Immer umstritten: Wie die Bundesprüfstelle die Jugend schützt Gesellschaft | 13.10.2020 | Stella D’Aiuto

Frau hält sich Augen zu sitz vor Laptop

Bücher. Jeder liest sie. Aber gibt es Altersbeschränkungen? Was geschieht mit den Wälzern, die fragwürdige oder gar illegale Sachen enthalten? Und was ist eigentlich mit Spielen und Filmen? Im Interview mit f79-Autorin Stella D’Aiuto erklärt der stellvertretende Vorsitzende der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, Thomas Salzmann (44), wie Medien indiziert werden und wer diese Entscheidungen fällt.

f79 // Herr Salzmann, warum müssen Bücher geprüft werden?
Salzmann // Die Bundesprüfstelle prüft auf Antrag oder Anregung von Behörden oder Trägern der freien Jugendhilfe Medien auf ihren jugendgefährdenden Inhalt. Wer ein Buch veröffentlichen will, muss also nicht den Staat vorab um Erlaubnis fragen, sondern kann dies unter Einhaltung der Gesetze tun.

f79 //  Was passiert, wenn sich ein Verlag nicht daran hält?
Salzmann // Die Bundesprüfstelle führt die Liste der jugendgefährdenden Medien, den sogenannten „Index“, und kann Bücher „indizieren“. Die Indizierung führt zu umfangreichen Verbreitungs- und Werbebeschränkungen gegenüber Kindern und Jugendlichen auf der Grundlage des Jugendschutzgesetzes. 

f79 // Kontrolliert die Bundesprüfstelle auch Filme und Spiele?
Salzmann // Ja, für Filme und Spiele haben wir in Deutschland zusätzlich die FSK und USK-Kennzeichen. Wenn solch ein Kennzeichen vergeben wurde und beispielsweise ein Film eine FSK16- oder FSK18-Kennzeichnung hat, ist er einem Prüfverfahren entzogen. Allerdings können alle Filme und Spiele ohne so eine Kennzeichnung auch nach Antrag und Anregung bei der Bundesprüfstelle in ein Indizierungsverfahren kommen.

f79 // Haben Filme und Spiele eine höhere Priorität als Bücher?
Salzmann // Grundsätzlich gibt es bei uns keine Priorisierung. Wir arbeiten grundsätzlich nach Verfahrenseingang. Im gesamten Jugendmedien-Schutzsystem gibt es allerdings eine besondere Stellung der audiovisuellen Medien. Das erkennt man daran, dass es in diesem Bereich die angesprochenen Altersfreigaben gibt.

f79 // Bewerten Sie Spiele also anders als Bücher?
Salzmann // Medienarten können insofern nicht unbedingt verglichen werden. Ihre Wirkweise ist unterschiedlich. Wenn ein Spiel bewertet wird, muss auf der Wirkebene unter anderem berücksichtigt werden, dass das Kind oder der Jugendliche selbst spielt und zum Teil des Geschehens wird. Bei einem Buch ist das nicht der Fall. Bei radikalisierenden Schriften, die etwa mit einem pseudowissenschaftlichen Anspruch daherkommen und Menschen diskriminieren, ist die Wirkweise nicht minder intensiv, aber eben anders.

Thomas Salzmann von der Bundesprüfstelle

Von der Bundesprüfstelle: Thomas Salzmann

f79 // Wann ist ein Spiel, Film oder Buch jugendgefährdend?
Salzmann // Medien sind jugendgefährdend, wenn sie dazu geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden. Dazu zählen verschiedene Tatbestände: Wenn Medien verrohend wirken, zur Gewalttätigkeit oder zum Rassenhass anreizen, die Verherrlichung des Nationalsozialismus, die Diskriminierung von Menschen und diverse andere Tatbestände. Es geht aber nicht nur darum, die Jugendgefährdung festzustellen. Auch die Grundrechte der Verfahrensbeteiligten, wie zum Beispiel die Kunst- oder Meinungsfreiheit, sind im Rahmen der Entscheidung abzuwägen.

f79 // Wie funktioniert das Indizierungsverfahren in Deutschland?
Salzmann // Bei der Bundesprüfstelle geht zuerst ein Antrag oder eine Anregung zu einem bestimmten Medium ein. Danach wird entschieden, ob es sich um einen Fall der offensichtlichen Jugendgefährdung handelt und in einem vereinfachten Verfahren mit drei Prüferinnen und Prüfern geprüft werden kann. Ist kein offensichtlicher Fall der Jugendgefährdung festzustellen, geht der Fall ins sogenannte Regelverfahren, in dem ein Gremium aus zwölf Prüferinnen und Prüfern entscheidet. Die Verfahrensbeteiligten, also Verlage und Autoren, werden darüber benachrichtigt, in welchem Verfahren entschieden werden soll. Die Beteiligten bekommen dann die Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Das passiert entweder schriftlich – oder im Regelverfahren in einer gerichtsähnlichen Verhandlung mit der Möglichkeit anwaltlicher Begleitung.

f79 // Gibt es Situationen, in denen sich die Prüfer uneinig sind?
Salzmann // Ja, wenn ein sogenanntes Dreier-Gremium, also ein vereinfachtes Verfahren, stattfindet, dann muss zur Indizierung Einstimmigkeit hergestellt werden. Wenn das nicht gelingt, geht der Fall automatisch in ein Zwölfer-Gremium. Dort ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.

f79 // Welche Rückmeldungen bekommen Sie aus der Bevölkerung?
Salzmann // Wenn wir Briefe, E-Mails oder Anrufe bekommen, erhalten wir viel Rückhalt aus der Bevölkerung, manchmal aber auch kritische Stimmen. Manche Leute sagen, dem Jugendschutz komme in den Medien insgesamt zu wenig Beachtung zu und auch unsere Entscheidungen sollten „strenger sein“. Andere haben die genau entgegengesetzte Meinung und sehen die Meinungs- und die Kunstfreiheit durch die Belange des Jugendschutzes als zu stark eingeschränkt. In diesem Spannungsverhältnis – zwischen Jugendschutz und Grundrechten – bewegt sich unsere Tätigkeit. Das ist im Einzelfall des Öfteren umstritten und macht den Aushandlungsprozess so spannend. Gleichsam finden die widerstreitenden Interessen in den Verfahren Berücksichtigung und die Entscheidungen spiegeln einen sozialethischen Grundkonsens wider.

Fotos: © iStock.com/ Khosrork, Privat