Die packen’s an – Handwerkerinnen in der REGIO Land & Leute | 04.03.2023 | Erika Weisser, Dorothea Wenninger und Jennifer Patrias

Sie arbeiten mit Knüpfel, Pinzette, Stimmschlüssel oder Kehrbesen: Handwerkerinnen aus der REGIO – eine Steinmetzin, eine Feinwerkmechanikerin, eine Klavierbauerin und eine Schorn-steinfegerin – geben Einblicke in ihren Arbeitsalltag – und der ist alles andere als eintönig.

Mit Feingefühl und Kraft

Pia Schartel – Steinmetzin

Pia Schartel bei der Arbeit

In der Werkstatt der Freiburger Münsterbauhütte bearbeitet Pia Schartel einen Sandsteinblock.

In der Werkstatt der am Fuße des Schlossbergs gelegenen Münsterbauhütte ist weder Klopfen noch Schleifen oder Feilen zu hören. Nur die kräftige Absauganlage über Pia Schartels Arbeitsplatz rauscht in erträglicher Lautstärke. Über jedem Tisch sind solche Rohre angebracht; sie nehmen die bei der Steinbearbeitung abfallenden größeren und kleineren Partikel direkt bei ihrer Entstehung auf, erläutert die Auszubildende im ersten Lehrjahr. Und sie sorgen auch dafür, dass der feine Staub nicht in die Atemwege der insgesamt 14 hier mit Knüpfel und Eisen hantierenden Menschen gelangt.

Wegen einer internen Fortbildung sind die Kollegen nicht da, die angehende Steinmetzin arbeitet allein an ihrem Übungsstück aus blassrotem Sandstein, formt ihn mit verschiedenen Profilen sorgfältig zu einem kleinen Kunstwerk, das an ein Kapitell erinnert. An die große Brille, die sie dabei zum Schutz ihrer Augen vor Steinsplittern tragen muss, hat sich die 21-Jährige längst gewöhnt. An das ständige Rauschen auch. Denn bereits vor Beginn ihrer Ausbildung im Herbst 2022 hat sie intensiv in den traditionsreichen, seit mehr als 800 Jahren bestehenden Betrieb hineingeschnuppert: Nach ihrem Abitur am Furtwanger Gymnasium für Gestaltungs- und Medientechnik hat sie ein freiwilliges soziales Jahr (FSJ) bei der Münsterbauhütte Freiburg absolviert – und schon „eine Menge gelernt“.

Steinstaub und -splitter fliegen.

Steinstaub und -splitter fliegen.

Pia Schartel, die in Gütenbach im Schwarzwald aufwuchs, war schon immer gerne kreativ tätig, hat sich „bereits in der Schule für Kunstgeschichte, Architektur und kunsthistorische Restaurierungen interessiert“. Früh hat sie auch ihre künstlerische Begabung erkannt und umgesetzt – als „naturbezogener Mensch“ am liebsten mit Naturmaterialien. Zunächst gab es zwar „die Überlegung, Holzbildhauerin zu werden“. Doch nun ist sie „sehr glücklich“, dass sie sich für den Beruf der Steinmetzin entschieden hat. Und dass sie an diesem „super Arbeitsplatz“ eine Lehrstelle bekommen hat: Stein, insbesondere der Sandstein, sagt sie, sei „ein wunderbares Material“, zu dessen Bearbeitung außer Talent auch ein guter Blick fürs Detail
sowie Kraft und zugleich Fingerspitzengefühl nötig sei.

Stein sei außerdem „jahrhundertelang haltbar und zeugt späteren Generationen von der Arbeit früherer Menschen“. Dass dies so ist, wurde ihr während ihrer FSJ-Zeit bewusst, als sie „manchmal mit aufs Gerüst durfte“ und am Bau die mittelalterlichen Steinmetzzeichen entdeckt hat. Sie findet es „sehr spannend“, der Geschichte und dem Wirken der früheren Steinmetze nachzugehen, zu deren Nachfolgerinnen sie nun gehört. Und sie ist „richtig stolz“, dass das nächste Stück, das sie anfertigen darf, ein echtes Restaurierungselement ist, das in einen der Strebepfeiler am derzeit restaurierten Chor des Freiburger Münsters eingefügt wird.

