Musée Unterlinden, Colmar: Eine spektakuläre Ausstellung zum Leben und Werk von Yan-Pei-Ming Kunst & Kultur | 16.07.2021 | Erika Weisser

Ausstellung von Yan-Pei-Ming

Bis zum 11. Oktober ist im Musée Unterlinden zu Colmar eine Retrospektive des Lebenswerks des international renommierten Malers Yan Pei-Ming zu sehen. Mehr als 60 teilweise monumentale und überwiegend monochrome Werke aus vier Jahrzehnten seines Kunstschaffens werden in den Räumen des 2015 eröffneten Erweiterungsbaus, dem Ackerhof, präsentiert  – das ist die in Frankreich bisher größte Ausstellung von Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen des aus Shanghai stammenden und seit 1979 in Dijon lebenden Malers. Die gezeigten Werke stammen aus Privatsammlungen und Museen in Europa und China, aber auch aus Pei-Mings eigenem Fundus.

„Au nom du Père“ – „Im Namen des Vaters“ hat Kuratorin Frédérique Goerig-Hergott die  Ausstellung genannt, die einen neuen, intensiven Einblick nicht nur in das Werk des aus China stammenden Künstlers ermöglicht, sondern auch in sein Leben: Viele Selbstbildnisse aus verschiedenen biografischen Phasen Yan Pei-Mings zeugen von einer intensiven Auseinandersetzung mit sich selbst, lassen Rückschlüsse auf seine jeweilige Seelenverfassung zu. Und die teils mit markant-kraftvollem, teils zärtlich-leichtem Pinselstrich gemalten Portraits von seinem Vater zeigen dessen durchaus widersprüchlichen Charakter – und eine enge und dennoch ambivalente Verbundenheit zwischen Sohn und Vater.

Kunstwerk von Yan-Pei-Ming

Die Vater-Porträts eröffnen aber auch einen besonderen Zugang zur Mutter des Künstlers: Nach Angaben von Goerig-Hergott, die ihn persönlich kennt, war seine Sicht auf den Vater geprägt und beeinflusst durch die Beziehung seiner „sehr dominanten, willensstarken  und tatkräftigen“ Mutter zu ihrem von ihr eher als schwach und unentschlossen empfundenen Mann. Er habe, sagt die Kuratorin unter Berufung auf Yan Pei-Mings eigene Aussagen, sie „über alles verehrt“ – so sehr, dass er zu ihren Lebzeiten kein Bild von ihr malte. Erst nach ihrem Tod 2018, aus der Erinnerung.

Ausstellung von Yan-Pei-Ming

Aus ihrem Todesjahr stammt das Portrait, das sie zwar als alte, doch keineswegs gebrechliche Frau zeigt. In der Ausstellung im Musée Unterlinden wurde dieses beeindruckende, 3,50 x 3,50 Meter messende Bild neben einem ebenso großen Bild des Vaters platziert, das diesen jedoch auf dem Sterbebett zeigt – ein Ensemble, das die lebenslange Verbindung von Schwäche und Stärke symbolisiert. Eine ganz besondere Note bekommt dieses Doppelporträt der Eltern durch den Blick des Sohnes auf sie: An der rechtwinklig zu dieser Ausstellungsfläche stehenden wand ist ein Selbstporträt Pei-Mings zu sehen, dessen Gesicht und Augen auf die Bilder der Eltern gerichtet sind – und einiges über die Beziehung zu ihnen preisgeben. Die drei Bilder, erläutert Frédérique Goerig-Hergott, sind denn auch nicht zufällig so angeordnet: Im Atelier des Künstlers in Dijon seien sie genau so aufgehängt wie nun in diesem wie eigens für sie geschaffenen Raum im „Ackerhof“.

Ausstellung von Yan-Pei-Ming

Eigens für die Ausstellung im Musée Unterlinden hat Yan Pei-Ming tatsächlich ein Werk geschaffen : Pandémie heißt es und es entstand im November 2020, während der zweiten Welle der Covid-19-Pandemie und dem entsprechenden Lockdown in Frankreich. Auf diesem düsteren, 4 x 5,60 Meter großen Gemälde ist schemenhaft eine verödete Landschaft und die leuchtend Silhouette des Petersdoms zu erkennen, im sind Vordergrund Männer in Schutzkleidung dargestellt, die Leichensäcke bergen. Einer der Männer ist der Künstler selbst. Dieses Bild, weiß Goerig-Hergott, soll nicht nur an die dramatische Situation in Italien im Frühjahr 2020 erinnern. Es sei zudem „von Anfang an als Echo auf die Tafelbilder des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald gedacht“ gewesen – diesem Meisterstück mittelalterlicher Malerei, das seinen Platz im Musée Unterlinden hat und gerade sorgfältig restauriert wird.

Yan Pei-Ming, erläutert sie, greift dabei das von Grünewald besonders in der Kreuzigungsszene aufgenommene Thema des zu Beginn des 16. Jahrhunderts pandemisch ausgebreiteten Mutterkornbrands auf und zieht eine Parallele zur Gegenwart. Er übernimmt auch die „monumentale Größe des Altars, das sakrale Format des Diptychons der berühmten Kreuzigung und lädt die Betrachter dazu ein, sich mit den Figuren auf diesem Bild zu identifizieren, das den Berg Golgatha des mittelalterlichen Werkes in unsere von Covid-19 geprägte Gegenwart versetzt“.

Ausstellung von Yan-Pei-Ming

Stundenlang könnte man vor diesem Bild verharren, das trotz aller realen Bezüge und trotz der realistisch-figürlichen Darstellung irgendwie dystopisch wirkt. Überhaupt sollte man sich Zeit nehmen, wenn man diese überaus klug kuratierte und sehr lohnenswerte Ausstellung besucht, die sich nicht nur mit dem leiblichen Vater des Künstlers auseinandersetzt, sondern auch weitere, für die Biografie des Künstlers bedeutende Vaterfiguren zum Inhalt hat, etwa Mao Zedong oder Buddha. Denn hier gibt es nicht nur etwas zu sehen, sondern vor allem zu erleben. Und darauf sollte man sich einlassen. Auch zeitlich. 

Info

www.musee-unterlinden.com/de/expositions/yan-pei-ming-3/

Fotos: © Erika Weisser