„Jeder steht für jeden ein“: Mitglied eines arabischen Clans gibt Einblicke Gesellschaft | 02.09.2020 | Till Neumann

Clans Freiburg; Omeirat

Omeirat. Der Name steht im Ruhrpott auch für Gewalt und Kriminalität. In Städten wie Essen ist der arabische Clan berühmt-berüchtigt. Was weniger bekannt ist: Auch in Freiburg gibt es Vertreter. Ein Mitglied erzählt, was die Familie im Breisgau ausmacht.

Kurze Haare, breiter Nacken, große Tattoos. Arif Omeirat (Name geändert) sitzt auf einer Parkbank in Freiburg und erzählt mit ruhiger Stimme. Derzeit ist der zweifache Familienvater auf Bewährung. Wegen eines Bandscheibenvorfalls kann er nicht arbeiten. Viel mehr ärgern ihn aber Vorurteile gegenüber seiner Familie.

Omeirats sind Spitzenreiter

„Wir sitzen hier nicht sonntags zusammen und planen den nächsten Coup“, sagt Omeirat. Sein Name schrecke dennoch ab. Der Grund: Die Großfamilie mit kurdisch-libanesischen Wurzeln gilt als der einflussreichste arabische Clan im Ruhrpott. Laut Landeskriminalamt (LKA) gehen ein Drittel aller Straftaten in Nordrhein-Westfalen auf die Kappe arabischer Clans. Spitzenreiter sind die Omeirats. Wer den Namen auf Google sucht, stößt schnell auf Presseberichte zu Gewaltakten im Westen der Republik. Der Freiburger will aber klarstellen: „Wir sind hier in Freiburg harmlos.“

Etwa 80 Omeirats leben nach seiner Aussage in und um Freiburg. Viele davon seien gut integriert und gingen regulären Jobs nach. Als Polizist, Friseurin oder im Sicherheitsdienst. Dennoch sei die Familie keine gewöhnliche: „Der Zusammenalt unterscheidet uns.“ Habe einer ein Problem, wären sofort Leute da. „Da steht jeder für jeden ein.“ Notfalls würde er trotz Bewährungsstrafe handgreiflich werden, um ein Familienmitglied zu unterstützen.

Problem bei Jobsuche

Arif Omeirat ist als Jugendlicher in Geschäfte eingebrochen. Wegen Körperverletzung ist er verurteilt worden. Eine Schlägerei in einem Freiburger Club ist 2017 eskaliert, berichtet er. Dennoch legt er für die Rechtschaffenheit der Omeirats in Freiburg die Hand ins Feuer: „Wir hier im Süden sind die Normalsten.“

Bei der Jobsuche ist er dennoch schon auf Granit gestoßen. Ein potenzieller Arbeitgeber habe ihn wegen des Namens abgelehnt. Er konnte es nachvollziehen. „Parallelgesellschaften, klar, die gibt es in unserer Familie“, sagt er. Nicht aber in Südbaden. Die Polizei und das LKA Baden-Württemberg bestätigen: Es gebe keine Erkenntnisse, die auf kriminelle Aktivitäten des Omeirat-Clans in Freiburg hinweisen.

Ob Omeirat stolz auf den Namen sei? „Nein.“ Ihn abzugeben, sei aber ausgeschlossen. „Dann hätte ich zu 100 Prozent keine Familie mehr.“ Finanziell könnten ihm die Verwandten aushelfen. Doch ohne Gegenleistung gehe das nicht: „Dann müsste ich zum Beispiel in Werkstätten einbrechen, um Werkzeuge für einen großen Bruch zu stehlen.“ Oder man beauftrage ihn, ein Bankschließfach leerzuräumen.

„Nichts mit Religion zu tun“

Tun würde er so etwas nicht mehr. Doch als Jugendlicher ist Omeirat trotz der Schule auf die schiefe Bahn geraten. „Das gab Fame“, sagt er zu den Einbrüchen. Akzeptiert worden sei er in der Familie aber nicht wegen krimineller Energie, sondern wegen seiner Art. Jemand zu töten, verurteilt er: „Blutvergießen ist die letzte Möglichkeit. Das macht man nicht.“

Für Johanna Pink von der Uni Freiburg ist es wichtig, Clan-Phänomene nicht auf den Glauben zurückzuführen: „Das hat nichts mit Religion zu tun“, sagt die 46-jährige Islamwissenschaftlerin. Vielmehr seien Armut über mehrere Generationen und fehlendes Vertrauen in den Staat wichtige Faktoren. Patriarchalische Strukturen wie bei den Omeirats gebe es auch in nichtarabischen Familien. Soziale Faktoren seien da entscheidender als religiöse oder kulturelle.

Kinder sollen anders aufwachsen

Auch Arif Omeirat bestätigt den Bezug zu finanziellen Nöten. Seine Familie sei in den 1920er-Jahren aus der Türkei in den Libanon geflohen. Von da ging es dann Mitte der 80er nach Deutschland. Viele hätten in Deutschland nicht arbeiten dürfen. Daraufhin hätten sie sich untereinander organisiert – notfalls auch kriminell. „Man musste schauen, wo man bleibt“, sagt Omeirat. Seine drei Kinder möchte er von so etwas fernhalten: „Denen will ich das nicht antun.“ Er wünscht sich, dass sie einen Schulabschluss machen und eine Arbeit finden.

Auch zur Rolle der Frauen äußert sich Omeirat. Wie viel Mitsprache sie haben? „Es sind halt Frauen“, sagt er und lacht. Sie würden mit Respekt behandelt und hätten alle Freiheiten. Keine müsse ein Kopftuch tragen. Wer wolle, arbeite im Beruf seiner Wahl. Von seiner ersten Frau ist er getrennt. Omeirat lebt jetzt mit zwei seiner Kindern und einer neuen Partnerin in Freiburg.

Ob man kriminelle Strukturen wie die seiner Familie im Ruhrpott auflösen könne? „Dafür ist es zu spät“, sagt Omeirat. Die Politik habe zu lange geschlafen. Über deutsche Gesetze lache man im Clan. „Die sind viel zu weich.“ Er findet: Jeder, der aus dem Ausland komme und etwas Illegales tue, sollte abgeschoben werden. Ihn kann das nicht treffen. Arif Omeirat hat einen deutschen Pass.

4Blocks; Serie

Preisgekrönt: Die Serie „4 Blocks“ zeigt das Leben arabischer Clans.

Arabische Clans

Brennpunkt im Westen
Die Bezeichnung „arabische Clans“ steht meist für Mitglieder von Großfamilien mit Wurzeln im türkisch-arabischen Raum. Laut dem Bundeskriminalamt (BKA) sind rund 200.000 Menschen in Deutschland Teil davon. Mit Kriminalität ist der Begriff nicht gleichzusetzen. In Nordrhein-Westfallen stehen rund 100 Clans unter Beobachtung des Landeskriminalamtes. In der Hochburg Essen stellen Mitglieder der Familie Omeirat den mächtigsten Clan.

Umstrittene Bezeichnung
Der Begriff „Parallelgesellschaft“ steht für Gruppen, die sich von der Gesellschaft abschotten und nach eigenen Gesetzen leben. Die Bezeichnung ist umstritten, Experten bezweifeln, dass es in Deutschland Parallelgesellschaften gibt. Der Begriff impliziert zudem eine Kritik an der Lebensweise von Migrantinnen und Migranten.

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