Abstürzende Neubauten – Kapitaler Einbruch im Wohnungsbau: Kritik an Politik Bauen | 16.08.2023 | Lars Bargmann

Illustration: Haus an einer Schnur fällt in ein Loch.

In Deutschland bricht der Wohnungsbau immer mehr zusammen. Statt der von der Bundesregierung propagierten 400.000 Wohnungen pro Jahr wurden im vergangenen nur 295.000 gebaut. Fürs laufende Jahr rechnen Experten noch mit 223.000. Das ist noch nicht der Tiefpunkt des Fahrstuhlschachts: Nach einer Untersuchung des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) werden es 2024 nur noch 177.000 sein. Zum Vergleich: 1973 waren es 714.200. In Freiburg, wo 1000 neue Wohnungen das Ziel sind, wurden im vergangenen Jahr nur 298 fertiggestellt. Die Vollbremsung hat massive Auswirkungen. Es ist fraglich, ob das Neubaugebiet Klein­eschholz die etwas abfedern kann.

Vierhunderttausend. Diese Zahl hatte Bundesbauministerin Klara Geywitz zu Beginn der Legislaturperiode an die Wand gemalt. 100.000 neue Sozialwohnungen sollten darunter sein. Doch anders als in der Kneipe wird in Berlin zwar bestellt, aber nicht bezahlt. Die Förderprogramme von Bund, Ländern und Kommunen reichen derzeit vielleicht für den Fugenmörtel, aber nicht für die Steine drumherum. Es gibt kaum einen aus der Baubranche, der keine attraktivere Förderkulisse fordert. Vor allem für neue Sozialwohnungen. Aber nicht nur. Da wird mittlerweile auch mal emotional vorgetragen.

Das Statistische Bundesamt gehört traditionell zu den emotionsarmen Marktbegleitern. Im Mai, so teilte die Behörde mit, ist die Zahl der Wohnungsbaugenehmigungen gegenüber dem Vorjahresmonat um 25,9 Prozent auf 23.500 geschrumpft. Es geht noch drastischer: Im April war die Zahl um 31,9 Prozent gesunken. Der heftigste Einbruch seit 17 Jahren.

Der Ukrainekrieg hatte nur wenig Auswirkungen. Genickbruch für den Wohnungsbau sind die Zinsen. Aber es ist ja auch ein Witz, wenn das Förderprogramm für den sozialen Wohnungsbau 2023 bereits Mitte Mai ausgeschöpft ist.  Stefan Schäfer, Geschäftsführer der Dürrschnabel Industriebau GmbH in Emmendingen (Generalunternehmer)

Kein Problem in Deutschland allein. Das geht aus aktuellen Berechnungen der Forschergruppe Euroconstruct hervor, die das Münchner Ifo-Institut unlängst veröffentlichte. 19 Länder hatten die Forscher untersucht. Besonders betroffen in den Jahren 2023 bis 2025 sind demnach Schweden (minus 39 Prozent zu 2022), Dänemark (-33), Ungarn (-29) und Deutschland (-32). Positive Entwicklungen prognostizieren die Forscher für Irland (+17 Prozent), Portugal (+15), Spanien (+12) und die Slowakei (+ 11 Prozent). Unterm Strich fehlten 2025 knapp 1,6 Millionen Einheiten. Und allein in diesem und im nächsten Jahr 37 Milliarden Euro an Bau-Investitionen.

Um den Einbruch zumindest etwas abzufedern, plädiert das zur Hans-Böckler-Stiftung gehörende IMK für eine „spürbare Aufstockung der öffentlichen Ausgaben für den sozialen Wohnungsbau“. Damit könne nicht nur ein Absturz der Baubranche„verhindert“, sondern auch der Anteil günstigerer und energieeffizienterer Wohnungen gesteigert werden. Die zuletzt von privaten Bauträgern „angesichts zu hoher Bau- und Finanzierungskosten zu selten gebaut wurden“.

Der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) warnte schon vor einem Jahr „vor dem Stillstand und dem Absturz“ beim Wohnungsbau. „Die bisherige Politik der Bundesregierung hat den Absturz aber nicht bremsen können. Sowohl die Beschäftigten am Bau als auch diejenigen, die eine Wohnung suchen, spüren dieses Scheitern am eigenen Leib“, kritisiert BFW-Präsident Dirk Salewski. Die gesamte Wertschöpfungskette am Bau sei betroffen.

Ein Dominoeffekt: „Zuerst merkt es der Baggerfahrer, zuletzt der Maler. Weshalb nicht entschlossen und geschlossen dagegen angegangen wird von Bund, Ländern und Kommunen, bleibt ein Rätsel“, so der BFW-Präsident. Erwerbsnebenkosten, vor allem die Grunderwerbssteuer, müssten runter, es brauche klare Finanzierungs- und Förderbedingungen, realistische Baustandards, steuerliche Anreize, einen Turbo für Planungs- und Ge­neh­migungs­verfahren.

