»Freizeit heute wichtiger als vor 15 Jahren« Heftiger Tarifstreit: Arbeitgeber kritisieren Verdi-Forderungen business im Breisgau | 13.03.2025 | Philip Thomas

Streik im Stadtzentrum: Verdi-Mitglieder im Februar in ­Freiburg  Streik im Stadtzentrum: Verdi-Mitglieder im Februar in ­Freibur.

Acht Prozent mehr Lohn, mindestens 350 Euro, flexiblere Arbeitszeiten und zusätzlich drei freie Tage. Das sind die aktuellen Forderungen von Verdi für 2,5 Millionen Beschäftigte bei Bund, Land und Kommunen. Auch im Südschwarzwald ließen zahlreiche Angestellte ihre Arbeit liegen. Nach zwei Verhandlungsrunden und zahlreichen Streiks liegt der Dienstleistungsgewerkschaft kein Angebot vor. Arbeiterverbände und kommunale Unternehmen sprechen von knappen Kassen und überzogenen Forderungen.

„Die Verhandlungen laufen sehr schleppend, nach der zweiten Verhandlungsrunde gab es kein Angebot“, berichtet Verdi-Gewerkschaftssekretär Michael Herbstritt Anfang März. Am 15. und 16. des Monats wolle man sich wieder am Verhandlungstisch treffen. Bis dahin sind weitere Streiks geplant.

Gewerkschaftssekretär Michael Herbstritt

Gewerkschaftssekretär Michael Herbstritt

An der Arbeitsniederlegung beteiligt sind Dienstleister aus zahlreichen Branchen. „Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen“, erklärt Nathalie Schlenker von der Badenova AG. 31,4 Prozent des Energieunternehmens gehören den Freiburger Stadtwerken. Der Fachkräftemangel sei beim Versorger deutlich zu spüren. „Die Babyboomer gehen in Rente, das müssen die Kollegen bereits jetzt aushalten“, sagt sie und fordert Lohnerhöhungen: „Das steigert die Attraktivität und sichert Existenzen.“

So sieht es auch Karsten Seidler von der Konzernschwester BadenIT: „Wir wollen verhindern, dass Kollegen abwandern. Auf der einen Seite wollen wir digitalisieren und KI einsetzen, aber dafür brauchen wir ITler.“ Seidler wünscht sich eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen. „Egal, ob mehr Gehalt, mehr Flexibilität oder mehr Urlaubstage.“

Lars Niederhüfner von der Freiburger Abfallwirtschaft und Stadtreinigung (ASF) möchte ebenfalls, dass sein Arbeitgeber attraktiver wird. „Die meisten haben eine Nebentätigkeit, die Erholungszeiträume sind gering“, sagt er. Laut Verdi-Bezirksgeschäftsführer Reiner Geis sind rund 500.000 Stellen im öffentlichen Dienst aktuell unbesetzt.

Neben knapp 400 Kitas von der Ortenau bis zum Bodensee beteiligten sich im Februar auch neun Krankenhäuser am Streik. Christian Guth aus dem Kreiskrankenhaus Emmendingen erklärt: „In den vergangenen fünf Jahren ist viel Personal gegangen und es kommt niemand nach, Stationen müssen geschlossen werden.“ Gerade die Pflege sei nicht attraktiv genug. „Die Azubis können nicht nach Emmendingen ziehen, weil sie es sich nicht leisten können.“ Wie in allen anderen Bundesländern solle auch in Baden-Württemberg eine 38,5-Stunden-Woche eingeführt werden.

Der Vorsitzende des Kommunalen Arbeiterverbands Baden-Württemberg, Wolf-Rüdiger Michel, kritisiert: „Die erneuten Warnstreiks in den kommunalen Krankenhäusern sind absolut überzogen und werden auf Kosten der Patientinnen und Patienten geführt. Absagen planbarer Operationen sind für die Betroffenen und oft auch für deren Angehörige eine Zumutung.“ Aufgrund der „extrem schwierigen“ finanziellen Lage von Kommunen und kommunalen Krankenhäusern sei ein konkretes Angebot nicht möglich gewesen.

