Immer noch die Musik: Niels Frevert im Waldsee 4Musik | 12.05.2023 | Pascal Lienhard

Niels Frevert in Freiburg

Es müsste brechend voll sein. Schließlich gilt Niels Frevert als einer der besten deutschen Songwriter der vergangenen 25 Jahre. Trotzdem ist das Freiburger Waldsee zum Besuch des Hanseaten an diesem Donnerstagabend bestenfalls zur Hälfte gefüllt. Dafür erwartet die Fans über rund 100 Minuten ein umso intimeres Konzert mit vielen Highlights.

Auf der Bildfläche ist Niels Frevert in den 1990er-Jahren erschienen. Als Frontmann der Hamburger Rockband „Nationalgalerie“ landete er mit „Evelin“ einen Hit, der es auf die sechste Ausgabe der „Bravo Hits“ schaffte. Diese Zeiten sind lange vorbei: Die vier Alben der Formation werden nicht mehr produziert, auch auf Spotify gibt es sie nicht. 1997 erschien kurz nach Auflösung der Band Freverts erste Soloplatte. Der große Erfolg war dem heute 55-Jährigen zwar nie vergönnt. Dafür wird er von Fans und Kritikern umso mehr gefeiert.

Der Großteil der Fans im Waldsee ist 40plus. Bevor Frevert mit seinen vier Begleitmusikern auf die Bühne schreitet, spielt „Klebe“ auf. Hinter dem Projekt steckt die Hamburger Musikerin Liza Ohm, im Waldsee wird sie von Dorothee Möller unterstützt. Der melancholische Indie-Sound des Duos lebt vom Kontrast zwischen der klaren Stimme Ohms und der stark elektronischen Instrumentierung. Lyrisch bietet vor allem der Opener „Spazieren gehen“ Anknüpfungsfläche: Zu Beginn der Pandemie veröffentlicht, können viele mit Zeilen wie „Lass uns spazieren gehen, ich mag meine Wände nicht mehr sehen“ oder „Seit Montag lächelt keiner mehr im öffentlichen Nahverkehr“ etwas anfangen.

Klebe in Freiburg

Stimmungsvoller Support: Liza Ohm aka Klebe im Waldsee

Kurz nach dem Support gehen Frevert und Mitstreiter auf die Bühne. Im Mittelpunkt des Sets stehen mit acht von zehn Songs die Stücke des gerade erschienenen Albums „Pseudopoesie“. Musikalisch knüpft die Platte an den Vorgänger „Putzlicht“ mit breiterer Instrumentierung und Pop-Appeal an. Der Höhepunkt des Albums ist im Waldsee direkt als zweite Nummer zu hören: „Waschbeckenrand“ versprüht mit Sätzen wie „Es bleibt nur eine Richtung übrig mit dem Rücken zur Wand“ gleichzeitig Melancholie und Aufbruchsstimmung.

Ohnehin zeichnen sich die Texte Freverts durch Doppelbödigkeit und ungewöhnliche Einfälle aus: Geht es im flirrend-nervösen „Weite Landschaft“ mit Zeilen wie „War meine weite Landschaft, bevor du sie runtergebrannt hast“ nur um eine gescheiterte Beziehung oder auch um den menschengemachten Klimawandel? Freverts bekanntester Song lebt von einer recht makabren Grundidee: Der Titel  „Ich würde dir helfen eine Leiche zu verscharren, wenn´s nicht meine ist“ stellt so etwas wie den ultimativen Treuebeweis dar.

Der breite Bandsound gibt Freverts Stücken viel Raum. Besonders deutlich wird das auf einem Track mit dem klingenden Titel „Ich suchte nach Worten für etwas das nicht an der Straße der Worte lag“: Im Waldsee gerät der Song deutlich länger als im Original. Vor allem Christoph Bernewitz, der mehr als zehn Jahre in der Band von Clueso spielte, treibt die Nummer zum Abschluss mit der E-Gitarre nach vorne.

Gegen Ende des Sets spielen Frevert und Mitmusiker einen Song von 2019. „Immer noch die Musik“ ist weder musikalisch noch lyrisch die beste Nummer des Künstler. Und doch würde ein Großteil der Gäste den Text mit Sicherheit unterschreiben: „Wenn die Sache dir zu nahe geht, wenn dein Herz in Schutt und Asche liegt, ist da immer noch, immer noch die Musik.“

Die Stücke von Frevert sind so etwas wie ein alter Freund, den man manchmal fast vergisst – der aber immer da ist. Auch Frevert kommt nur alle paar Jahre mit einem neuen Album um die Ecke, bevor es wieder ruhiger um ihn wird. Solange er aber einigermaßen regelmäßig Konzerte wie das im Waldsee spielt, ist ihm das zu verzeihen. Vielleicht spricht sich ja die Kunde herum und beim nächsten Mal ist der Saal dann wirklich brechend voll. Frevert hätte es mehr als verdient.

Fotos: © Pascal Lienhard