Dank unserer Wohnbau­­­offensive und einer starken Gesellschafterin können wir antizyklisch handeln – das hilft aktuell vielen Unternehmen, nicht zuletzt unseren ­Handwerkern. Matthias Müller,Geschäftsführer der Freiburger Stadtbau GmbH (Wohnungsbau)

Als Baubürgermeister Martin Haag erfuhr, dass im vergangenen Jahr in Freiburg nur 298 Wohnungen fertiggestellt wurden, glaubte er zunächst an einen „statistischen Ausreißer“. Es war aber keiner. Genehmigt wurden immerhin 973. Das war auf Augenhöhe mit der vergangenen Dekade, in der im Schnitt jedes Jahr 999 Wohnungen genehmigt wurden. Darunter findet sich allerdings auch das ein oder andere Studierendenwohnheim mit gleich mehreren hundert Apartments. Und: Der Abriss von Gebäuden, die Platz für neue machen, wird bei der Stadt nicht erfasst. Mithin liegt der reale Zuwachs zuverlässig unter der offiziellen Zahl der Fertigstellungen. Das gilt übrigens auch bundesweit: 400.000 sind nie 400.000 mehr als vorher.

„Wir haben unser Ziel, 1000 neue Wohnungen im Jahr, im langjährigen Mittel immer geschafft. Aber das war im vergangenen, wird in diesem und auch im nächsten Jahr sicher nicht zu schaffen sein“, sagt Haag. Im laufenden Jahr habe sein Dezernat bis einschließlich Juni 381 neue Wohnungen genehmigt. Genehmigte Wohnungen aber sind nur Papier. Ob und vor allem wann sie auch in Gebäude gegossen werden, entscheidet eine Excel-Tabelle.

Und in der drücken die Spalten „Finanzierungskosten“ und „Baukosten“ aktuell so stark auf die Rentabilität, dass viele Bauträger und Projektentwickler lieber abwarten. Wenn sie es sich leisten können. Auf der anderen Seite sind die „Häuslebauer“ in der Zange zwischen – im Vergleich zu den vergangenen zehn Jahren – exorbitanten Finanzierungskosten und der Inf lation. Die Anfragen nach Baufinanzierungen sind dramatisch eingebrochen. Um etwa die Hälfte bei der Freiburger Sparkasse. Die Immobiliennachfrage gab erdrutschartig um 70 bis 80 Prozent nach, sagt Oliver Kamenisch, Geschäftsführer der Sparkassen-Immobiliengesellschaft.

Unsere Auftragslage ist weiter sehr gut. Es gibt zwar weniger Neubau, dafür mehr Sanierungen im Altbau und neue Heiztechnik. Wir haben in den letzten zwei, drei Jahren schon 150 Wärmepumpen eingebaut, Tendenz steigend. Allerdings nur im Neubau. Die Eigentümer von Bestands­immobilien warten ab, wie sich die in Berlin irgendwann mal so einigen, dass man verlässlich entscheiden kann.  Volker Sexauer, Geschäftsführer der Sexauer GmbH in Bötzingen (Haustechnik/Handwerk)

Die Flaute wirkt sich mittlerweile auch deutlich aufs Handwerk aus. Nach einer Ifo-Konjunkturumfrage im Juni hat sich der Auftragsmangel im Wohnungsbau weiter verschärft. 34,5 Prozent der befragten Firmen berichten von zu wenig Aufträgen. Der höchste Wert seit April 2010. Mit 19,2 Prozent wurde auch bei den Stornierungen schon bestehender Aufträge ein neuer Rekordwert erreicht. „Insbesondere im Wohnungsbau ist eine deutliche Abkühlung bei den Betrieben angekommen“, sagte der Freiburger Handwerkskammer-Präsident Johannes Ullrich bei der Bekanntgabe des jüngsten Konjunkturberichts Mitte Juli. Seit 2000 hätten sich die Baukosten pro Quadratmeter Wohnfläche im frei finanzierten Wohnungsbau verdoppelt: „Damit wird der Wohnungsbau aktuell enorm ausgebremst.“

Am Zinsmarkt ist eine gewisse Normalität ein­getreten.  Beim Grundstückskauf kann man nicht mehr jeden Preis akzeptieren. Die Politik ist gefordert. Beim Ersterwerb von Immobilien könnte sie auf die Grund­erwerbssteuer verzichten. Und steuerliche Abschreibungen attraktiver machen. Wenn Fördermittel 2023 bereits im Mai ausgeschöpft sind, hilft das sicher nicht, den Wohnungsbau zu beschleunigen. Klaus Ruppenthal, Vorstand der Wohnbau Baden AG (Bauträger)