Eine Umfrage des Deutschen Städtetags mit 100 Großstädten aus dem Februar ergibt, dass jede zweite Stadt (49 Prozent) die künftige Haushaltslage als „sehr schlecht“ einschätzt. 46 Prozent beurteilen die Situation in den kommenden fünf Jahren als „eher schlecht“. Nur für zwei Prozent ist sie „eher gut oder ausgeglichen“.

Auch die Freiburger Verkehrs AG (VAG), deren Busse und Bahnen wiederholt stillstanden, äußerte Unverständnis. Erst im April 2024 gab es einen neuen Manteltarifvertrag. „Allein die dabei vereinbarten Zusatzausgaben für die Nahverkehrszulage und für Arbeitszeitreduzierungen sowie weitere Leistungen summieren sich in diesem Jahr auf fünf Millionen Euro. Müssten wir sämtliche neue Verdi-Forderungen umsetzen, kämen für die VAG weitere Mehrkosten in Millionenhöhe hinzu“, erklärt VAG-Vorstand Oliver Benz.

Aufgrund der zurückliegenden Tarifrunden sei das Durchschnittsgehalt im Fahrdienst bei der VAG auf mehr als 50.000 Euro brutto im Jahr gestiegen. Dazu habe es Verbesserungen, wie etwa eine Arbeitszeitreduzierung, gegeben. Spielraum für weitere Lohnerhöhungen sieht die Rathaustochter nicht.

Laut Statistischem Bundesamt sind die Reallöhne, also der Verdienst, den Arbeitnehmer nach Inflationsberücksichtigung in der Tasche haben, im vergangenen Jahr um 3,1 Prozent gestiegen. Das ist der höchste Anstieg seit 2008. Die Nominallöhne, also ohne die Einpreisung von Teuerungen, liegen um 5,4 Prozent höher als im Vorjahr. Die Verbraucherpreise stiegen um 2,2 Prozent. Die Inflationsrate lag im Januar bei 2,3 Prozent.

Den Ärger der Freiburger Fahrgäste kann Gewerkschaftssekretär Herbstritt nachvollziehen. „Bei den acht Prozent handelt es sich um eine Volumenforderung“, erläutert der 41-Jährige. Darin fordert er neben Zulagen für Schichten und Überstunden sowie drei zusätzlichen freien Tagen auch die Möglichkeit, Zuschläge in Arbeitszeit umzuwandeln. „Freizeit ist heute wichtiger als noch vor 15 Jahren.“ Die Beteiligung im Verdi-Bereich Südschwarzwald mit insgesamt 33.500 Mitgliedern sei auch dieses Mal hoch. „Das stimmt uns zuversichtlich“, sagt Herbstritt.

Roland Jörger vom Freiburger Garten- und Tiefbauamt (GuT) plagen andere Sorgen. Nicht jeder GuT-Mitarbeiter sei gelernter Facharbeiter. „Ein Kollege ist am Freitag in Rente gegangen, der weiß nicht, wie er über die Runden kommt.“

Auch Heike Korthe, Sozialarbeiterin im Freiburger Stadtteil Weingarten, pocht auf mehr Lohn. Weil rund 2500 Euro netto im Monat nicht reichen, um das Studium ihrer Kinder zu finanzieren, hat sie einen Minijob im Einzelhandel angenommen. Von ihren Klienten und ihrem Träger, dem Verein Nachbarschaftshilfe, fühle sie sich wertgeschätzt. Auf dem Konto spiegle sich das jedoch nicht wider.

Die bis dato letzte Tarifrunde für Bund und Kommunen ging im Jahr 2023 über die Bühne. In der vierten Verhandlungsrunde einigten sich die Vertreter auf den bisher höchsten Tarifabschluss im öffentlichen Dienst: abgabenfreie Sonderzahlungen von insgesamt 3000 Euro und durchschnittlich 11,5 Prozent mehr Gehalt.

Fotos: © Frantisek Matous, Michael Herbstritt