Düstere Wolken: Ungewisse Perspektiven für viele Betriebe und Verbände Wirtschaft | 14.11.2022 | Philip Thomas, Till Neumann, Pascal Lienhard

Badische-Stahlwerke_Produktion

Volle Auftragsbücher, aber miserable Aussichten. So fasst die Handwerkskammer (HWK) Freiburg die Lage ihrer Betriebe zusammen. Auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) Südlicher Oberrhein, die Dehoga, der Wirtschaftsverband wvib und das Freiburger Rathaus blicken zum Teil sorgenvoll in die Zukunft. IHK-Hauptgeschäftsführer Dieter Salomon hält es gleichwohl für wahrscheinlich, dass man mit einem blauen Auge durch die Turbulenzen komme.

„Es brennt bei uns“

Ukraine-Krieg, Lieferketten-Probleme, Corona-Krise. Die Negativfaktoren sind zahlreich für die Handwerker in Freiburg. Das berichtet Johannes Ullrich im Oktober. Der HWK-Präsident sagt: „Es brennt bei uns.“

Dabei gibt es eigentlich genügend zu tun: „Die Auftragsbücher sind voll.“ Dennoch müssten immer öfter Baustellen eingestellt werden. Schon erteilte Aufträge würden wegen steigender Kosten zurückgezogen. Gestörte Abläufe hätten einen Dominoeffekt. Kurzarbeit sei teilweise angesagt. Der Himmel verdüstere sich.

„Lebensmittel sind systemrelevant“

Besonders betroffen seien derzeit unter anderem Brauer, Melzer oder auch Metzger, meldet die Handwerkskammer. Sie leiden unter steigenden Energiekosten und enormen Preissteigerungen. Der lange beklagte Fachkräftemangel ist da sogar in den Hintergrund gerückt. Sofortige Hilfe wird eingefordert. Nicht erst in einem halben Jahr. „Lebensmittel sind systemrelevant“, betonen Ullrich und Handirk von Ungern-Sternberg von der Geschäftsleitung der HWK.

Ob eine Insolvenzwelle drohe? „Dazu ist keine seriöse Prognose möglich“, sagt Ungern-Sternberg. Bisher habe keiner der Betriebe Insolvenz angemeldet.

Spüren die Krise deutlich: Die Betreiber der Feinkostmetzgerei Jürgen Pum und Angela Vogel-Pum

„Öfen laufen Tag und Nacht“

Wie ernst die Lage ist, zeigt sich auch bei der Feinkost-Metzgerei Pum. Mit dem Geschäft an der Lehener Straße, einem Foodtruck und einem Catering-Service ist der Betrieb breit aufgestellt. Für Geschäftsführer Jürgen Pum ist das ein Vorteil. „Nur die Metzgerei wäre schwierig“, sagt der 61-Jährige. Die Kaufzurückhaltung der Kunden sei deutlich – gerade bei hochpreisigen Waren.

„Unsere Öfen laufen Tag und Nacht“, sagt Pum. Der Energieverbrauch ist groß. Sein Vertrag sichere ihm bis Ende 2023 gleichbleibende Konditionen zu. Pum ist sicher: Bei einem neuen Vertrag würden die Kosten um etwa das Vierfache steigen. Aktuell zahlt er 1700 Euro im Monat. Würde es jetzt in dem Rahmen teurer, würde er hinschmeißen. Die Glasfront seines Geschäfts hat er bereits erneuern lassen, um Heizkosten zu sparen.

Hahn statt Weihnachtsgans

„Wir sind doppelt und dreifach betroffen“, berichtet Pum. Corona, massive Preiserhöhungen und die Energiefrage kommen zusammen. „Das habe ich in 38 Jahren noch nicht erlebt“, betont der Freiburger. Früher seien die Preise im Einkauf mal um zwei oder zehn Cent gestiegen. Jetzt koste die Weihnachtsgans gleich zwei Euro mehr. Eine Steigerung um 20 Prozent. Gerade das Weihnachtsgeschäft könnte bitter werden: Mehrere hundert Vorbestellungen hatte Pum in den vergangenen Jahren für Weihnachtsgänse. Jetzt greife der Kunde eher zu zwei Hähnchen.

Auch das Gastgewerbe ist getroffen: Kostensteigerungen und Inflation machen sich laut Daniel Ohl, Sprecher vom Hotel- und Gaststättenverband Dehoga Baden-Württemberg, in vielen Betrieben bereits bemerkbar. „Wir liegen beim Umsatz unter dem Vorkrisen-Niveau von 2019“, sagt Ohl. Neben Preissteigerungen von Lebensmitteln und Energie sei auch Personal, etwa durch die Mindestlohnanhebung, teurer geworden –und knapper. „Das Gastgewerbe hat während der langen Corona-Lockdowns viele Mitarbeitende verloren. Der daraus resultierende Mangel hat Auswirkungen auf die Entwicklung der Personalkosten“, so Ohl.

