Mehr grün in der Stadt: Greencity Walls aus Lehen Haus & Garten | 01.11.2021 | Tanja Senn

Terrassenwände der Freiburger ASF Die hängenden Gärten von Lehen: Blühende Terrassenwände der Freiburger ASF sorgen für Leben an zuvor ungenutzten Flächen.

Einen Hauch von Urwald in die Stadt bringen – das ist das Ziel von Klaus Wegenasts Greencity Walls. Gerade in dicht bebauten Städten sind sie nicht nur schön anzusehen, sondern können auch einige Probleme lösen.

52 Meter hoch ragt der Green City Tower über dem Freiburger Güterbahnhofareal auf. Riesige Banner am eingerüsteten Rohbau geben einen Vorblick darauf, wie sich die momentane Baustelle verwandeln soll: Hier wächst ein „grüner“ Büroturm, dessen Fassaden mehr als 50.000 Pflanzen schmücken. Wenn es so weit ist, wird hier Deutschlands größter vertikaler Garten zu sehen sein.

Terrassenwände der Firma Birkenmeier in Niederrimsingen

Die hängenden Gärten von Lehen: Blühende Terrassenwände der Firma Birkenmeier in Niederrimsingen.

Momentan werden die ersten bepflanzten Flächen montiert. Sie haben keinen langen Weg hinter sich: In Freiburg-Lehen, ziemlich versteckt zwischen Dreisam und Zubringer, liegt der Hof des Garten- und Landschaftsbaubetriebs flor design. Hier entwirft und baut Klaus Wegenast mit seinem Team diese senkrechten Gärten. Welche Entwicklung sie hinter sich haben, zeigt ein Rundgang. Neben den modernen Konstruktionen mit durchgängigen Pflanzgittern, Natursteinen für Eidechsenhabitate oder integrierten Brunnen stehen auch noch die ersten Versuche. Diese freistehenden Sichtschutzwände zwischen zwei Terrassen wurden vor mehr als zehn Jahren bepflanzt und sind immer noch ziemlich kahl. Wegenast musste sich an die Technik erst herantasten, denn Wände in dieser Art hat vor ihm noch keiner gebaut.

Dabei gibt es die Idee des vertikalen Gartens schon lange: Populär wurden sie durch Architekten wie Adolf Loos im Wiener Jugendstil, der auf „Selbstklimmer“ setzte, oder durch Visionäre wie Friedensreich Hundertwasser mit seinen naturnahen Konstruktionen. Die ersten richtigen Senkrechtgärten entwickelte allerdings der Pariser Botaniker Patrick Blanc, der bereits 1989 ein Verfahren patentieren ließ, um Mauern und Hauswände ohne Erde oder Substrat zu bepflanzen. Seine Idee ist heute aktueller denn je: Wo urbane Flächen rar und teuer sind, müssen Gärten eben in die Höhe wachsen. Egal, ob in Bangkok, Miami oder Dubai – weltweit lässt der Gartenpionier Luxushochhäuser, Einkaufszentren, Museen oder Brücken ergrünen.

Dicht begrünte Trennwände in Büros

Die hängenden Gärten von Lehen: Dicht begrünte Trennwände in Büros

Erde ist Leben

Die Natur zurück in dicht bebaute urbane Räume bringen, das will auch Wegenast. Allerdings mit einem anderen Ansatz. „Dort, wo Pflanzen wachsen und wurzeln, ist Leben“, erklärt er. Die Erde wegzurationalisieren und wie Blanc durch Vlies zu ersetzen, kommt für den Freiburger daher nicht in Frage. „In einer Handvoll Kompost gibt es etwa so viele Lebewesen wie Menschen auf der Erde“, erläutert der Gartenbau-Techniker, „der Wurzelraum ist unglaublich wertvoll.“

Seine Greencity Walls werden daher mit einem mineralischen Substrat gefüllt, in das die Pflanzen mit ein paar Zentimeter Abstand gesetzt werden. Bei der Auswahl ist Fantasie gefragt – ob bienenfreundliche Stauden, Blüh- und Duftpflanzen, Gehölze, Kräuter, Salate oder sogar Gemüse, möglich ist fast alles. In der Vielfalt steht ein in die Höhe gebauter Garten einem ebenerdigen in nichts nach.

