Wohlstandsverluste am Horizont: Die Bankbosse Uwe Barth und Daniel Zeiler im Interview Wirtschaft | 15.03.2024 | Lars Bargmann

Auf dem Bild sind Uwe Barth (Volksbank), Daniel Zeiler (Sparkasse) und Lars Bargmann zusehen Konkurrenten und Kollegen: Uwe Barth (l.) und Daniel Zeiler (r.) sprachen im Stellwerk der Lokhalle mit Lars Bargmann über ihre Bilanzen.

Mehr als 23 Milliarden Euro. So viel Geld betreuen die Volksbank und die Sparkasse in Freiburg für ihre Kundschaft. Die Zinswende lässt die eigenen Erträge in den Bilanzen wieder steigen. Im Gespräch mit Chefredakteur Lars Bargmann reden die Vorstandsvorsitzenden Uwe Barth (Volksbank)  und Daniel Zeiler (Sparkasse) über Schuldenbremse und Inflation, Bauwirtschaft und Remigration. Beide bekräftigen, dass das Kürzel AfD auch für „Armut für Deutschland“ stehen könnte.

bib: Viele Experten, nicht zuletzt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, fordern eine reformierte Schuldenbremse. Finanzminister Christian Lindner verteidigt sie unbeirrt. Wie schätzen Sie das ein?

Barth: Der Bundeshaushalt 2024 hat ein Volumen von knapp 480 Milliarden Euro. Die viertgrößte Ausgabenposition sind mit knapp 40 Milliarden die Bundesschulden. Und da die Zinsen zuletzt niedrig waren, wird sich der Posten sehr schnell noch erhöhen. Dann haben wir noch die impliziten Schulden, die nirgends stehen, beispielsweise die Renten und andere Verpflichtungen. Das sind alles Belastungen, und je größer die sind, umso weniger wettbewerbsfähig und handlungsfähig wird ein Staat für Investitionen. Die Schuldenbremse hat ihre Berechtigung und es ist gut, dass die im Grundgesetz verankert ist. Es ist aber auch sinnvoll, über eine Reform nachzudenken, etwa um zukunftsgerichtete Investitionen für künftige Generationen nicht zu stark zu blockieren.

bib: Herr Zeiler, teilen Sie die Ein­schätzung?

Zeiler: Absolut. Auch Sie würden ja nicht hergehen, Schulden machen und sagen, meine Kinder bezahlen das irgendwann. Letztlich muss man sich Schulden leisten können. Wenn ich über eine Schuldenbremse diskutiere, muss ich auch über das Ausgabeverhalten diskutieren. Also wo kann ich was einsparen, wofür möchte ich Geld ausgeben? Wenn ich eine neue Brücke baue, dann wird die 50 Jahre halten, da haben auch die Kinder etwas davon. Aber etwa für Transferleistungen Schulden aufzunehmen, ist nicht gen­erationengerecht.

bib: Die deutsche Schuldenquote liegt ungefähr bei 65 Prozent. Griechenland (165), Italien (140), Frankreich (111), Spanien (110), Belgien (108), Portugal (107) liegen alle über 100. Wie sinnvoll sind so „niedrige“ Schulden im internationalen Wettbewerb?

Barth: Das hat man an der Pandemie gesehen. Der deutsche Staat konnte sehr viel ausgeben, weil er sich das leisten konnte.

Zeiler: Die Wettbewerbsfähigkeit würde ich nicht nur an der Quote festmachen. Man kann nicht sagen, ob 50, 80 oder 130 Prozent gut sind. Nehmen wir doch Griechenland. Die Schuldenquote ist hoch, aber das Land hat sich in Europa beim Wirtschaftswachstum fast zu einem Musterschüler entwickelt.

Ein Bild von dem Vorstandsvorsitzendem Uwe Barth (Volksbank)

Uwe Barth: Geldwertstabilität ist sehr hoch zu gewichten.

bib: Die Inflation ist im Januar auf 2,9 Prozent zurückgegangen. Der niedrigste Wert seit Juni 2021. In der Spitze lag sie bei 8,8 Prozent. Ist es Zeit, den Leitzins wieder etwas zurückzudrehen?