„Versorgung ist existenznotwendig“

Dennoch lag die Teuerung laut Verbraucherpreisindex bei gastgewerblichen Dienstleistungen im September mit 7,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat unter der allgemeinen Inflationsrate von 10 Prozent. „Mit der Nachfragesituation sind wir dennoch in Anbetracht der Umstände nicht unzufrieden. Erfreulicherweise wollen viele Menschen auf Urlaub, Geselligkeit und kulinarische Erlebnisse nicht verzichten“, sagt Ohl.

Hotels und Gaststätten optimierten Abläufe und Kosten, wo es nur geht. „Dazu kann eine Vereinfachung oder Verkleinerung der Speisekarte gehören oder auch die Streichung umsatzschwacher, nicht kostendeckender Öffnungszeiten“, erläutert Ohl. Er appelliert an den Bund: „Die gesicherte Versorgung mit bezahlbarer Energie ist existenznotwendig.“

»Stehen an Schwelle zur Rezession«

Macht sich Sorgen: Christoph Münzer

In die gleiche Kerbe schlägt auch der Wirtschaftsverband wvib. „Am meisten zu schaffen machen der Industrie noch immer steigende Energiepreise“, erklärt Hauptgeschäftsführer Christoph Münzer. Sein Verband vertritt rund 1045 produzierende Unternehmen, 384.000 Beschäftigte, sie erwirtschaften einen weltweiten Umsatz von 75 Milliarden Euro.

Münzer blickt sorgenvoll in die Zukunft: „Wir stehen an der Schwelle zur Rezession, auch wenn es derzeit noch erstaunlich gut läuft.“ Die Angst vor einer Gasmangellage sowie explodierende Energiekosten hatten jedoch noch keinen signifikanten Einfluss auf die Quartalszahlen der Industrieunternehmen der Schwarzwald AG. Unter dem Strich sei eine wirtschaftliche Abwärtsbewegung unverkennbar, „aber weniger dramatisch als befürchtet“. Insolvenzen gab es unter dem Dach der AG im Oktober laut Münzer nicht.

„Unruhe in die ganze Lieferkette“

Am meisten von den steigenden Energiepreisen betroffen seien Produktionsunternehmen wie Gießereien, Umformer oder Kunststoffhersteller. Doch nicht nur diese: „Das bringt Unruhe in die ganze Lieferkette“, so Münzer. Besonders in der Klemme seien auch jene, die gestiegene Kosten nicht an ihre Kunden weitergeben können. „Das sind häufig Zulieferer in der Automobilbranche“, erklärt Münzer.

Er begrüßt die geplante Gaspreisbremse der Bundesregierung. Eine Deckelung auf 7 Cent pro Kilowattstunde für 70 Prozent des Verbrauchs biete Unternehmen eine klare Perspektive. Vorausgesetzt, die Preisgarantie kommt: „Wir hoffen, dass diese Maßnahme nicht durch Europarecht oder komplizierte Förderanträge und Vorgaben aus-
gebremst wird.“

Stahlwerke unter Druck

Langfristig dürfe die Industrie vor lauter Wumms ihre strategischen Ziele nicht aus den Augen verlieren: „Wir brauchen in Zukunft Unmengen bezahlbarer Energie, vor allem erneuerbare. Wir müssen gleichzeitig die Stoßrichtung der Preissignale an die Marktteilnehmer durchstellen, sonst investiert keiner in Einsparmöglichkeiten und wir blockieren die Energiewende.“ Münzer ist sicher: Mit Subventionen – und auch dem kurzfristigen Reaktivieren von Reaktoren aller Sorten – könne man Zeit kaufen, „die wir konsequenter nutzen müssen“.

Die jüngsten Entschlüsse der Regierung sind auf offene Ohren gestoßen: Die Badische Stahlwerke GmbH (BSW) produziert am Standort Kehl mit 865 Beschäftigten jährlich bis zu 2,4 Millionen Tonnen Baustahl. Geschäftsführer Markus Menges begrüßt die Berliner Maßnahmen als „richtigen und wichtigen“ Beschluss. Schon jetzt sind die Folgen der Krise spürbar. Höhere Absatzpreise führen zu einer sinkenden Nachfrage. „Als Stahlwerk stehen wir im intensiven internationalen Wettbewerb, und verschiedene europäische Länder haben längst Maßnahmen ergriffen, um die explodierenden Energiekosten einzudämmen“, so Menges.

