Streit um Stadion-Standort: Rathaus prüft, Flieger hoffen STADTGEPLAUDER | 27.05.2018 | Till Neumann

Spieglein, Spieglein, wer hat den besten Stadionstandort? So könnte die Schneewittchen-Frage derzeit am Freiburger Flugplatz lauten. Doch der Kampf der Argumente und Gutachten ist wenig märchenhaft. In Kürze soll der Gemeinderat entscheiden.

Das Rathaus prüft derzeit intensiv, welche Variante besser ist: die westlich oder die östlich der Landebahn. Zugleich werden die Weichen für einen Bau westlich der Landebahnen gestellt. Die Bürgerinitiative Pro Flugplatz Freiburg (BI) hält den geplanten Bau im Westen für brandgefährlich. Sie macht sich für die „Spiegellösung“ östlich der Landebahnen stark. Viel Zeit bleibt nicht mehr, um dem Schneewittchen-Zauberspiegel eine Antwort zu entlocken: Noch vor der Sommerpause soll der Gemeinderat mit dem neuen „König“ Martin Horn über die „Westvariante“ abstimmen.

Den Fliegern am Freiburger Flugplatz ging es zuletzt wie der verzweifelten Königin im Märchen Schneewittchen: Es gab wenig zu lachen. Seit dem Bürgerentscheid für den neuen Fußballtempel am Flugplatz fühlen sie sich dort zunehmend unerwünscht. Das Gefühl, langfristig nicht mehr in Freiburg fliegen zu können, drücken viele aus. Durch den Bau unmittelbar bei ihrer Start- und Landebahn sehen sie sich in ihrer Existenz bedroht. Für sie macht das Stadion westlich der Landebahn die Fliegerei lebensgefährlich. Denn Luftverwirbelungen seien im Windschatten des Stadions deutlich brisanter als bisher hinter dem Wolfsbuck-Hügel.

Die Frage der Schneewittchen-Königin nach der Schönsten im ganzen Land könnte in Freiburg derzeit lauten: Spieglein, Spieglein am Flugplatz, wer hat den besten Stadionstandort? Zur Wahl stehen der haushohe Favorit, die „Westvariante“ des Bürgerentscheids 2015. Und die erst 2017 ins Rennen geschickte und von Fliegern beworbene „Spiegellösung“.

Ost-West-Zwist: Das Stadion soll westlich der Landebahn (oben) gebaut werden. Die Flieger pochen jedoch auf eine Spiegelung in den Osten (rot gefärbt).

Für Jan Vogt, Pressesprecher des Breisgauvereins Segelflug, ist die Sache klar: „Die Spiegelvariante löst alle Probleme.“ Beim Gang über den Flugplatzrasen weht dem 31-jährigen Hobbypiloten der Wind kräftig um die Nase. „Er kommt heute aus Richtung Südwest, wie in 90 Prozent aller Fälle, wenn Wind weht“, erklärt Vogt. Genau das sei das Problem. Denn somit liegt die Landebahn im Luftloch hinter dem neuen Stadion. Schwer zu kalkulierende Verwirbelungen würden das Fliegen dramatisch erschweren: „Wir machen uns Sorgen um unser Leben“, sagt Vogt. Im schlimmsten Fall könne es das Flugzeug beim Landeanflug umdrehen. Eine risikofreie Landung sei mit dem neuen Stadion nicht garantiert.

Mit der „Spiegelvariante“ sieht er das Problem gelöst. Das Stadion würde auf der anderen Seite der Landebahn gebaut werden. Dafür wechseln Flughafenanlagen wie Hangare ebenfalls die Seite. Der Wind könne dann wie bisher über die Landebahn wehen. Für Vogt und seine Kollegen bautechnisch ein durchaus lösbares Vorhaben.

Im Rathaus teilt man diese Meinung nicht: Baubürgermeister Martin Haag sieht bei der Spiegellösung hohe Kosten auf die Stadt zukommen. „Das ist ein Riesenaufwand“, betont Haag beim Redaktionsbesuch. Dennoch betont er, nicht voreingenommen an die Sache ranzugehen. Bei der Offenlage der Pläne für den West-Entwurf hat die Bürgerinitiative die Spiegellösung eingebracht. Somit ist es Aufgabe seines Dezernats, beide Varianten auf Herz und Nieren zu prüfen, abzuwägen und dann den Gemeinderat entscheiden zu lassen. „Wir beschäftigen uns ausgiebig damit“, sagt Haag. Unter anderem werde ein „hoher fünfstelliger Betrag“ für eine Machbarkeitsstudie der Spiegellösung in die Hand genommen, an der neben dem Büro Albert Speer + Partner auch mehrere Gutachter mitwirken. „Wir gehen dem mit aller Seriosität nach“, sagt Haag. Ohne Vorurteile und vorgefertigte Ziele.

Von der BI wird genau das bezweifelt: „Sie werden die Spiegelvariante wegwägen“, sagt Rechtsanwalt Michael Bender. Er vertritt die BI und glaubt an ein Abwägen mit vorhersehbarem Ausgang. Es gehe nicht darum, herauszufinden, welche Variante besser ist, sondern nur darum, die nötigen Argumente für die Westvariante zu finden: „Politisch sind die Würfel gefallen.“

Freiburger Flieger wie Jan Vogt kämpfen für den Standort östlich der Landebahn.

