City im Fokus – Experten diskutieren auf Kolloquium über Zukunft der Innenstadt STADTGEPLAUDER | 18.04.2022 | Pascal Lienhard

Gasse der Innenstadt

Things will be great when you’re downtown – wenn du in der Innenstadt bist, wird alles großartig sein. Das verkündete Petula Clark 1964 in ihrem Hit „Downtown“. Seitdem ist viel passiert. Vielerorts ist die Innenstadt (siehe exklusive Leerstandsliste auf der nächsten ­Seite) zum Problemkind geworden. Um ­dieses zu profilieren, haben Stadtverwaltung und Freiburger Wirtschaft, Touristik und Messe GmbH (FWTM) zum Innenstadtkolloquium mit drei auswärtigen Experten geladen.

Baubürgermeister Martin Haag betonte, dass sich Freiburgs Innenstadt in einer relativ guten Situation befinde: „Wir dürfen uns aber nicht zurücklehnen.“ Das teilten die auswärtigen Redner: Die verschiedenen Akteure, Einzelhandel, Gastronomie, Dienstleistung, Kultur und Stadtverwaltung, müssen zusammenarbeiten, um die Innenstadt attraktiv und lebendig zu halten. Das sieht auch Roland Jerusalem, ­Leiter des Stadtplanungsamts so, es brauche alle Teile der Stadtgesellschaft.

Jens Nußbaum verantwortet bei „Stadt + Handel“ den Geschäftsbereich der Städtebaulichen Entwicklungskonzepte. Das Dortmunder Unternehmen liefert Analysen und Lösungen rund um Stadt-, Regional- und Standortplanung. Nußbaum lädt zu einem Gedankenexperiment ein: Wolle man alle Produkte im Berliner KaDeWe sein Eigen nennen, würden sich 400.000 Artikel im Einkaufswagen türmen – bei Amazon hingegen sind es 229 Millionen. Mit Quantität kann der innerstädtische Handel nicht punkten. Eher schon mit Qualität.

Alain Thierstein, Professor für Raumentwicklung an der Fakultät für Architektur der TU München, verwies darauf, dass Kunden einen triftigen Grund brauchen, um in die Innenstadt zu kommen. Dass so ein Anlass oft fehlt, skizzierte der Kölner Architekt Caspar Schmitz-Morkramer, der zu Veränderungen im Einzelhandel publiziert hat.

Zwischen 2013 und 2017 erkennt er eine Veränderung: Hätten sich früher rund zehn Mieter auf eine leere Handelsfläche beworben, konkurrierten heute Immobilienbesitzer um vielversprechende Mieter. Als Gründe für die abnehmende Bedeutung des Einzelhandels sieht der Architekt neben Lockdowns und Digitalisierung starre Geschäftsmodelle und monotone Einkaufsstraßen.

Chancen sieht Schmitz-Morkramer in neuen Konzepten und differenzierten Einkaufserlebnissen. Im Selfridges Fragrance Lab in London etwa können ­Kunden ein Parfüm auf ihre Persönlichkeit zuschneiden – Shopping mit Erlebnispotenzial. Im „Eataly“ in Mailand oder München verbinden sich Gastronomien mit Kauferlebnissen zu einem „hybriden Knotenpunkt“. Alle drei Referenten warben für eine stärkere Durchmischung in den Innenstädten, sowohl mit Gastronomie als auch mit Wohnungen. Das Motto laute nach Nußbaum nicht „Frequenz durch den Handel“, sondern „Frequenz für den Handel“.

Es sei städteplanerisch zwingend, nach vorne zu schauen. Er glaube etwa nicht, dass das Auto in seiner heutigen Form mit Verbrennungsmotor und eigenständigem Fahrer in 20 Jahren noch eine große Rolle spielen werde.

Zudem machen die Experten deutlich, dass der Onlinehandel nicht per se als Konkurrenz verstanden werden ­dürfe. Schmitz-Morkramer ist überzeugt: Ohne Onlinepräsenz ist der stationäre Einzelhandel gar nicht überlebensfähig. Zudem können digitale Medien gewinnbringend verwendet werden, wie Nußbaum zeigt. Die Stadt Halle etwa bietet online kuratierte Shopping-Touren an.

Greifbare Ergebnisse für Freiburg lieferte das Kolloquium nicht. Stadtverwaltung und FWTM sehen die Veranstaltung als Auftakt eines Prozesses und Impulsgeber. Nach Franziska Pankow, FWTM-Abteilungsleiterin Tourismus, habe ­Freiburg dafür gute Startbedingungen. „Wir haben ganz viele Akteure, die wahnsinnig aktiv sind“, sagt sie.

Diese Läden stehen derzeit leer

Die Freiburg Wirtschaft Touristik und Messe GmbH (FWTM) wollte dem chilli bei einer Recherche über Pop-up-Stores (Ausgabe März 2022) über die Zahl der in der Freiburger Innenstadt leerstehenden Ladengeschäfte keine Angaben machen. So hat sich ­unsere Praktikantin Maja Bruder auf den Weg gemacht und alle leerstehenden Ladenflächen in Erdgeschossen zwischen Martinstor und Siegesdenkmal sowie zwischen Schwabentor und Theater Freiburg notiert – es sind 24.

Und das sind sie:
 Gerberau 30
 Adelhauser Straße 5, 7a, 15, 17 & 21
 Auf der Zinnen 1
 Friedrichring 20 & 34
 Grünwälderstraße 17 & 21
 KaJo 147 – 149 & 258
 Marienstraße 15 (zwei Läden)
 Predigerstraße 3
 Rathausgasse 11, 15, 25, 27, 36 & 38
 Salzstraße 51
 Turmstraße 4 & 8
*alle Angaben von Anfang April, ohne Gewähr

Zu unserer Berichterstattung über
Freiburgs City lesen Sie auch:
 In dieser Ausgabe Seite 38
 https://bit.ly/3LyJMZY
 https://bit.ly/3DOYh9q
 https://bit.ly/3NLOdm7

Foto: © pixelio.de/Robert Babiak