Wie ein Freiburger Verein Konzerte in einem Wohnhaus schmeißt Musik | 24.10.2023 | Pascal Lienhard

Kiss Freiburg Unscheinbar: Hinter der unauffälligen Tür verbirgt sich eine von Freiburgs interessantesten Venues.

Regelmäßige Gigs in einem Wohnhaus: Die Idee scheint zum Scheitern verurteilt. Das Freiburger Kiss beweist das Gegenteil. Die etwas andere Konzertlocation feiert dieses Jahr ihr zehntes Wiegenfest. Zu den Fans zählen nicht nur Musiker, sondern auch Freiburgs Kulturbürgermeister.

Der Eingang ist unscheinbar: Wer das Kiss an der Lehener Straße zum ersten Mal besucht, schaut vermutlich zweimal auf die Karte. Ist das die richtige Adresse? Ja, das muss es sein, hier steht der Aufsteller, dort hängt ein weißes Schild. Die Tür führt durch den Eingangsbereich einer Altbauwohnung, dann geht’s eine Kellertreppe runter. Unten angekommen steht man nicht im Fahrradkeller, sondern mitten in einem Anwärter auf den gemütlichsten Konzertraum der Stadt.

Trotz Namensverwandtschaft hat die Location nichts mit den maskierten Glam-Rockern zu tun: Kiss steht für Kultur im Stühlinger Souterrain. Auch ist die Venue wahrlich kein Stadion, in dem „I was made for lovin’ you“ erklingen könnte. Der von einem gemeinnützigen Verein betriebene Spot ist im besten Sinne schnuckelig: Tische und Sofas schaffen Wohnzimmeratmosphäre, an der Wand prangen Plakate vergangener Veranstaltungen. Auch die Bands, die hier spielen, sollten nicht die Größe der Kelly Family haben.

„Wenn es richtig voll ist, passen 50 Gäste rein“, berichtet Dagmar Neumann. Die Bookerin ist seit fünf Jahren Vorsitzende des gleichnamigen Vereins. Heute allerdings steht kein Auftritt an, dafür blickt die 69-Jährige auf die Geschichte des Kiss zurück. Seit zehn Jahren laufen hier nicht nur Konzerte, sondern auch Quiz- und Dartsabende, Theaterauftritte und Lesungen. Der Eintritt ist immer auf Spendenbasis. Zudem nutzen eine Theater- und eine Tanzgruppe den Keller für ihre Proben, ab und an üben Musiker·innen.

Konzert im Kiss

Für die Kelly Family würde es eng werden: Konzert im Freiburger Kiss

Gründer Michael Fischer betrieb ursprünglich im Nebenhaus die Weinbar La Gaffe. Schon dort gab es wöchentliche Quiz und Konzerte. „Der Laden war winzig und bei Konzerten schnell gerammelt voll“, blickt Neumann zurück. Als die Miete zu saftig wurde, machten sich Fischer und Gleichgesinnte auf die Suche nach einer neuen Bleibe – und wurden nebenan fündig. Damals dachte noch niemand an ein zehnjähriges Jubiläum. Doch über die Jahre hat sich das Kiss vor allem mit seinen Konzerten einen Namen gemacht. „Wir bekommen sogar Bewerbungen und Anfragen aus Südafrika und Kanada“, freut sich Neumann.

Ihr ist es wichtig, auch jungen Künstler·innen eine Bühne zu bieten. „Die Acts schätzen es, dass sie hier ein aufmerksames Publikum haben“, glaubt Neumann. Und wenn Leute während eines Auftritts zu laut quatschen, ermahnt die Bookerin sie auch mal. Ganz unnötig war das etwa Ende Juli beim gefeierten Auftritt von Pauline & Aleksi. Während das deutsch-finnische Duo seine Songs spielte, hätte man ein Plektrum fallen hören können.

Zu den Fans der Location zählt der Freiburger Gitarrist, Sänger und Liedermacher Oliver Scheidies. „Das Kiss ist ein Sofakonzert-Bühnen-Juwel in dieser Stadt, wie es leider kein zweites gibt“, sagt er. „Eigentlich sollte es in Freiburg 20 Bühnen dieser Art geben.“ Scheidies spielt gerne Konzerte in dem Keller, egal ob solo und unplugged oder laut und mit Band. „Kiss heißt immer: volle Bude, ausgelassene wie auch aufmerksame Stimmung“.

Und das alles in einem Wohnhaus. Anderswo würde nach dem ersten Konzert mit Publikum, das in den Pausen im Pulk rauchend und quatschend vor der Tür steht, die erboste Nachbarschaft anklopfen. Nicht so an der Lehener Straße. „Da hatten wir nie Probleme“, sagt Neumann. „Die Anwohner sind sehr tolerant, der Sound schallt ja auch nicht so sehr raus.“ Das einzige Problem sei, dass die Eingangstür nicht unbewacht offen stehen darf. Die Gäste müssen klingeln, wenn sie nach der Raucherpause zurückwollen. „Da suchen wir noch nach einer Lösung.“

Dagmar Neumann

Hat auch schon Besuch aus Südafrika empfangen: Kiss-Bookerin Dagmar Neumann

Nachdem es in der Vergangenheit kurz so aussah, als müsste das Kiss wegen Problemen mit dem Vermieter aufgeben, hat der Verein heute einen unbefristeten Mietvertrag. Doch auch wenn hier alle ehrenamtlich arbeiten und der Hut vom Publikum zum Teil wohlwollend gefüllt wird: Die Miete in der zentralen Lage ist ein ordentlicher Batzen, unlängst wurde sie erhöht.

Eine Säule zur Finanzierung sind die Jahresbeiträge der rund 50 Mitglieder. Zudem werden seit einiger Zeit Kiss-Shirts verkauft. Für die neue Charge gibt’s schon einige Bestellungen. Auch Freiburgs Kulturbürgermeister Ulrich von Kirchbach zählt zu den Kiss-Gästen. „Er kommt manchmal donnerstags zu unserem Quiz vorbei“, verrät Neumann.

Auch nach zehn Jahren gibt es noch viele Freiburger·innen, die bei Kiss zuerst an Gene Simmons und seine Feuershow denken. „Für manche sind wir anscheinend immer noch ein Geheimtipp“, schmunzelt Neumann. „Viele freuen sich dann mega, uns entdeckt zu haben und kommen wieder.“ Beim zweiten Mal wissen dann auch alle, auf welche Haustür sie zusteuern müssen.

Fotos: © Pascal Lienhard, Kiss Freiburg, Felix Groteloh