Die breite Pflanzenauswahl ist neben der größeren Biodiversität einer der Vorteile der senkrechten Wände gegenüber einer klassischen Fassadenbegrünung mit Kletterpflanzen. Auch in Innenräumen kommen die vertikalen Gärten zum Einsatz – momentan vor allem in großen Büros, im Eingangsbereich von Unternehmen, in Cafés oder Geschäften.

Jede der Grünflächen ist mit einem Bewässerungssystem ausgestattet und so aufgebaut, dass Wände und Fassaden keinen Schaden nehmen. Bei Großprojekten wird mit Hilfe von Feuchte- und Wärmesensoren sogar vollautomatisch gegossen. Gepflegt und geschnitten werden müssen die Pflanzen trotzdem, dann halte sich so ein System aber auch mehr als 30 Jahre, zeigt sich Wegenast zuversichtlich.

Pflanzenwand der Freiburger Badenova

Bei der Freiburger Badenova verschönern die Pflanzen nicht nur den grauen Unterbau der Kantinenterrasse, sondern kühlen auch die Umgebung.

Steigende Anfragen

Was in den ersten Jahren noch auf eine verhaltene Nachfrage gestoßen ist, wird momentan fast zum Selbstläufer. 150 Wand-Projekte hat Wegenasts Gartenbau-
betrieb in diesem Jahr umgesetzt. Noch macht der Bereich mit acht von 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einem Umsatz von rund zehn Prozent nur einen kleinen Teil seines Unternehmens aus – doch die Anfragen steigen rasant. So hat etwa die Stadt Freiburg im Oktober ein neues Förderprogramm gestartet, mit dem Fassadenbegrünungen bezuschusst werden. Und auch den ersten Auftrag von der Kommune selbst hat der 59-Jährige: Die Stadtbibliothek am Münsterplatz soll grüner werden.

Im Vordergrund stehen hier weder der optische Reiz noch die Biodiversität, sondern der Kampf gegen immer mehr Hitzeinseln in den Städten. Experten gehen davon aus, dass eine gut funktionierende Fassadenbegrünung die umgebende Temperatur um bis zu fünf Grad senken kann.

flor-design-Chef Klaus Wegenast

Visionärer Stadtbegrüner: flor-design-Chef Klaus Wegenast.

Auch in Riegel am Kaiserstuhl will man laut Wegenast auf diesen Effekt setzen. Momentan sei man dabei zu prüfen, ob man im Rathaus durch den Einsatz von Pflanzen auf eine Klimaanlage verzichten könne. Ergebnisse der Uni Köln legen das nahe: In einer Studie konnten die Forscher zeigen, dass eine bewachsene Fassade im Sommer Temperaturschwankungen von 10 bis 13 Grad am Tag aufweist, bei einer blanken Hauswand hingegen bis zu 35 Grad. Umgekehrt funktionieren die Pflanzen im Winter als Wärmedämmung.

Von der Bindung von Feinstaub über den Rückhalt von Regenwasser – die Vorteile sind mannigfaltig. Größter Hemmschuh sind bislang die Kosten. Für eine freistehende Wand fallen 1500 Euro pro Quadratmeter an, für die Fassadenverkleidung immerhin noch 600 bis 1000 Euro. Ein Bauherr muss damit gut doppelt bis dreimal so viel investieren wie für eine herkömmliche Fassade. Wegenasts größtes Ziel ist es daher, die Kosten in den kommenden Jahren herunterzuschrauben und die Greencity Walls auch preislich konkurrenzfähig zu machen. „Wenn wir das schaffen, dann spricht nichts mehr für eine Fassade aus Stein oder Stahl“, zeigt sich der Gartenprofi zuversichtlich. „Das ist mein Ziel, denn – ganz egal, ob wir sie gebaut haben oder nicht – immer wenn ich eine begrünte Wand sehe, geht mir das Herz auf.“

Fotos: © flor Design