Poetischer Kosmos: Institut für Sagenhaftes Kunst & Kultur | 14.01.2022 | Erika Weisser

Biest

„Institut für Sagenhaftes“ nennt der Designer und Szenograph Jens Burde sein Unternehmen für Gestaltung, mit dem er 2007 nach Freiburg kam. Hier entwirft er unter anderem Bühnenbilder und -ausstattungen.

Wären Möbel nicht mobil, dann hätten sie einen anderen Namen, hießen vielleicht Immobilien. Die Möbel, die sich der 47-Jährige in seinem Atelier in Freiburg-Zähringen ausdenkt und ausprobiert, sind nicht nur bewegbar, sondern auch vielfach wandelbar: Sie lassen sich jederzeit an ganz verschiedene Bedarfe anpassen und entsprechend umbauen.

Eine seiner ungewöhnlichen Innenraumkonzeptionen hat Burde im Freiburger Haus der Jugend umgesetzt, dessen ganz neu gestaltetes Café im Foyer Ende November eröffnet wurde. Und eine andere bereits verwirklichte Idee ist im Literaturhaus zu bewundern. Hier entstand im Sommer 2017 nach seinen Plänen aus vier Kubikmetern europäischem Kirschbaum und Linoleum ein Interieur, dessen variable Elemente im Handumdrehen von Bänken zur Bühne, vom Bücherregal zur Bar, vom Schrank zur Sitzgruppe werden. Und zu vielem mehr – Tag für Tag und je nach Bedarf.

Mit dem Literaturhaus arbeitet der „Visionär und Raumakrobat“, wie er sich gern selbst bezeichnet, oft zusammen. So schuf er im Juni 2020 in dem Saal, der zu Normalzeiten ein Ort für Gespräche mit Autoren ist, einen „kontaktfreien, aber begegnungsreichen Ort der Kunst“: das „Museum der Langsamkeit, eine begehbare Installation, eine „theatrale Reise“ mit Texten, Tonspuren, Kurzfilmen und Zeichnungen, die während des ersten Lock-
downs verfasst und eingesandt worden waren.

Schneekönigin

Spinne, Bambi und Elch: Bei Vanessa Valks und Jens Burdes Inszenierungen sind oft auch Tiere mit von der Partie, selbst springend oder pedalbetrieben.

Das nächste gemeinsame Projekt mit dem Literaturhaus hat im Oktober begonnen und wird am 14. Januar 2022 fortgesetzt. Und es geht dabei wieder um eingesandte Texte, die dieses Mal von Kindern, Eltern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen stammen: Menschen von 3 bis 33 waren aufgefordert, in Anlehnung an Saša Stanišics erstes Kinderbuch „Hey hey hey Taxi“ eigene kurze Geschichten zu erfinden. 290 Einsendungen gab es, 24 dieser Gute-Nacht-Taxi-Geschichten lasen sich die Teilnehmer dreier nächtlicher Schlafanzuglesungen gegenseitig vor – in einer Lausch-und Liege-Installation aus den Werkstätten des Instituts für Sagenhaftes.

Nachhaltigkeit & Ästetik

Für die Lesenden und Lauschenden waren kleine Hütten mit „bettenartigen Sitzmöglichkeiten“ aufgebaut, es gab Kurzfilme, Hängematten, Mobiles, Schattenspiele. Und hier war denn auch Burdes Lebenspartnerin Vanessa Valk einmal mehr mit von der Partie. Die Figurenspielerin war bei diesem Projekt für die spielerischen Elemente zuständig – wie so oft bei den gemeinsamen Unternehmungen von „Bühnenfrau und Kulissenmann“.

Seit zehn Jahren arbeitet sie ebenfalls freiberuflich, kreiert eigene Stücke, bei denen sie Regie führt und die Figuren selbst baut. Die beiden Gestaltungskünstler arbeiten immer öfter zusammen – in Projekten, bei denen es um den Menschen und seine wirklichen Bedürfnisse geht, nach einem guten Leben, das im Einklang mit Natur und Umwelt steht. Und bei denen Nachhaltigkeit und Ästhetik eine Einheit bilden.

Ein solches Projekt war etwa die von ihnen initiierte Tierdemo gegen den Klimawandel im Oktober 2015, eine Performance, bei der 350 „Tiere“ (Freunde, Kinder, Nachbarn, Theaterleute) durch die Kajo tanzten – vom Hirsch auf Stelzen bis zur winzigen Maus. Mit dabei war auch das riesige hölzerne und pedalbetriebene mobile Spinnentier, das Burde im Jahr zuvor für die Barockoper „Hesch Affekte“ konstruiert hatte – in einer Kooperation mit dem Choreografen- und Tänzerpaar Graham Smith und Maria Pires. Sie hatten das Stück für das Junge Theater Freiburg einstudiert – mit mehr als 60 Viertklässlern der Vigeliusschule in Freiburg-Haslach.

The Good Life

Um „das Gute Leben“ – um den Einklang von Mensch, Umwelt und Natur – drehen sich derzeit fast alle Projekte des Gestaltungskünstlerpaares.

Mit ihnen verbindet Vanessa Valk und Jens Burde nun auch eine wichtige Auszeichnung: Der heuer erstmals auch in der Sparte „Darstellende Kunst“ vergebene Reinhold-Schneider-Preis der Stadt Freiburg ging am 21. November an beide Künstlerpaare: Pires & Smith erhielten den Preis, Valk & Burde das mit 3000 Euro dotierte Stipendium. Die Begründung der Jury: Sie „machen mit ihren künstlerischen Arbeiten einen Kosmos erlebbar, der nicht zuletzt durch seine Materialität sehr nachhaltige, sinnliche und poetische Wirkung entfaltet“.

Foto: © Felix Groteloh, Isabel Machado Rios, Christophe Meierhans