Metamorphose eines Mittelständlers – Wie sich die Kollinger-Gruppe auf den Weg in die Zukunft macht business im Breisgau | 29.11.2024 | Lars Bargmann
Neue Heimat für Cleverflex: Ralph Kollinger wird im The Bow einen neuen City-Showroom eröffnen.Volatil, das ist die viel zitierte Vokabel, wenn es um Aktien geht. Volatil wie nie ist aber in diesen Zeiten vor allem der Automarkt. Nicht nur VW ist deswegen in den Schlagzeilen. Und dabei geht es auch nicht nur um Batterieautos. Um China. Um Zölle. Um Tausende Arbeitsplätze. Es geht auch um das selten harmonisch schaltende Getriebe zwischen Herstellern und Händlern. Und welche Schlüsse Menschen wie Ralph Kollinger aus all dem ziehen.
Kollinger ist Chef der gleichnamigen Gruppe. Mit mehr als 100 Mitarbeitern. Mit 12.000 aktiven Kunden. Mit 60 bis 70 Millionen Euro Umsatz. Mit breit gefächertem Markenangebot von A bis V – von Alfa Romeo über Fiat und Jaguar über Land Rover bis hin zu Volvo. Wenn ein Geschäftsführer wie Kollinger morgens aufwacht, kommt schon mal die Meldung rein, dass Jaguar im kommenden Jahr gar keine neuen Autos mehr ausliefert. Oder dass Volvo vier von zehn Händlern die Neuwagenverträge kündigt. Oder irgendwas anderes aus seinen mittlerweile elf Gesellschaften.
„Es gab auch in der Vergangenheit im Automarkt immer wieder mal brachiale Veränderungen, aber aktuell findet eine riesige Revolution statt“, erzählt Kollinger (53) beim Redaktionsbesuch. Wie das eigentümergeführte Familienunternehmen – eine bedrohte Art in der Autobranche – in die Zukunft zu führen ist, das war in den vergangenen 18 Monaten neben dem durchaus anspruchsvollen Tagesgeschäft die große Herausforderung. Im Kern geht es dabei um mehr Unabhängigkeit von den Herstellern. Von denen also, die seine Ware liefern. Ein Drahtseilakt.
»Eine riesige Revolution«
Ein Beispiel dafür ist Jaguar. Die traditionsreiche Marke, die nach der Übernahme durch die indische Tata-Gruppe in kurzer Folge viele erfolgreiche Modelle an den Markt brachte und rasant Anteile gewann: F-Type, XF, XE, I-Pace, F-Pace, E-Pace – Think big war die Maxime. Nun aber folgt der Salto mortale: Alle Modelle laufen aus, Jaguar will nur E-Autos bauen und das nur noch im Luxus-Segment. Eine gewagte Wette auf die Zukunft. Die Zielgruppe wird massiv schrumpfen. Eine Herausforderung auch für alle Händler.
Vision 2030 – das steht jetzt als Headline über Kollingers Agenda. Und drunter steht ab sofort ganz offensiv: Kollinger Gruppe. Bisher standen in der ersten Reihe in den Verkaufsräumen die einzelnen Marken im Vordergrund. Und drunter steht „Mobilität für Südbaden“. So wie etwa die Badenova kein reiner Energielieferant mehr ist, so wird auch Kollinger kein reiner Autohändler mehr sein, sondern ein markenübergreifender Mobilitätsdienstleister.
Mit Cleverflex hat die neue Reifenstellung auch einen neuen Namen bekommen – und bald auch einen neuen Standort: Denn Kollinger hat sich mit der neuen Marke im spektakulären Neubau The Bow auf dem Güterbahnhof (wir berichteten exklusiv) zwei Drittel des Erdgeschosses gesichert und zudem zwei Drittel der Büroflächen im zweiten Obergeschoss. Sehr gut möglich, dass unten im City-Showroom dann im Herbst 2025 auch ein Polestar steht. Oder ein anderer Newcomer. Neben dem bestehenden Headquarter an der Ellen-Gottlieb-Straße wird es schon der zweite Standort auf dem Freiburger Güterbahnhof sein.
Die Metamorphose geht noch weiter: An der Tullastraße hat Kollinger ein knapp 4300 Quadratmeter großes Grundstück mit Gebäude gekauft, das sowohl Standort für Volvo-Selekt-Gebrauchtwagen ist als auch zur Logistik-Dreh-scheibe für Autos umfunktioniert wird. Volvo Engelhard ist das traditionsreichste Volvo-Haus in ganz Deutschland. Die schwedische Premium-Marke bietet Kollinger im Freiburger Industriegebiet Nord und in Müllheim im Markgräfler Automobilzentrum direkt an der B3 an, wo Kollinger gerade 800.000 Euro in ein Facelifting investiert hat. Volvo ist auch eine gefragte Dienstwagen-Marke bei Unternehmen wie der Sick AG, Roche in Basel oder Auma in Müllheim, für die Kollinger schon seit Jahren die Adresse ihres Vertrauens ist.
Doch auch bei Premium Automobile auf der Haid wird es nicht nur oberflächliche Veränderungen geben: „Wir werden dort massiv investieren und schon bald auch Premium-Brands anderer Marken haben“, erzählt Kollinger. Welche, will er noch nicht sagen. Jedenfalls entscheide er, was auf dem Hof steht, und nicht mehr der Hersteller.
Von den Launen der Hersteller jedenfalls wird er sich ein Stück weit emanzipieren. Was Marken, aber auch was das Portfolio an Dienstleistungen angeht: So knüpften die Freiburger etwa ein globales Netz auf dem Remarketing-Markt. Dort werden Autos gehandelt, für die sich deutsche Autofahrer nicht mehr interessieren. Es wird bei Cleverflex Leihwagen geben, kurz- oder mittelfristig, Abo-Autos mit Freiburger Kennzeichen, im Aufbau befindet sich zudem ein Corporate Car-Sharing-Angebot mit Filiale und Web-Auftritt.
Die Metamorphose wirkt auch nach innen in die Belegschaft: „Wir haben allen gezeigt, wohin wir als Unternehmen wollen.“ Und Kollingers Frau Alexandra Feder, im Betrieb Personalchefin und einst auch Lehrbeauftragte für Personalmanagement an der Freiburger Universität, hat jeden Stein umgedreht, neue Anreize für gestandene Mitarbeitende, aber auch für neue Azubis geschaffen. Mehr, selbst wenn sie noch mehr Budget dafür hätte, geht nicht, sagt sie.
Foto: © Projekt IKS 2021 GmbH; Klaus Polkowski