Die Baukosten sind der eine Treiber des Abschwungs. Ein zweiter ist die historische Zinswende mit neun Leitzinserhöhungen, mit denen die EZB zwischen dem 21. Juli 2022 und dem 27. Juli 2023 den Zins auf 4,25 Prozent katapultiert hat. In der Schweiz liegt er bei 1,75 Prozent. Banker gehen aktuell eher von noch weiteren Steigerungen aus, Finanzmarktanalysten prognostizieren eher eine Seit- oder leichte Abwärtsbewegung. „Auf einem guten Boden kann man einen guten Bau aufführen, und der beste Boden und Baugrund auf Erden ist das Geld“, schrieb einst der spanische Schriftsteller Miguel de Cervantes Saavedra („Don Quijote“). Das Geld ist aktuell so teuer wie zuletzt 2008 während der weltweiten Finanzkrise.

Teuer und mit steigender Tendenz sind auch die Bauvorschriften. Seit Jahren plädiert die Bauwirtschaft für Vereinfachungen, seit Jahren überschwemmen immer wieder neue die Branche. Etwa trockene Steigleitungen für die Feuerwehren in allen Treppenhäusern in Mehrfamilienhäusern. Und es ist sicher auch kein Turbo, wenn die Ampelregierung quasi über Nacht Förderprogramme streicht oder sich auf offener Bühne einen monatelangen Heizungszoff liefert. Die Diskussionen hätten Kunden und Betriebe sehr verunsichert, sagt Ullrich: „Wir sind froh, dass im letzten Gesetzes­entwurf endlich zentrale Forderungen des Handwerks aufgegriffen wurden.“ Die Bundesregierung müsse das Gesetz aber nun „endlich langfristig tragbar und realistisch aufsetzen.“

Angesichts des Einbruchs im Wohnungsbau gibt es immer weiter steigende Mieten. Das ist zutiefst asozial. Der Staat muss schauen, dass er die Mieten runterbringt. Sonst führt das zu gesellschaft- lichen Verwerfungen. Auch das Schubladendenken bei der Grundstücksvergabe in Freiburg muss beendet werden. Ohne private Bauwirtschaft wird nicht nur Kleineschholz und Dietenbach nicht gelingen. Peter Unmüßig, Geschäftsführer der Unmuessig-Gruppe

Die Vollbremsung befeuert nicht nur in Ballungsgebieten zudem die Mieten. „Der Kaufmarkt hat auf den Pausenknopf gedrückt, die Mieten sind aber in der Tendenz gestiegen“, so Marco Wölfle, wissenschaftlicher Leiter am Center for Real Estate Studies in Freiburg. Auch im Umland. Je weniger gebaut wird, umso barrierefreier wird die Toleranzschwelle der Menschen bei der Miete.

Dass die Freiburger Stadtbau – mit städtischer Rückendeckung – bis 2030 rund 750 Millionen Euro in 2500 neue Wohnungen investieren kann – „die größte Wohnbauoffensive in der Geschichte der Stadt“, so Oberbürgermeister Martin Horn –, ist angesichts der „toxischen Rahmenbedingungen“ (Bauvereinsvorstand Marc Ullrich) aktuell mehr als nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Für eine Wende beim Wohnungsbau braucht es aber auch in Freiburg die Politik: Man darf sehr gespannt sein, wie etwa das Vermarktungskonzept fürs Neubaugebiet Klein­-
eschholz mit 500 Wohnungen aussehen
wird, was die Verwaltung im Herbst präsentieren will.

Von einer Krise am Bau ist  bei uns gar nichts zu merken. Wir haben fast 50 Prozent unserer Aufträge von der öffentlichen Hand, Schulbauten, Kultur- und Bürgerhäuser, Sanierungen, oft auch denkmalgeschützte Gebäude,  aber fast keinen privaten Wohnungsbau. Martin Mohnke, Geschäftsführer Mohnke/Höss Bauingenieure GbR (Tragwerksplaner)

Das will „preisgünstiges Wohnen sowie innovative soziale, ökologische, inklusive und kulturelle Konzepte klimafreundlich ermöglichen“, wie es in einer Vorlage für den Gemeinderat heißt. Zudem soll es ausschließlich mit gemeinwohlorientierten Akteuren – was auch immer das heißt – entwickelt und die Bauflächen nur im Erbbaurecht vergeben werden. Im Wohnungsbau bezahlen normalerweise diejenigen die Sonderwünsche, die sie äußern.

Die Regierung hat in der Niedrigzinsphase eine große Chance verpasst, mit günstigen Zinsen massiv den Wohnungsbau zu fördern. Jetzt wird das deutlich schwerer.  Oliver Kamenisch, Geschäftsführer der Sparkassen- Immobiliengesellschaft (Makler)

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Wohnungspreise: Der Staat zählt selber zu den Kostentreibern