Wasserspeier eine Kirche

Mit Spaß und Geschick

Ulrike Bruder – Feinwerkmechanikerin

Ulrike Bruder probiert, ob die Teile der fertig montierten Schädelklemme gut ineinanderpassen

Ulrike Bruder probiert, ob die Teile der fertig montierten Schädelklemme gut ineinanderpassen

Schraubenbehälter mit Deckelchen und Schraubenbehälter ohne Deckel stehen neben Kästchen mit Unterlegscheiben, Plastikringen und anderem Zubehör. Ulrike Bruder bringt die vielen Kleinteile nacheinander routiniert im Objekt unter. „Das geht fast wie im Schlaf, weil ich es schon so oft gemacht habe.“ Die Schrauben aus den Behältern mit Deckel fasst sie nur mit der Pinzette an, sie sind entfettet worden und dürfen nicht mit der Haut in Berührung kommen. Auf solche Feinheiten kommt es an – in ihrem Metier, der Feinwerkmechanik, und erst recht in diesem speziellen Bereich, der Medizintechnik.

Das Aluminiumgussteil, das hier montiert wird, ist eine Schädelklemme. Sie dient dazu, den menschlichen Kopf bei Operationen zuverlässig zu fixieren. Es ist eines der Vorzeigeprodukte der Firma Black Forest Medical Group, die auf neurochirurgische Medizintechnik spezialisiert ist und ihren Sitz im Industriegebiet Haid in Freiburg hat.

An der Nietmaschine.

An der Nietmaschine.

Während Ulrike Bruder früher noch öfter das ein oder andere Teil selber baute – Bohrvorrichtungen zum Beispiel –, also immer mal wieder an der Dreh- oder der Fräsmaschine zugange war, ist inzwischen das Montieren zu ihrer Haupttätigkeit geworden. Das hängt eben vom jeweiligen Einsatzort ab. Bruder schätzt die Vielseitigkeit im Job, vor allem seit sie auch hinzugezogen wird, wenn es darum geht, Produktverbesserungen mit den Entwicklern durchzusprechen. Als Praktikerin kann sie dann Aspekte beisteuern, die die Theoretiker nicht unbedingt auf dem Schirm haben.

Handwerkliches Geschick und technisches Verständnis sind Voraussetzungen für den Beruf der Feinwerkmechanikerin. Zwei Dinge, die Frauen lange Zeit abgesprochen wurden. Eine ältere Kollegin, erzählt Ulrike Bruder, hatte in den 1990er-Jahren die Erfahrung gemacht, dass einer ihrer Arbeitskollegen die Maschinen, die er benutzte, nicht mit ihr „teilen“ wollte. Als sie selbst ihre Ausbildung machte – in den Nullerjahren –, betrug der Frauenanteil in der Berufsschulklasse rund ein Viertel. Das war wohl eher eine Ausnahme, denn die Klassen davor und danach waren rein männliche Jahrgänge. Daran hat sich bis heute nicht viel verändert.

15 Jahre Berufserfahrung hat die zur Feinwerkmechanikerin ausgebildete Monteurin Ulrike Bruder inzwischen gesammelt, und die Begeisterung für ihr Metier hat nicht nachgelassen. Sie ist immer noch überzeugt von ihrer Berufswahl, die sie relativ spät getroffen hat, nach langen Jahren der Selbstständigkeit in einem anderen Tätigkeitsfeld. Umso merkwürdiger war für sie die Reaktion eines neuen Kollegen, dessen Begrüßung lautete: „Was machst du denn hier? Das ist doch kein Arbeitsplatz für eine Frau!“ Ihre Reaktion damals: „Wieso? Mir macht das Spaß.“ Und das nimmt man ihr heute noch ab.