Barth: Wir hatten letztes Jahr eine milde Rezession und für 2024 sind die Wachstumsraten noch mal nach unten korrigiert worden. Auf der anderen Seite haben wir immer noch eine Geldentwertung über dem Stabilitätsziel von 2,0 Prozent. Die Geldwertstabilität ist sehr hoch zu gewichten. Jetzt schon eine Zinsreduktion zu fordern, ist zu früh. Ich sehe eher eine Seitwärtsbewegung, auch mit Blick auf die Tarifabschlüsse und die Preissteigerungsraten.

Zeiler: Die Kerninflation (ohne Lebensmittel und Energie, d. Red.) liegt deutlich über 2,9 Prozent. Ich wäre jetzt auch vorsichtig mit Signalen zur Leitzinssenkung. Wenn die Inflation dann wieder nach oben ginge, weil man zu früh gesenkt hat, dann verspielt die Zentralbank auch ein bisschen ihren Ruf als diejenige, die die Inflation bekämpfen kann. Ich glaube nicht, dass vor dem Herbst viel passiert.

bib: Die Tarifabschlüsse lagen zuletzt oft über zehn Prozent. Früher galt die Formel, dass moderate Lohnsteigerungen ein Garant für den Wohlstand sind. Droht eine weitere Lohn-Preis-Spirale?

Barth: Diese Tarifabschlüsse und Lohnsteigerungen sind schon wichtig in Anbetracht der Inflation. Die Frage nach dem berühmten Augenmaß ist schwer zu beantworten. Was ist zu viel? Was ist zu wenig?

bib: Ist zweistellig zu viel?

Barth: Ich würde sagen, das ist zu viel. Wenn ein Mittelständler plötzlich zweistellige Lohnsteigerungen hat, ist das schon heftig. Das gilt übrigens auch für den Staat.

Zeiler: Das Thema wird mittel- bis langfristig extrem spannend, weil wir den demografischen Wandel haben. Es gibt immer weniger Arbeitskräfte, das verbessert natürlich die Verhandlungsoptionen auf Arbeitnehmerseite. Noch sehe ich aber keine extreme Lohn-Preis-Spirale.

bib: Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, hatte beim Freiburger IHK-Neujahrsempfang gesagt, dass das Arbeitsvolumen hierzulande in den nächsten Jahren negativ zum Wirtschaftswachstum beiträgt. Deutsch­land brauche jährlich 1,5 Millionen Menschen, die zuwandern, nur um den Status quo zu erhalten. Andere reden über Remigration …

Barth: Die Leute, die über Remigration sprechen, haben wirtschaftliche Zusammenhänge nicht verstanden. Und viele andere Themen auch nicht. Wir brauchen dringend Fachkräfte. Das ist das wichtigste Zukunftsthema, wenn wir über Wirtschaftswachstum, über unseren Wohlstand sprechen. Was wir brauchen, ist eine intelligente Arbeitsmigration, die es schafft, die Menschen in qualifizierte Arbeit zu führen.

Zeiler: Wir werden den demografischen Wandel nicht ohne Zuwanderung auffangen. Das liegt auf der Hand.

bib: Wäre die Abkürzung AfD in diesem Sinne mit „Armut für Deutschland“ auszubuchstabieren?

Barth: Ja.

Zeiler: Ja, das ist so. In das Thema Arbeitsvolumen spielen aber auch andere Tendenzen wie eine Viertagewoche mit rein. Wer solche Diskussionen führt, muss auch sagen, was wir uns in Zukunft alles nicht mehr erlauben können. Haben die Geschäfte noch sechs Tage auf? Unsere Filialen? Die Schwimm­bäder?

Ein Bild von Vorstandsvorsitzendem Daniel Zeiler (Sparkasse)

Daniel Zeiler: Bauen ist viel zu teuer geworden.

bib: Firmen nutzen die Viertagewoche als Recruiting-Instrument …

Zeiler: Aber das bringt uns ja gesamtwirtschaftlich nicht weiter. Weniger Arbeit führt zu Wohlstandsverlusten.

