Freiburger Radprofi Simon Geschke im chilli-Interview STADTGEPLAUDER | 22.08.2024 | Philip Thomas
Simon Geschke auf seinem FahrradZwölfmal ging Simon Geschke bei der Tour de France an den Start. Nun hat der 38-Jährige seine letzte Frankreich-Rundfahrt hinter sich gebracht.
Im Interview mit chilli-Redakteur Philip Thomas berichtet der Freiburger von geretteten Sekunden, verpassten Chancen und falschen Nasen.
chilli: Herr Geschke, welche Gefühle überwiegen nach Ihrer allerletzten Tour-Etappe?
Geschke: Es überwiegt die Freude, dass es vorbei ist. Die dritte Woche ist immer eine Extrembelastung. Mit 38 Jahren ist man reif für den Abschied. Für die letzten Etappen habe ich gemischte Gefühle, aber ich habe einen guten persönlichen Abschied gehabt. Von daher bin ich relativ zufrieden
chilli: 2009 fuhren Sie die erste Tour Und der Radsport steckte in einer tiefen Krise.
Geschke: 2009 war ein Tiefpunkt nach vielen Skandalen. Zu Recht gab es viel Kritik am System. 2013 folge dann der große Knall mit Lance (Armstrong, Anm. d. Red.). Es wurde aber viel aufgearbeitet, das kann – glaube ich – keine andere Sportart von sich behaupten. Um den Sport sauberer zu machen, wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt. Keine andere Sportart nimmt das Thema heute so ernst wie der Radsport.
chilli: Wie hat sich Radsport noch verändert?
Geschke: Der Sport hat sich wahnsinnig stark verändert. Das gesamte Jahr über wird 100 Prozent gegeben – die ersten Fahrer sind ab Januar schon im Höhentraining. Vor 15 Jahren war alles ein bisschen lockerer, jetzt ist die Mentalität eine ganz andere. Die Fahrer-Leistung wird heute aufs Watt genau genommen. Früher bin ich nach eigenem Tempo gefahren, heute ist jedes Intervall vorgeschrieben. Manchmal muss ich mir einen Zettel schreiben, um mir das alles zu merken.
chilli: Mittlerweile wird die Nahrung der Tour-Fahrer aufs Gramm genau abgewogen …
Geschke: Das kannte ich 2009 noch nicht. Auch Material und Wissenschaft sind ganz anders: Bei der Entwicklung von Rädern, der Trainingsteuerung wird mittlerweile KI eingesetzt. Heute fahren die Räder von alleine fünf Kilometer pro Stunde schneller als die aus den Ullrich- und Armstrong-Zeiten. Es gibt mittlerweile die verrücktesten Sachen: Bei dieser Tour hatte ein Fahrer eine aerodynamische Plastik-Nase an seiner Brille. Da bin ich vom Glauben abgefallen.
chilli: Auf welchen Moment Ihrer Karriere blicken Sie gerne zurück?
Geschke: Die Beendigung meiner ersten Tour 2009 und mein Etappensieg im Jahr 2015. An dem Tag sind alle Puzzlestücke zusammengefallen. An dem Tag hatte ich absolute Topform, alle Freiheiten und habe taktisch alles richtig gemacht. Ich war nicht der Stärkste der Gruppe, habe aber trotzdem gewonnen. Ich habe gepokert, einen guten Vorsprung herausgefahren und konnte als unterschätzter Fahrer aus der zweiten Reihe am Ende 30 Sekunden retten. Daran denke ich gerne zurück.
chilli: Was war Ihre größte Enttäuschung?
Geschke: Das verpasste Bergtrikot bei der Tour 2022. Das wird mir immer bitter in Erinnerung bleiben und wurmt mich am meisten, weil ich eigentlich die Beine hatte und mich das Team super unterstützt hat. Es war so eine Riesenchance, das wäre deutsche Radsportgeschichte gewesen, aber ich habe viele kleine Fehler gemacht. Ich habe viel Energie an Tagen verschwendet, an denen es nicht viele Punkte gab. Wenn ich eine Zeitmaschine hätte und die Tour noch mal fahren könnte, würde ich das Bergtrikot gewinnen.
chilli: Wie kommen Sie nach der Tour wieder runter?
Geschke: Es gibt keinen Profi, der dieses Jahr mehr Rennen gefahren ist als ich. Ich gehe ganz schön auf dem Zahnfleisch. Da ist nun eine kurze Pause angesagt. Mal abends ein Bier oder Schokolade oder beides. Nach einigen Tagen fühlt man sich bereits wieder wie ein Mensch. Ich werde zu Hause auch wieder ein bisschen Rad fahren, aber nur ganz easy. Nur ein, zwei Stündchen pro Tag. Ein paar Rennen kommen dieses Jahr schließlich noch.
chilli: Seit 2015 sind Sie jede Tour de France gefahren. Was steht nächsten Sommer an?
Geschke: Ich werde die Tour sicherlich ein bisschen vermissen. Ich hoffe aber, ich bin trotzdem dabei. Vielleicht als TV-Experte, das kann ich mir vorstellen. Ich bin allerdings auch froh, wenn ich nächstes Jahr keine drei Wochen unterwegs bin. Im November kommt unser erstes Kind. Das wird sicherlich eine neue Herausforderung.
Foto: © Mathilde L’Azou