Weniger Arbeit, mehr Leistung? 4-Tage-Woche wird erfolgreich getestet Wirtschaft | 24.02.2023 | Till Neumann

Montur einer Solaranlage Gefordert: Die Monteure von Ageff

Einen Tag weniger schuften, aber das gleiche verdienen. Kann das klappen? Ja, zeigen verschiedene Studien. Belgien hat die 4-Tage-Woche sogar gesetzlich verankert. Doch ohne ein Recht auf weniger Arbeit. Ein Freiburger Betrieb nutzt das Teilzeitmodell schon seit Jahren mit Erfolg. Und ein Forscher hält es für die Arbeitsweise der Zukunft.

Markus Franz ist Chef der Freiburger Firma Ageff. 2009 hat er sich mit dem Betrieb für Photovoltaikanlagen selbstständig gemacht. Seit 2016 hat er Angestellte. Schon sein erster Monteur setzte auf eine 4-Tage-Woche. Mittlerweile sind auch 3-Tage-Wochen möglich. Franz ist überzeugt: „Gerade im Bereich der Installationstätigkeit der Photovoltaik-Module auf dem Dach können wir von einem anspruchsvollen körperlichen Job sprechen.“

Weniger Belastung, mehr Motivation

Markus Franz

Er setzt die 4-Tage-Woche in Freiburg um: Markus Franz, Chef von Ageff Solar.

Aus eigener Erfahrung wisse er, dass so ein Job in Vollzeit nicht auf Dauer machbar wäre. Die Folgen der Überlastung: „Körperliche Beschwerden, Überbelastungen oder Unzufriedenheit und damit Fluktuation“. Der 51-Jährige weiß um die Herausforderungen: „Unsere Solarteure arbeiten das ganze Jahr durch, bei jedem Wetter und jeglicher Temperatur.“ Den Freitag gibt er daher gerne frei. An den anderen Tagen müssen seine Monteure in Vollzeit ran.

Im Gegensatz zu anderen Firmen, die auf vier Tage Arbeit für fünf Tage Gehalt setzen, zahlt Franz jedoch nur die gearbeiteten Tage. Es ist also ein Teilzeitmodell. Doch mit dem gleichen Ansatz: Weniger Belastung bringt mehr Motivation, Zufriedenheit und Leistung. Mit ruhiger Stimme erzählt der Solarpionier von einem Modell, dass so manchen Arbeitgeber in Wallung bringt. Angestellte einfach weniger schaffen lassen – da bleibt doch vieles liegen?

„Extrem gute Ergebnisse“

Nein, sagt der Arbeitsmarktforscher Philipp Frey. „Wenn man den Arbeitsprozess reorganisiert, geht es.“ Der 36-Jährige vom Institut für Technologiefolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) in Karlsruhe begleitet Studien und Feldversuche zur 4-Tage-Woche im In- und Ausland. „Die Ergebnisse sind extrem gut“, berichtet Frey. Beispielsweise bei einem Testballon mit mehr als 70 Unternehmen und 3300 Angestellten in Großbritannien. Dort bekommen alle für zunächst sechs Monate bei vollem Gehalt einen zusätzlichen freien Tag. „Rund 90 Prozent der Firmen können sich vorstellen, dauerhaft so umzustellen“, berichtet Frey. Das ergab die Halbzeitbilanz im Herbst.

Philipp Frey

Erforscht das Modell: Philipp Frey

Macht weniger Arbeit produktiver? Auch hier sagt Frey ja. „Wir Forscher erwarten, dass es mit einem 50-50-Verhältnis klappt.“ Um 50 Prozent würden die Angestellten effizienter. Und für 50 Prozent der wegfallenden Leistung brauchte es einen Personalausgleich. Doch Frey meldet Überraschendes: „Die britische Untersuchung zeigt: Es geht ohne Personalausgleich, alle kommen ohne Neueinstellungen aus.“ Das führt er auf höhere Motivation und mehr Ausgeruhtheit zurück. Der Umsatz von Firmen, die an einem amerikanisch-irischen Feldversuch teilnahmen, sei sogar um acht Prozent gestiegen.

„Wir hinken hinterher“

Auch als Antwort auf den Fachkräftemangel wird die 4-Tage-Woche gepriesen. Frey ist davon überzeugt: Unternehmen im In- und Ausland berichteten von steigenden Bewerberzahlen als Effekt. „Bei einem waren es sogar fünf- bis sechsmal so viele wie zuvor.“ Auch deutsche Handwerksunternehmen berichten von dem Effekt. Wenig verwunderlich findet er das.

Für den Karlsruher ist es das Modell der Zukunft. Und in jeder Branche anwendbar, doch mit Unterschieden: „Zum Beispiel in der Pflege ist es unrealistisch ohne Personalausgleich.“ Das Deutsche Rote Kreuz in Sangershausen (Sachsen-Anhalt) will dabei in Deutschland Vorreiter werden. Ab 2024 sollen 400 Angestellte nur noch vier Tage die Woche arbeiten – bei vollem Lohn. Für Deutschland wünscht sich Frey einen Feldversuch wie in Großbritannien. Auch Spanien, Island, Portugal seien schon weiter. „Wir hinken hinterher“, sagt Frey.

Ein Grund für die positiven Studienergebnisse ist für Frey auch: „Das sind Firmen, die sich aktiv dafür entschieden und darauf vorbereitet haben.“ Alle hätten sich drei Monate Zeit genommen für den Start und mit der Belegschaft überlegt, wo Zeit eingespart werden könne. Oft würde die Zahl der Meetings reduziert – und ihre Dauer. Auch die Investition in neue Technologien oder Software sei ein guter Weg.

Noch nie Personalsorgen gehabt

Zudem werde die Einführung von sogenannter Focus Time erprobt. „Für drei Stunden werden die Telefone in Büros am Vormittag stummgeschaltet, damit die Angestellten in Ruhe arbeiten können“, erklärt Frey. Das funktioniere gut. Untersuchungen zeigten, dass es nach jeder Unterbrechung ein paar Minuten dauere, bis man wieder konzentriert arbeiten könne. Das ganze Team mitzunehmen, ist für den Karlsruher essentiell: „Sonst haben sie Angst vor Verdichtung.“

Die Zahl der Unternehmen in Deutschland, die das Modell erproben, ist überschaubar. Auch in Freiburg kennt die Handwerkskammer nur Ageff als Beispiel. HWK-Präsident Johannes Ullrich ist skeptisch, ob das so einfach funktioniert: „Der Wunsch nach mehr Work-Life-Balance, insbesondere der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ist verständlich und nachvollziehbar.“ Viele Betriebe versuchten bereits, ihren Angestellten hier entgegenzukommen. „Doch mit den dringenden gesellschaftlichen Aufgaben, vor denen das Handwerk steht, ist eine Arbeitszeitverkürzung schwierig in Einklang zu bringen.“ Hinzu komme der eklatante Fachkräftemangel, der die Situation zusätzlich verkompliziert. Ullrich sagt: „Ob sich die 4-Tage-Woche im Handwerk umsetzen lässt, hängt auch stark vom jeweiligen Gewerk ab.“

Markus Franz von Ageff kann nur schwärmen: Er hatte noch nie Personalsorgen bei seinen Monteuren. Und das Tempo stimme: „Die Produktivität ist fast die gleiche wie bei fünf Tagen.“ Wenn jemand zwei Jahre ackere und dann ein halbes Jahr krankgeschrieben sei, wäre nichts gewonnen. Erzählen kann er das alles an diesem Freitag in ruhiger Umgebung. Außer ihm ist fast keiner da.

Fotos: © ageff; privat; Till Neumann