Zwischen Kunst und Vandalismus: Unterwegs mit einem Freiburger Graffitikünstler Szene | 28.03.2022 | Anna Macho

Vierzehn Graffiti-Flächen hat das Rathaus in Freiburg genehmigt. Trotzdem „ziert“ illegales Graffiti zahlreiche Brücken und Hauswände der Stadt. Die Verwaltung zahlt jährlich fast 250.000 Euro für die Entfernung der Farbe. Ein Kampf gegen Windmühlen? Das sporne die Sprüher·innen nur an, sagt ein Freiburger Sprayer.

Unter der Freiburger Leo-Wohleb-Brücke riecht es nach Farbe. Klackernd schüttelt der Graffitikünstler Kai Lehmann (Name von der Redaktion geändert) seine Spraydose. „An Straßenkunst fasziniert mich das Kreative“, erklärt der Künstler. „Pins“, wie Lehmann in der Szene heißt, ist heute an einer legalen Fläche unterwegs. Mit dynamischen Bewegungen skizziert er ein Bild auf die bereits grundierte Wand.

Der 21-Jährige sei über einen Freund zum Graffiti gekommen. Seit 2016 sprüht Pins regelmäßig in Freiburg. Nach seiner Ausbildung zum Dachdecker möchte er sich nun ganz auf das Sprayen fokussieren: „Ich habe vor, Graffitikunst zu meinem Beruf zu machen.“ Seine ersten Aufträge hat der junge Künstler bereits bekommen: Ein Straßenmusiker habe ihn gebeten, einmal in der Woche sein Klavier neu zu gestalten.

Manche Spaziergänger·innen gehen mit starrem Blick an Pins vorbei, andere schauen für einen Moment fasziniert zu. Schließlich hält eine ältere Frau an und berichtet Pins von einer freien Wand, die sie besprayen lassen möchte. Pins gibt ihr seine Handynummer. Die meisten Passant·innen seien freundlich, nur selten werde gepöbelt: „Einmal hat eine Passantin ihr Kind von mir weggezogen“ erinnert sich der Sprayer, „das war ein komisches Gefühl. Ich habe mich gefragt, wovor sie Angst hat.“

Viel Farbe: Graffiti unter der Freiburger Leo-Wohleb-Brücke

Die Fläche unter der Brücke füllt sich langsam mit Farbe, die feuchten Linien glänzen im Sonnenlicht. Die Wand direkt an der Dreisam, oberhalb der Schwabentorbrücke, ist bei Sprayern beliebt: Hier werden die Werke von vielen Freiburger·innen gesehen. Die Stelle ist eine von 14 legalen Graffitiflächen in der Breisgau-Metropole. Für die von der Stadtverwaltung ausgewiesenen Flächen gibt es besondere Regeln: Passant·innen dürfen nicht behindert werden, Müll und leere Spraydosen gehören entsorgt, außerdem sind politische Äußerungen, obszöne Darstellungen sowie Beleidigungen untersagt.

Neben den Paragrafen der Stadtverwaltung gelten für Pins noch die Regeln der Straße. Auf legalen Flächen darf nur übermalen, „crossen“, wer ein besseres Werk hinterlässt. Auf nicht freigegebenen Flächen darf gar nicht gecrosst werden: Wer zuerst da war, bekommt den Spot. „Es ist wichtig, dass man sich respektiert“, erklärt Pins. Trotzdem komme es hin und wieder zu Konflikten. „Wenn man übermalt, gibt es Ärger. Dann werden wiederum andere Werke gecrosst“ so der Sprayer.

Juristisch gesehen handelt es sich beim illegalen Sprühen um Sachbeschädigung. Insgesamt 721 solcher Delikte erfasste das Freiburger Polizeipräsidium im Jahr 2020. Etwa zehn Prozent der Fälle konnten aufgeklärt werden, so Polizeipressesprecher Özkan Cira.

Ein weiterer Gegenspieler der illegalen Sprayer ist laut Pins die Freiburger Stadtverwaltung. An städtischen Gebäuden sollen illegale Graffiti möglichst innerhalb einer Woche entfernt werden. Dafür habe die Freiburger Stadtverwaltung im Jahr 2021 fast 250.000 Euro ausgegeben, gibt Rathaussprecher Toni Klein an. Pins findet: „Es ist Schwachsinn, die Wände wieder weiß zu streichen“. Das Entfernen würde Sprayer nur herausfordern. „Mit Muse“ ein großes Kunstwerk zu schaffen, lohne nicht. Daher entstehen laut Pins mehr schnelle und unsaubere Tags – die Sprüher-Signatur – an Hauswänden.

Der Unterschied zwischen Kunst und Vandalismus ist für Pins eine Frage der Fassade. Denkmalgeschützte Häuser, Kirchen oder Friedhöfe seien für ihn tabu. Selbst schnelle Tags an Hauswänden ist für den Sprayer hingegen Kunst: „Das ist keine bewusste Schmiererei, um das Gebäude zu beschädigen. Das ist nicht die Absicht der Sprüher·innen. Sie wollen ihren Namen verbreiten und die Stadt verschönern.“

Fotos: © Anna Macho