»Echter Wahnsinn«: Freiburg ist die Mountainbike-Hauptstadt der Republik Gesellschaft | 16.05.2023 | Till Neumann

Lehrerin Maggy Abgehoben: Auf dem „Borderline“- Trail gibt's rasante Abschnitte. Dort fährt auch Lehrerin Maggy.

So viele legale Trails hat keine andere Stadt in Deutschland. Da sind sich die Cracks im Breisgau sicher. In den vergangenen Jahren hat sich die Szene rasant entwickelt, sie lockt Mountainbiker aus nah und fern auf die Berge rund um Freiburg. chilli-Redakteur Till Neumann war bei einer Trailtour dabei – und hat mit Experten gesprochen. Sie hoffen auf das Ende einer jahrzehntealten Bremse.

„Der drittgrößte Verein Freiburgs“

Der Rosskopf kann idyllisch sein. Oder rasant. Oben kreisen vier Windräder. Auf den Hängen darunter brettern Waghalsige über den Borderline-Trail. Schon seit 2007 gibt’s die Strecke. Sie wurde gebaut noch lange bevor das Breisgau zum Mountainbike-Eldorado wurde. Wer es heil nach unten schafft, rollt direkt auf den Parkplatz der Jugendherberge im Freiburger Osten. Unweit plätschert die Dreisam. Vögel zwitschern. Auch an diesem sonnigen Donnerstagnachmittag Ende April treffen sich hier Radcracks mit stylischen Helmen und Rädern. Zu ihnen zählen auch Mirjam Milad und Patrick Hecklinger.

Der 42-Jährige ist Pressesprecher des Freiburger Mountainbikevereins, die 41-Jährige dessen Geschäftsführerin. Sie ist die wohl erste Festangestellte eines deutschen MTB-Vereins. Ihre 75-Prozent-Stelle gibt’s seit Herbst 2020. Sie ist nötig geworden, weil die Sache seit der Vereinsgründung 2011 so schnell gewachsen ist: „Wir sind mittlerweile der drittgrößte Verein Freiburgs“, sagt Milad. 2800 Mitglieder zählt er. Im Jahr 2014 waren es rund 400. Ohne professionelle Strukturen ist das nicht mehr zu stemmen. „Troubleshooter“ nennt Hecklinger seine Kollegin.

„Da kommen immer mehr Leute“

Ist Freiburg Mountainbike-Hauptstadt? „Wir sind schon ganz oben“, sagt Milad. Sie kenne keine andere Stadt in Deutschland mit einer solchen Infrastruktur an legalen Trails. Auch Hecklinger sieht das so. 13 Trails gibt es inzwischen, sieben davon in Freiburg. Die übrigen betreiben die Ortsgruppen in Emmendingen, Waldkirch, Oberried und Merzhausen. Allein 200 Nachwuchsfahrer·innen trainieren im Verein. 5000 Menschen kamen zuletzt zum Bikefestival. Hecklinger ist überzeugt: „Die Infrastruktur ist immens weit fortgeschritten.“ Und das Angebot ein Traum. Wer hier fährt, könne tagelang Neues entdecken: „Eine Woche wird’s nicht langweilig.“

Die Erfolgsgeschichte hängt an Engagement und günstiger Geographie. „Wir haben recht früh angefangen, legal Trails zu etablieren“, erinnert sich Milad. Das nötige Gelände liegt vor der Haustüre. Als die Borderline-Strecke 2007 fertig war, habe man schnell gemerkt: „Oh, da kommen immer mehr Leute.“ Sogar kanadische Trailbauer mischten mit und bauten 2015 den „Canadian Trail“. Ab 2017 begann der Verein, Trailpfleger einzustellen. Sechs Leute kümmern sich mittlerweile auf Minijobbasis um die Wartung der Strecken. Die sogenannten „Recher“ kommen einmal die Woche, um Schäden zu beheben oder Mängel auszubessern.

Pressesprecher Patrick Hecklinger auf der„Borderline“-Strecke.

Pressesprecher: Patrick Hecklinger ist unterwegs auf der„Borderline“-Strecke.