Bäder und VAG betroffen

Das Herzstück der Stahlschmelze sind zwei Elektro-Lichtbogenöfen, in denen der Stahlschrott bei hohen Temperaturen geschmolzen wird. Die Öfen werden weit überwiegend elektrisch mit Strom betrieben – zu einem geringeren Anteil auch mit Erdgas. Der Anteil der Energiekosten an den Gesamtkosten liegt laut BSW bei 40 Prozent und hat „in den letzten zwei Jahren erheblich zugenommen”.

An der Freiburger Stadtverwaltung geht die multiple Krisenlage ebenfalls nicht spurlos vorbei. „Durch die Energiekrise in Folge des Ukraine-Krieges entstehen Mehrkosten, die aktuell im Rahmen der Doppelhaushaltsberatungen 2023/24 diskutiert werden“, sagt Rathaussprecher Toni Klein. Etwaige Rettungspakete würden so gut wie möglich berücksichtigt. Betroffen von der Energiekrise sind auch städtische Gesellschaften wie die Bäder oder die VAG, hier liegt der Fokus vor allem auf Strom. Die gestiegenen Kosten würden aktuell unter Berücksichtigung etwaiger Rettungspakete in die Wirtschaftspläne für 2023 eingearbeitet, berichtet Klein.

Bleibt nicht unverschont: Auch die Freiburger Verkehrs AG (VAG) spürt die Krise.

Aussichten wie bei der Weltfinanzkrise

Laut Freiburger Finanzbericht vom Juli muss die Stadtverwaltung in den kommenden zwei Jahren rund 27 Millionen Euro mehr für Energie ausgeben. Sorge bereitet vielen die Erhöhung des Leitzinses durch die Europäische Zentralbank. Aktuell liegt dieser bei zwei Prozent. Auch die Stadt müsse grundsätzlich mit steigenden Zinsen für Kredite rechnen, so Klein. Das führe tendenziell zu einer gewissen Belastung im Ergebnishaushalt. Die Altschulden seien hiervon allerdings nicht betroffen.

Dieter Salomon ist Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Südlicher Oberrhein. Der 62-Jährige berichtet von einer Konjunkturumfrage, nach der die in der IHK organisierten Unternehmen noch eine überwiegend positive Geschäftslage hätten. „Die Aussichten auf die kommenden zwölf Monate hingegen sind so negativ wie seit der Weltfinanzkrise nicht mehr“, fügt er hinzu. Energie sei ein substanzieller Faktor der wirtschaftlichen Aktivität. Auf eine so plötzliche und so starke Verteuerung könnten Unternehmen nicht reagieren, ohne dass es zu Reibungsverlusten komme.

Nicht ohne Wohlstandsverluste

Besonders betroffen seien Unternehmen mit hohem Energieverbrauch. Aber auch für das Hotel- und Gastgewerbe sei es beispielsweise schwer, die gestiegenen Kosten so schnell auf die Kunden umzulegen. „In den kommenden Monaten wird aber nicht nur der Preis, sondern vor allem auch die Verfügbarkeit von Gas eine Rolle spielen“, glaubt Salomon. Sollten Gasmengen nur eingeschränkt zur Verfügung stehen, würden Industrieunternehmen ihre Produktion eventuell drosseln müssen, was sich gesamtkonjunkturell sehr stark auswirken würde.

Von einer Wirtschaftskrise lasse sich noch nicht sprechen. Das könne sich aber ändern. Maßgeblich sei, inwieweit die Versorgung mit Gas und Energie generell gewährleistet werden könne – und zu welchem Preis: „Ganz ohne Wohlstandsverluste werden wir nicht aus der aktuellen Situation kommen.“ Das zeige nicht zuletzt die hohe Inflation.

Nur ein blaues Auge

Eine Prognose, wie sich die Lage entwickeln wird, will Salomon nicht abgeben: „Allerdings sollten wir aber auch nicht in Panik verfallen.“ Das wahrscheinlichste Szenario sei, dass man mit einem blauen Auge durch die Turbulenzen komme. Und das mit dem klaren Auftrag, die Energieversorgung zu diversifizieren und in Zukunft strategischer zu entwickeln. „Weitere Importbeziehungen müssen aufgebaut werden, und bei uns muss der Ausbau der erneuerbaren Energien noch entschlossener vorangetrieben werden“, fordert Salomon. Dazu müssten auch unangenehme Themen wie die Verschlankung von Genehmigungsprozessen mutiger angegangen werden.

Foto: © Badische Stahlwerke GmbH, Till Neumann, Wirtschaftsverband wvib