Open-Air der anderen Art: Der Klangparcours am Freiburger Waldsee 4Event | 08.09.2023 | Pascal Lienhard
Zieht ein Gewitter auf? Da ist doch eindeutig Donnergrollen zu hören, wenig später Regentropfen, dann Hagel. Dieser Tage ist ein kurzes Unwetter eigentlich keiner Erwähnung wert. Wohl aber, wenn es wie am Freiburger Waldsee rein musikalisch daherkommt. Bei großem Andrang ist der Freiburger Verein Mehrklang gestern in die achte Auflage seines Klangparcours gestartet.
Mehrklang ist die Freiburger Gesellschaft für Neue Musik. Viele bekommen es da mit der Angst zu tun. Schließlich geht es hier nicht per se um Releases aktueller Acts. Gemeint sind zeitgenössische Stücke, die im Alltagsgebrauch als „Klassik“ bezeichnet werden. Und Stücke zeitgenössischer „klassischer“ Komponist*innen stehen nicht im Verdacht, vergnügungssteuerpflichtig zu sein. Oft werden sie als kompliziert, verwirrend oder elitär beschrieben.
Vögel im Background
Solchen Klischees sagt Mehrklang seit 15 Jahren den Kampf an. Etwa mit dem Klangparcours. Nach dem Gastspiel in den Kellern der Brauerei Ganter im Juli diesen Jahres steigt der nun auch wieder ganz traditionell am Waldsee. Rund 25 Musiker*innen verteilen sich dieses Jahr auf sechs Stationen um den See. Die Idee hinter dem Open-Air der anderen Art: Naturklang und Klangnatur sollen in einen harmonischen Einklang gebracht werden. „Wir kreieren jedes Jahr ein neues Konzept“, erklärt Geschäftsführerin Beate Rieker.
Die ersten Klänge des Abends kommen aus zwei Booten auf dem See. In einem performt Inga Schäfer, die seit der Spielzeit 2017/18 Ensemblemitglied am Theater Freiburg ist. Ihr Interesse an Neuer Musik bewog sie einst zum Masterstudium bei Angelika Luz. Die hat es sich heute im zweiten Boot gemütlich gemacht. Gemeinsam singen die Frauen Stücke von Iris Szeghy und Giacinto Scelsi. In der Natur hat die Interpretation der Werke eine ganz besondere Wirkung. Die Stimmen der Sopranistinnen vermischen sich mit denen der Vögel auf den umliegenden Bäumen. Einen solchen Backgroundgesang sucht man in Konzertsälen vergebens.
Neue Musik kann lässig sein
Nach jeder Station tingeln die Gäste ein paar Meter weiter um den See, um den nächsten Act zu erreichen. Doch auch während der Vorführungen bewegt sich das Publikum frei und entscheidet selbst, aus welcher Position es die Musik erleben will. Dabei interpretiert etwa Yidan Chang an der Trompete ein Stück des Niederländers Martijn Padding und kreiert eine jazzangehauchte Atmosphäre.
Flötist Magnus Mihm hat es sich für ein Werk des einflussreichen englischen Komponisten Brian Ferneyhough auf einem Baum gemütlich gemacht. So anspruchsvoll und ungewohnt die Klänge hier auch sein mögen – durch die lässige Performance im Geäst verleiht der Instrumentalist dem Stück eine unerwartete Leichtigkeit. Kurz darauf performt der Musikverein Littenweiler unter Leitung von Michael Kiedaisch ein eigens für den Klangparcours geschriebenes Stück, das gleichzeitig anarchisch wirkt und doch von hoher Präzision gekennzeichnet ist.
Den Höhepunkt markiert eine Ode an Thor. Das Stück an den germanischen Gott der Blitze hat Mehrklang-Vorstand Bernhard Wulff geschrieben, präsentiert wird es vom Freiburger Schlagzeugensemble. Das Quinett hat sich mit Trommeln und Donnerblechen an verschiedenen Stellen um den See herum positioniert. Das verstärkt den Eindruck, ein Unwetter hautnah mitzuerleben.
Zum Abschluss zeigen Studierende der Musikhochschule Freiburg, welch unterschiedliche Klänge sich mit Wasser erzeugen lassen: Hier ein Blubbern, da ein Plätschern, dort eine Performance mit gefüllten Weingläsern. Als Premiere beim Klangparcours werden auch die Gäste eingebunden.
Mehrklang gastiert am Sonntag noch einmal mit dem Klangparcours am Waldsee, die Vorführungen sind um 11, 13 und 15 Uhr. Info gibt’s hier.
Fotos: © Pascal Lienhard
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