Diverse Gerätschaft, Bohraufsätze

Mit gutem Gehör und viel Geduld

Letizia Vetter – Klavierbauerin

Letizia Vetter „feilt den Hammer auf Chor“.

Letizia Vetter „feilt den Hammer auf Chor“. Für eine perfekte Klang- entfaltung müssen alle Mechanikteile optimal aufeinander abgestimmt sein.

Einzelne Klaviertöne hallen durch den großen Raum, auf den sich die Eingangstür des Pianohauses Lepthien in Freiburg öffnet. Zwischen vielen Tasteninstrumenten hindurch führt der Weg in die Werkstatt, in der Letizia Vetter gerade dabei ist, ein Klavier auseinanderzubauen. Die 20-Jährige befindet sich im zweiten Lehrjahr der dreieinhalbjährigen Ausbildung zur Klavier- und Cembalobauerin mit Schwerpunkt Klavier, so die genaue Bezeichnung.

In ganz Deutschland gibt es nur noch eine Berufsschule für diesen Berufszweig, und die steht in Ludwigsburg. Die Schulbank dort drückt Letizia Vetter zusammen mit 13 Mitschülern und 5 Mitschülerinnen, die allesamt den Schwerpunkt Klavierbau gewählt haben. Cembalobauer sind also die wahren Exoten.

Im Freiburger Betrieb gehört es zur täglichen Routine der Auszubildenden, ein Klavier zu stimmen. „Das mache ich meistens vormittags, weil da das Gehör noch ein bisschen frischer ist.“ Und darauf kommt es an, bei Lepthien wird ausschließlich nach dem Gehör gestimmt. Die Auszubildenden müssen nicht selber Klavier spielen. „Man braucht auch kein absolutes Gehör, man kann es wirklich gut erlernen.“ Nur für den Grundton kommt ein elektronisches Stimmgerät oder die Stimmgabel zum Einsatz. Dann legt Vetter zuerst „in einer Oktave die Temperatur fest. Temperatur bedeutet: Man legt die Frequenz von jedem einzelnen Ton fest, damit es ein warmes Gesamtbild ergibt.“ Sie beginnt im mittleren Tonhöhenbereich mit dem Temperieren und arbeitet sich von da oktavenweise nach oben und unten. Das Klavierstimmen erfordert viel Geduld und viel Übung. Es heißt: „Tausend Klaviere muss man gestimmt haben, bevor man es kann.“

Zu den Aufgaben der Auszubildenden zählt außerdem das Überarbeiten von Klavieren. Dafür baut sie alle Teile zum Reinigen auseinander. Danach geht es ans Regulieren: „Die Mechanik besteht aus total vielen unterschiedlichen Teilen wie Federn, irgendwelchen Lederchen, dem Hammer. Alle Teile müssen nach bestimmten Maßen eingestellt werden, damit sie ineinandergreifend ein optimales Spiel ermöglichen.“

In der Werkstatt bei Lepthien steht eine alte Basssaitenspinnmaschine. Die nutzt Letizia Vetter, wenn Kunden mit einer gerissenen Klavier-Basssaite ins Pianohaus kommen. Dann umspinnt sie den nackten Stahlkern der Saite mit Kupfer. Eine normale Saite wird durch dieses zusätzliche Volumen zu einer volltönenden Basssaite. Im Moment lernt sie, „wie man intoniert, das heißt, wie man den Hammerkopf so bearbeitet, dass es den optimalen Klang gibt. Das ist wirklich noch einmal eine Wissenschaft für sich und ein Arbeiten auf einer anderen Ebene.“ Das macht für sie den Reiz des Berufes aus: „Ich komme nie an den Punkt, wo ich denke, in diesem Bereich hab ich jetzt ausgelernt. Das geht immer weiter.“

Mit Umsicht, ohne Höhenangst

Laura Heckel – Schornsteinfegerin

Laura Heckel in Arbeitskleidung

Laura Heckel freut sich über die neuen Aufgaben als Fegerin mit eigenem Bezirk.

