Auf kreativer Identitätssuche im neuen Delphi Space Kunst & Kultur | 27.11.2023 | Nils Bentlage

An neuer Wirkungsstätte: Katharina Grün und Maximilian Siebenhaar

Wer bin ich? Dieser Frage geht der neu eröffnete Delphi Space mit der Ausstellung „Kuzeu: Displaced Identity“ nach, in der zeitgenössischer Kunst aus Kasachstan zu sehen ist. Mit der Ausstellung hat der Kulturverein seine neuen Räume an der Brombergstraße 17C in der Wiehre eingeweiht. Ihr beim Bahnhof gelegener Kunstraum „gvbk“musste im März nach einer Zwischennutzung schließen.

Weißwein für die Vernissage

„Als wir hier angekommen sind, sah es noch total chaotisch aus“, sagt Maximilian Siebenhaar. Der Mitgründer von Delphi Space zeigt Fotos von unverputzten Wänden, staubigem Boden und verklebten Fließen. In der ehemaligen Werkstatthalle eines Gleichrichterunternehmens hat der Delphi Space sein neues Kunst- und Kulturzentrum eingerichtet.

Innerhalb von zwei Wochen hat das Team die Räume in Eigenarbeit für die bevorstehende Ausstellung vorbereitet: Es hängen neue Leuchtröhren von der Decke, eine Holztreppe zu den Toiletten wurde geschreinert und in einem Kühlschrank steht Weißwein für die Vernissage bereit.

„Zum ersten Mal in Europa“

An den frisch gestrichenen Wänden hängen jetzt die Werke zehn kasachischer Künstler·innen. Kurzfilme laufen auf zwei Bildschirmen und einer Leinwand, vor der bunte Kissen liegen, die die Kurator·innen aus Kasachstan mitgebracht haben. Fast alle Kunstwerke haben sie in ihrem Fluggepäck mit nach Deutschland genommen.

„Viele der Künstler·innen stellen zum ersten Mal in Europa aus“, sagt Margarita Augustin, die Besucher·innen durch die Ausstellung führt. Sie ist Leiterin des Kulturprogramms am Zwetajewa-Zentrum der Uni Freiburg. Dessen aktuelle Veranstaltungsreihe „Zeichen der Zukunft. Dialoge und Perspektiven“ ist Zentralasien gewidmet. Die Delphi-Ausstellung „Kuzeu: Displaced Identity“ ist Teil davon.

Erinnerung an Deportationen

„Die Kunstwerke setzten sich mit der Geschichte des Vielvölkerstaates Kasachstan und dem damit verwobenen Thema Identität auseinander“, sagt Augustin. „In ihren Arbeiten begeben sich die Künstler auf eine Suche nach den Wurzeln.“

Zu sehen sind etwa zwei kleine quadratische Gemälde von Lenin und Stalin, die kasachische Tracht tragen. Die Porträts der kommunistischen Führer erinnern an die Deportationen, die die Sowjetunion innerhalb ihrer eigenen Grenzen durchführte. Eine große Karte an der Wand zeigt, dass Menschen aus verschiedensten Gebieten in die Republik Kasachstan verschleppt wurden.

Gibt Einblicke in Kasachstans Geschichte: Saule Suleimenova

Planen hängen an Schnüren

Für Siebenhaar regt die Ausstellung auch zum Nachdenken über die eigene Identität an: „Man wird sich des eigenen Privilegs bewusst, ein Mensch mit Dokumenten zu sein, mit gewissen Rechten in der Gesellschaft oder sogar mit einem Namen.“

Besonders viel Aufmerksamkeit ziehen drei durchsichtige Plastikplanen auf sich, die in einem kleinen Vorraum an Schnüren hängen. Auf den Planen hat die Künstlerin Saule Suleimenova Menschen aus Einkaufstüten modelliert, die sie von Supermärkten, Kleidergeschäften oder auch Nobelboutiquen gesammelt hat. Mit Heißkleber schmelzt sie die zerschnittenen Tüten auf das Plastik.

Rückkehr ohne Worte

„Plastiktüten sind Menschen sehr ähnlich, denn wie die Menschen nimmt auch jede Tüte eine bestimmte Rolle ein“, sagt Saule Suleimenova. „Manche spielen sich auf, andere sind bescheiden und halten sich im Hintergrund.“ Mit ihrer Kunst möchte sie jene Menschen sichtbar machen, die keine Stimme in der Welt haben.

Die Tütenkunstwerke zeigen Kasachen, die in den 30er Jahren das Land über die chinesische Grenze verließen, heute aber wieder zurückgekehrt sind, ohne noch ein Wort Kasachisch zu sprechen.

Ein Hochbett für Künstler

„Wir sind sehr zufrieden mit der ersten Ausstellung im neuen Delphi“, sagt Katharina Grün, Mitarbeiterin des Delphi-Teams. „Für das nächste Jahr sind schon vier Ausstellungen geplant. Als nächstes steht die Regionale24 Ende November an, ein besonders Kunstprojekt, an dem zwanzig Institutionen aus dem Dreiländereck mitwirken.“

Im Januar soll weiter umgebaut werden: Neben einer Küche wird eine Hochbettkabine aus Holz dazukommen, in der Künstler·innen übernachten können. 

Bilder-Galerie

 Fotos: © Nils Bentlage

Knotenpunkt für Kreative – Delphi_space will frischen Wind in Kulturlandschaft bringen