Barth: Und die Straßenbahn fährt dann auch nicht mehr jeden Tag und das Krankenhaus hat am Sonntag zu. Wenn die Menschen weniger arbeiten, brauche ich mehr Menschen für die gleiche Arbeit. Ohne Zuwanderung geht’s nicht.

bib: Ihre Bilanzen sind ein Spiegel der Wirtschaft in Südbaden. Was spiegeln sie für 2023? Höhere Wertberichtigungen?

Zeiler: Sie spiegeln eine resiliente Unternehmenslandschaft in einer ausgewogenen, differenzierten Wirtschafts­struktur. Wir haben hier keinen einseitigen Schwerpunkt oder Cluster. Aber wir haben vielleicht sogar noch größere Zukunftschancen als andere Regionen, weil wir ein sehr gutes Forschungsumfeld haben, eine erfolgreiche Uni, eine gute Uniklinik, renommierte Fraunhofer-Institute. Wir sehen insgesamt einen leicht steigenden Wertberichtigungsbedarf, teilweise getrieben von Einzelfällen, sind aber immer noch auf sehr niedrigem Niveau.

Barth: Ich begleite seit 31 Jahren mittelständische Unternehmen. Es wurde nicht nur einmal von Krise gesprochen, und ich habe in all diesen Jahren noch nie eine Krise oder ein Unternehmenssterben auf breiter Front erlebt. Freiburg ist ein Dienstleistungsstandort, der nicht von einzelnen Branchen abhängig ist. Deswegen geht es in Boomzeiten nicht stark nach oben, aber in Krisenzeiten sind wir stabiler. Wir hatten letztes Jahr relativ geringe Wertberichtigungen in unserem Kreditgeschäft. Obwohl wir am Anfang der Pandemie fest damit gerechnet haben, dass wir deutlich höhere Wertberichtigungen haben würden.

bib: In den Konjunkturumfragen der Verbände, ob nun HWK, IHK oder WVIB, trägt der Himmel seit zwei Jahren immer viele dunkle Wolken …

Zeiler: Das widerspricht sich nicht. Viele Firmen befinden sich in einem sehr herausfordernden Umfeld. Haben Probleme mit Fachkräften, spüren Auftragsrückgänge, die schwächelnde Wirtschaft. Aber da geht es nicht ums Existenzielle. Die meisten Firmen kommen aus sehr guten Jahren, haben ihr Eigenkapital aufgestockt.

bib: Das trifft auch auf die meisten Bauträger zu. Aber die sehen tatsächlich dunkle Wolken. Und die Häuslebauer auch. Hohe Zinsen, hohe Baukosten und geringere Haushaltseinkommen sind eine toxische Mischung …

Barth: Ob die aktuellen Zinsen da eine Hauptrolle spielen, darüber könnten wir einen Tag lang diskutieren. Der niedrige Zins hat in den letzten Jahren viel kaschiert. Viele konnten sich deswegen Eigentum leisten. Jetzt ist es schwieriger und der Käuferkreis ist derzeit deutlich kleiner. Aber wir haben seit Jahresbeginn schon wieder eine höhere Nachfrage im Baufinanzierungsbereich.

Zeiler: Das Zinsniveau mit drei oder vier Prozent ist im langfristigen Vergleich nicht hoch. Wir haben viele Kunden, die haben mit acht oder neun Prozent finanziert. Es ist einfach das Bauen selber, das in Deutschland viel zu teuer geworden ist. Man muss diskutieren, ob man immer alle Vorschriften anwenden muss.

Barth: Und wir brauchen eine stabile und verlässliche Förderlandschaft. Die Unsicherheit ist groß, das muss die Politik in den Griff kriegen.

Zeiler: Absolut, und wir brauchen dringend mehr Angebot. Solange die Nachfrage das Angebot deutlich übersteigt, werden die Preise hoch bleiben.

Barth: Und deswegen braucht man auch nicht von einer Immobilienkrise zu sprechen.

bib: Herr Barth, Herr Zeiler, vielen Dank für dieses Gespräch.

 

Fotos: © Till Neumann