Boombox und ein Bike

Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die enge Kooperation mit dem Forstamt. Als „bärenstarken Partner“ lobt Hecklinger die Behörde. So werde beispielsweise bei Beschwerden auch mal gemeinsam an einer Lösung gearbeitet. „Alle werden mit ins Boot genommen“, betont Milad. Auf der Suche nach neuen Wegen würden Umweltschutz und die Bedarfe anderer Interessengruppen großgeschrieben. „Wir suchen den Korridor, der am wenigsten Konfliktpotenzial hat“, erklärt die Freiburgerin. Beim zweitgrößten MTB-Verein Deutschlands in Stuttgart sehen sie, dass es dort immer wieder klemmt bei der Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung.

Das Highlight für Hecklinger ist und bleibt der Borderline-Trail. Obwohl er sich kürzlich bei einem Sturz in Italien verletzt hat, zieht es ihn heute auf die Strecke. In entspanntem Tempo geht es mit dem E-Bike nach oben. Und dann über Wurzeln und Steine locker wieder runter. Andere gehen’s zackiger an: Zwei Männer brettern mit Elektrosound aus der Boombox im Rucksack vorbei. Genau wie die Deutsche U23-Meisterin Finja Lipp. Ob sie kurz Zeit hat, ruft Hecklinger? „Nein, ich mache Intervalltraining“, schallt es zurück.

„Sie ist eine krasse Tackerin“

Kurz darauf fährt ganz in Lila gedresst Lehrerin Maggy vorbei. Sie hat Zeit, fährt nur zum Spaß. Wie sie den Hype erlebt? „Echt Wahnsinn, was hier abgeht“, sagt Maggy. Sie ist vor vier Jahren nach Freiburg gezogen – auch wegen der coolen Trails. Dann kommt ein Pärchen angerauscht. „Seid ihr von hier?“, wollen sie wissen. Die beiden sind aus Bonn und suchen einen Tipp, wo sie noch fahren können. Maggy empfiehlt den „Hubbelfuchs“: „Wenn man enge Kurven mag.“

Die Stimmung ist ausgelassen. „Richtig gestört, wie viel hier los ist“, sagt Maggy und lacht. Auf ihrem Bike steht „Tackern“. Das meint hier: den Berg runterheizen. „Sie ist eine krasse Tackerin“, sagt Hecklinger über die Kollegin. „Und er ein alter Hase“, kontert Maggy. Beide lachen. Dann geht’s aufs Rad. Unten treffen sie erneut die Deutsche Meisterin Finja Lipp. Die schwärmt ebenfalls von den perfekten Bedingungen hier. Aus Rheinfelden ist sie nach Freiburg gezogen. Genau wie viele andere ihrer Profikollegen. 8 von 35 aus der Nationalmannschaft wohnen hier, schätzt Lipp. Ein Bekannter ist ebenfalls heute unterwegs. Er holte letztes Jahr Gold bei den Deutschen Junioren.

Mirjam Milad

Geschäftsführerin: Mirjam Milad berichtet vom Run auf die Anlagen in und um Freiburg.

„Bedarf ist exorbitant hoch“

Ginge es nach Patrick Hecklinger und Mirjam Milad wird das Freiburger Trailnetz weiter ausgebaut. „Wir sehen großes Potenzial“, sagt Milad. Doch das Thema sei politisch, der Raum begrenzt. Fingerspitzengefühl ist gefragt. Und möglicherweise auch das Ende der baden-württembergischen Zwei-Meter-Regel. Diese besagt seit 1995, dass Mountainbiker nur auf Wegen fahren dürfen, die eine Sondergenehmigung haben oder breiter sind als zwei Meter. „Die Regel macht’s richtig schwer, der Bedarf ist exorbitant hoch“, sagt Hecklinger. Er ist sicher, dass weitere „Share-Trails“ für Wanderer und Biker eine Lösung sein könnten. „Dann würde es sich mehr verteilen.“ Milads Vorschlag: Man könnte Strecken nur für bestimmte Uhrzeiten freigeben. Beispielsweise bis 11 Uhr für Biker, dann nur für Wanderer. Doch auch, wenn der Ausbau nicht klappt: Freiburgs Spitzenplatz als Mountainbike-Hochburg scheint unangefochten.

Fotos: © tln