist der Austritt Teil eines Protestes, hauptsächlich wegen der jüngsten Vergangenheit der katholischen Kirche – die fehlende Reformierung, Missbrauchs­skandale oder die Verweigerung der Segnung homosexueller Paare.

Auch für mich, denn obwohl ich Protestantin war und es durch mein Studium besser wissen sollte, waren die beiden Konfessionen in meiner Entscheidung gegen die Kirche miteinander verwoben.

Anscheinend bin ich mit dem Entschluss nicht allein. Auf der Austrittsbescheinigung steht: Ich bin die 1904. Person dieses Jahres, die sich in Freiburg offiziell von der Kirche abwendet. Vor dem Raum hat sich bereits eine kleine Warteschlange gebildet, zwei junge Frauen folgen mir auf dem Weg der Abtrünnigen. Vielleicht hat die Kirche ausgedient, zumindest für die jüngere Generation.

Als ich wieder auf die Straße trete, regnet es in Strömen. Fühlt sich beinahe ein bisschen dramatisch an – Gottes Strafe? Ach nein, der ist ja mit sofortiger Wirkung nicht mehr für mich zuständig.

Fotos: © iStock.com/BorupFoto, pt