Einmal am goldenen Knöpfchen reiben oder ein wenig Ruß von der Schulter klauben: Das möchte doch jeder einmal im Leben. Schon im Mittelalter brachte der Schornsteinfeger Sicherheit und Glück ins Haus – daran hat sich bis heute nichts geändert „Es kommt immer wieder vor, dass mich Menschen berühren möchten“, verrät Schornsteinfegerin Laura Heckel. „Das finde ich immer ganz nett.“

Seit über sieben Jahren ist die 25-Jährige Schornsteinfegerin und weiß: Während im Schwarzwald noch die klassischen Tätigkeiten wie das Entfernen von Rückständen aus Schornsteinen und Feuerstätten sowie die regelmäßige Kontrolle der Feuerungsanlagen ausgeführt werden, hat es in größeren Städten wie Freiburg und Emmendingen ein wenig abgenommen. „Dort gibt es viele Gas- oder Ölheizungen“, erklärt sie. „Da werden dann eher Messungen nach den richtigen Emissionswerten durchgeführt.“ Gleichzeitig achtet sie auch auf den Umweltschutz und gibt als Meisterin ihren Kunden direkt auch noch eine Energieberatung mit auf den Weg.

An den Beruf der Fegerin gelangte Heckel durch einen glücklichen Zufall. „Ich war auf einer Berufsmesse und habe mir verschiedene Berufszweige angeschaut“, erzählt die 25-Jährige. Drei Praktika später begann sie 2015 ihre Ausbildung bei Kaminfeger Claus Liebing in Riegel. Zweieinhalb Jahre lernte sie die Grundlagen des Kehrens, bevor sie dank einer Lehrzeitverkürzung 2017 ihren Gesellenbrief in der Hand hielt. Auch danach blieb sie der Firma und dem Schornsteinfegen treu, bis sie sich im vergangenen Jahr selbstständig machte.

Seit 1. Januar ist Heckel mit ihrem eigenen Kehrbezirk offiziell die erste Glücksbotin im Kreis Emmendingen. Zu ihren Bezirken gehören Teile von Emmendingen, Malterdingen, Teningen und Mundingen. „Ich habe mitbekommen, dass ein Bezirk frei wird. Dann habe ich mich mit allen Abschlüssen und Weiterbildungen beworben.“ Ein Punkte-system wertete die Bewerbungen aus – und kürte sie zur Kehrmeisterin.

Die klassischen Aufgaben waren ihr bekannt, neu hingegen ist die volle Verantwortung für den Verwaltungsbezirk. „Den freien Bereich, sprich das Fegen und Messen, kann ich mir mit meinem Mitarbeiter teilen“, erzählt die Schornsteinfegermeisterin. „Den hoheitlichen Bereich darf nur ich ausführen. Da geht es dann meistens um eine Abnahme oder eine Feuerstättenschau.“ Kurz gesagt: Wenn ein neuer Ofen eingebaut wurde, muss Heckel die Betriebs- und Brandsicherheit bescheinigen. Auch die Kontrolle der Brandsicherheit in Gebäuden ist Hoheitssache – und nur Heckel unterstellt.

Die Schornsteinfegerin weiß um ihre Verantwortung und freut sich über jeden, dem sie ihr Wissen weitervermitteln kann – als Praktikant oder Auszubildender. Denn die Nachwuchslage ist mau. Allein dieses Jahr sind es in Baden-Württemberg gerade einmal 70 Auszubildende. Eindeutig zu wenige, um genug Glück verbreiten zu können!

Fotos: ©  iStock.com/Pickone; Münsterbauverein; iStock.com/Wirestock; Erika Weisser; Dorothea Wenninger; iStock.com/alexmak72427; privat