Interview: José. F. A. Oliver erhält Heinrich-Böll-Preis Horche se mol | 02.07.2021 | Erika Weisser

José F. A. Oliver José F. A. Oliver: Lyriker und Erfinder des Hausacher LeseLenzes

Einer der bedeutendsten Literaturpreise geht ins Kinzigtal: José F. A. Oliver, Lyriker und Erfinder des Hausacher LeseLenzes, erhält den mit 30.000 Euro dotierten Heinrich-Böll-Preis für sein Gesamtwerk. Verliehen wird der Preis am 26. November in der Stadtbibliothek in  Köln.

Lust auf REGIO: Haben Sie mit diesem Preis gerechnet?
José F. A. Oliver: Gar nicht. Ich habe nicht einmal gewusst, dass ich nominiert war. Als die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker mit dieser völlig unerwarteten Neuigkeit bei mir anrief, bin ich aus allen Wolken gefallen. Ich freue mich natürlich sehr darüber, das ist eine große Auszeichnung und großartige Anerkennung meiner Arbeit. Schließlich handelt es sich um einen der international renommiertesten Literaturpreise, Heinrich Böll ist ja weltweit einer der meistgelesenen deutschen Nobelpreisträger. Hunderte von Glückwünschen sind bei mir eingegangen, aus der ganzen Welt. Selbst in einer kolumbianischen Tageszeitung wurde darüber berichtet, dass ich den Böll-Preis bekommen habe.

Lust auf REGIO: Der Autor Guy Helminger lobt die Sprachmagie Ihrer Verse  und begründet, stellvertretend für die Jury, die Preisvergabe an Sie unter anderem mit dem „Nomadischen der Heimat“ in Ihrem Werk. Wie ist das zu verstehen?
José F. A. Oliver: Das müssen Sie ihn selbst fragen (lacht). Ich denke aber, dass er damit meine Mehrkulturalität meint: Das Spannungsverhältnis von Schollenheimat, als die ich Andalusien, den Schwarzwald sowie den jeweiligen Regionalsprachen definiere und  die meine Wurzeln ausmachen, sowie der Menschenheimat –also überall auf der Welt, wo ich mich nicht erklären muss, um mich willkommen zu fühlen. In diesem Spannungsverhältnis, diesem Unterwegssein in und zwischen mehreren Kulturen und Heimaten lebe ich seit 60 Jahren, es macht nicht nur mein lyrisches Schaffen aus, sondern mich selbst. Ich habe in vielen Ländern der Erde gelebt und habe mich nach kurzer Zeit überall zu Hause gefühlt, allein durch die Menschen, die mir dort begegneten. Und wie sie mir begegneten. Mein Kollege Ilija Trojanow hat mich einmal als ‚nomadischen Heimatdichter’ bezeichnet: Als einen, „der uns erklärt, wie nah die Welt sein kann – und wie unverständlich das nächste Dorf“. Das hat er, finde ich,  ganz gut auf den Punkt gebracht.

Lust auf REGIO: Trojanow, der bei den von Ihnen mit viel Enthusiasmus veranstalteten Hausacher LeseLenzen oft zu Gast ist, spricht von Ihren Gedichten als „akustischen Skulpturen“. Wie wird Lyrik zur Skulptur?
José F. A. Oliver: Ich komme ja vom Hören. Mein lyrisches Schaffen ist durch und durch vom Rhythmus geprägt. Und ich glaube, dass er das mit dem Begriff Klangskulpturen benennt. Der Klang, der Rhythmus ist für mich ganz wichtig, ist ein wesentliches Element meines Schreibens. Bevor ich ein Gedicht zur Publikation freigebe, sage ich es mir selbst laut vor und entlasse es in den Raum. Und wenn ich dem glaube, was ich da höre – das Ohr lügt ja weniger als das Auge – dann merke ich sofort, wo etwas nicht stimmt, wo eine Silbe fehlt, wo ein Wort nicht passt. Und so bearbeite ich meine Verse, modelliere und vollende sie auf akustischen Wege.

Lust auf REGIO: Was haben Sie mit dem Geld vor?
José F. A. Oliver: Das ist wie ein Geschenk des Himmels. Das Preisgeld bietet mir eine existenzielle Perspektive für die nächste Zeit. Denn ich weiß ja nicht, wie schnell und nachhaltig kulturelle Veranstaltungen und Projekte wieder anlaufen, von denen ich als freier Schriftsteller lebe. In den vergangenen Monaten, als alles wegbrach, habe ich so manches Mal nicht gewusst, ob es überhaupt noch für die Miete reicht. Das ist nun gesichert – und ich kann den diesjährigen LeseLenz ruhiger angehen.

Lust auf REGIO: Was ist denn heuer mit diesem Festival, das Sie nun schon zum 24. Mal veranstalten?
José F. A. Oliver: Es gibt dieses Jahr zwei LeseLenz-Wochenenden, als Präsenzveranstaltungen und im Freien, zum Thema „poetische t:räume. Das erste Wochenende findet statt vom 1. bis 5. Juli statt, das zweite vom 5. bis 9. August, an verschiedenen Orten in der Stadt.. Eröffnung ist am Freitag, 2. Juli, mit einer Lesung von Michael Ferner über „Der Künstler und das Meer“. Wir haben außerdem Tschechische Literatur zu Gast, begrüßen Ilija Trojanow bei der „Weltlese“ und öffnen „Literatourfenster“ nach Österreich und Italien. Und vieles mehr – ich freue mich sehr darauf.   

 

Info
leselenz.eu