Den Glauben verlieren möchte Udo Harter nicht: „Ich hoffe auf Vernunft und eine faire Betrachtung“, sagt der Leiter der Flugschule FFH Aviation Training. Er ist Erfinder der Spiegelvariante, CDU-Stadtrat und eine Instanz in Fliegerkreisen. Harter betont, dass bei einer Spiegelung nicht nur die Flugsicherheit gewahrt bleibe. Auch weitere Probleme würden gelöst. Etwa die des Lärms für Anwohner im Mooswald. „Die Entfernung des Stadions zum ersten Wohnhaus wird bei der Spiegellösung verdoppelt“, sagt Harter. Zudem müsse der Flugplatz nicht bei SC-Spielen gesperrt werden. Die Umsetzung sei sogar günstiger. „Umdenken ist immer unbequem“, sagt Harter. Er sei kein verklemmter Stadiongegner, hoffe vielmehr, dass sich Stadion und Flugplatz bereichern.

Kern des Schneewittchen-Problems bleibt die Gefahr fürs Fliegen. Einigkeit ist dort nicht in Sicht. Gutachten stehen gegen Gutachten. Die von der Verwaltung beauftragten Expertisen unterstreichen: Das Fliegen ist auch im Stadion-Windschatten möglich. Das Gegengutachten der Flieger zeigt das Gegenteil. Die Bürgerinitiative bemängelt ungenaues Arbeiten und ein zu grobes Raster.

BI-Anwalt Bender lässt kein gutes Haar an Gutachter Hartmut Fricke: „Er hat das Problem nicht verstanden“, schimpft der Jurist. Alles, was bei der Landung unterhalb von zehn Metern passiere, sei in dem groben Raster nicht gemessen worden. Doch erst ab da werde es richtig brenzlig. Haag verweist auf die jahrelange Expertise des Dresdner Experten. Für ihn ist die Kritik an den Haaren herbeigezogen.

Verwirrend bei dem Ganzen: Der zuständige Sachverständige beim Regierungspräsidium Freiburg, Horst Rieker, war ebenfalls nicht gänzlich überzeugt vom Fricke-Gutachten. Er wurde daraufhin jedoch anderweitig beschäftigt. „Ein politisch motiviertes Manöver“, wird hinter vorgehaltener Hand gemunkelt.

Baubürgermeister Martin Haag lässt derzeit beide Optionen „mit aller Sorgfalt“ prüfen. Doch die Fronten sind verhärtet.

So komplex die Lage, so einfach die Aussagen: „Die Verwaltungsvariante ist weniger praktikabel und maximal dumm“, poltert Bender. Mit einer Spiegelung könne der Widerstand besänftigt werden. Haag hält dagegen: „Das ist eine Binsenweisheit.“ Auch eine Spiegelung könne Klagen mit sich bringen. So liegt dann beispielsweise die Möbelmeile näher am Stadion. Unternehmer könnten sich eingeschränkt fühlen.

Fraglich ist auch, wie groß die zeitliche Verzögerung bei einer Umplanung wäre. Haag rechnet mit mehreren Jahren. Er führt zudem finanzielle Argumente ins Feld: In die bisherige Planung sei viel investiert worden. Alles neu aufzurollen, wäre kostspielig. Zumal die Westvariante 16 Millionen Euro Förderung durch das Land bringe, da die Uni Stadionparkplätze mitnutzen könne. Bei der Ostvariante sei dieser Zuschuss hinfällig, so Haag.

Wer sich vor Ort umschaut, dem könnte auch der Gedanke kommen, dass mit der Rhodia ein Störfallbetrieb näher ans Stadion heranrücken würde. Achtungsabstände zu publikumsintensiven Nutzungen sind da nötig.

Beide Seiten vermuten Taktik hinter den Aktionen der anderen. Am Horizont steht die Frage um die Zukunft des Flugplatzes. Einige Flieger-Pachtverträge sind auf 2031 datiert. Die Piloten befürchten, dann packen zu müssen, um Platz für Bürogebäude oder Ähnliches zu machen. Doch Harter weiß um das Gewicht des Areals, das schon 1995 einen Bürgerentscheid überstanden hat. „Der Flugplatz hat Weltkriege überlebt“, sagt er. Kein OB wolle derjenige sein, der ihn dichtmacht. Was Martin Horn dazu sagt? Er gibt sich bisher bedeckt, will sich ins Thema einarbeiten. Sosehr er viele Freiburger verzaubert hat, den Zauberspiegel aus Schneewittchen dürfte auch er nicht zur Hand haben.

Zuletzt wurde eine neue Grasbahn für Segel- und Motorflieger eingeweiht. Ein Lichtblick für die Flieger. Doch nichts, was den Ost-West-Zwist löst. Nächste Etappe ist nun eine mehr als 1000-seitige Vorlage für den Gemeinderat über Vor- und Nachteile der Varianten. Noch vor der Sommerpause soll es so weit sein, sagt Haag. Wenn alles glattgehe und keine Klagen eingereicht werden, könnten ab Oktober die Bagger rollen. Frühestmöglicher Anpfiff westlich der Landebahn: Herbst 2020.

Chronik: Freiburger Flugplatz

> 1907: Erster Flug auf dem Gelände: ein Heißluftballon.
> 1911: Beginn der zivilen Nutzung des Flugplatzes.
> 1930er-Jahre: Blütezeit durch militärische Nutzung.
> 1995: Bürgerentscheid zum Flugplatz, 71 Prozent stimmen für den Erhalt.
> 2015: Bürgerentscheid über den Stadionbau im Wolfswinkel. 58 Prozent stimmen dafür.
> Juli 2017: Udo Harter legt die Spiegelvariante vor.
> Aug. 2017: Der Siegerentwurf fürs Stadion ist da.
> Juni/Juli 2018: Der Gemeinderat soll über West- und Ostvariante entscheiden.
> Okt./Nov. 2018: Die ersten Bagger könnten rollen.
> Sept. 2020: Geplanter Anpfiff im neuen Stadion.
> 2031: Pachtverträge laufen aus. Verlängerung fraglich.

Fotos: © Till Neumann; Klaus Polkowski