Pittoresk: Fachwerk-Orte im Elsass und im Schwarzwald Erkunden & erleben | 15.01.2023 | Kornelia Stinn

Eguisheim

Manche ducken sich schief und krumm nebeneinander, andere recken sich stolz in die Höhe: Fachwerkhäuser bieten in den historisch miteinander verbundenen Regionen diesseits und jenseits des Rheins die romantische Kulisse für einen entspannten Stadtbummel.

In Straßburg ist die mittelalterliche Architektur mit Fachwerkhäusern und Kopfsteingassen besonders gut erhalten. Ein Spaziergang im „Petite France“ an der Ill bedeutet heute Romantik pur. Ganz anders war das, als hier noch neben Fischern und Müllern auch Gerber in den Fachwerkhäusern lebten und arbeiteten. Das „Maison des Tanneurs“ – Haus der Gerber – aus dem Jahr 1572 weist darauf hin. Zur Arbeit dieses Berufsstandes gehörte es, Häute im Fluss und den angrenzenden Kanälen zu waschen. Das stank entsetzlich, sodass damals niemand gerne herkam. Heute sind die Gebäude saniert, im Haus der Gerber wird Sauerkraut serviert, die einst eher ärmlichen Lebenswelten sind filmreife Kulissen, vor denen die Besucher wie auf einem Laufsteg entspannt flanieren.

Straßburger Gerberviertel

Straßburger Gerberviertel

Auch in Colmar ist die Rue des Tanneurs heute ein vielbewundertes Schmuckstück. Die im 17. und 18. Jahrhundert entstandenen Fachwerkhäuser des Gerberviertels, einst am Rand der Stadt gelegen, recken sich mehrstöckig in die Höhe: Auf den gut durchlüfteten Giebeldächern trockneten einst Felle, Pelze und Häute. Fast wäre die Idylle der Modernisierungswut in den 1960er-Jahren zum Opfer gefallen, als die verrottete Bausub-stanz eigentlich nur noch einen Abriss wert schien. Zum Glück hat man sich eines Besseren besonnen.

Colmar

Vollständig erhaltene Fachwerkwelten in Colmar

Wenige Schritte weiter, am Flüss-chen Lauch, sind die Fachwerkhäuser niedriger, aber der Romantik-Faktor womöglich noch ein paar Grad höher. Willkommen in Klein-Venedig! Welch schöne Aussicht bietet der Blick von der Brücke über die Lauch auf alte Fachwerkbauten und flache Boote, die haarscharf vorbei an hohen Hauswänden manövrieren.

Eine Spritztour durch die feinen kleinen Weinorte wie Riquewihr mit seinem fachwerkgeschmückten Wachturm von 1291 oder Eguisheim mit seinen romantischen Gassen zeigt, dass auch hier der Vergangenheit ein liebevolles Andenken bewahrt wird.

Den Gerbern begegnen wir wieder in vom Fachwerk geprägten Orten im Kinzig- oder Nagoldtal. Straßennamen und Erläuterungen erinnern überall dort, wo sich ein Fluss durch die alten Gassen windet, daran, dass hier einst diese uralte Handwerkszunft beheimatet war. Der Literatur-Nobelpreisträger Hermann Hesse hat seinem an der Nagold gelegenen Heimatort Calw sogar in seinen „Geschichten aus dem Leben Knulps“ den literarischen Namen „Gerbersau“ verpasst. Die ehemalige Weißgerberei Balz, drei Gehminuten vom Geburtshaus des Dichters am Marktplatz entfernt am Fluss gelegen, ist heute Museum: Wasserwerkstätten und historische Maschinen liefern authentische Einblicke ins uralte Handwerk. Wer auf die Dachböden des (verputzten) Fachwerkhauses klettert, erfährt etwas über Felltrocknung und Wolltransport.

Hermann Hesses  Geburtshaus in Calw (ganz r.).

Hermann Hesses Geburtshaus in Calw (ganz r.).

Die Flüsse im Kinzigtal dienten aber nicht nur den Gerbern zum Weichen und Wässern, vor allem waren sie wichtige Verkehrsstraßen, die überhaupt erst das Bauen mit Holz möglich machten. Die 1990 ins Leben gerufene Deutsche Fachwerkstraße präsentiert zwischen Elbe und Bodensee bis hin nach Meersburg 2,5 Millionen Schönheiten mit kunstvoll gestalteten Gebälk-Konstruktionen. Die prächtigen Bauten entstanden zwischen dem 13. und dem 19. Jahrhundert. Das Holz für die Balken des Fachwerks gelangte vom Schwarzwald bis nach Holland. Und es waren nicht wenige Stämme, die da ihren Weg fanden: Hans-Peter Schimpf vom Handwerksmuseum Kork hat errechnet, dass in einem mittelgroßen Hanauer Haus (das ehemalige Gasthaus „Adler“ in Kork) 160 Eichen und 120 Tannen verbaut sind.

Bis 1894 wurden die Baumstämme mit Flößen über die Kinzig transportiert. Wie das ging, ist in Schiltach im Flößer- und Gerbermuseum Schüttesäge zu sehen. Die Flöße fuhren bis zum Willstätter Weiher in der Nähe von Kehl. Das Holz wurde hier verkauft und weiter nach Straßburg und auf dem Rhein bis nach Holland gebracht.

Mit Beginn der Industrialisierung drängten Stein und Metall auf den Baustoffmarkt – anders als Holz unbegrenzt verfügbare und leichter zu transportierende Materialien. Die Massivbauweise verdrängte den Fachwerkbau. Aber einige Perlen haben die Zeiten überdauert. Wer entlang der Kinzig spaziert, der kann sich schier nicht sattsehen an dem wunderschönen Fachwerk-Ensemble, das sich am Hang gegenüber neben- und übereinanderschachtelt. Und dort, wo die Schiltach in die Kinzig fließt, entdeckt er dann noch einen sogenannten „Gamber“. Das ist ein hölzerner Schwenkarm, der dafür sorgte, dass sich ein Fahrloch öffnete, durch das die Flöße hindurchsteuern konnten.

Verschachteltes Häuserensemble am Kinzigufer in Schiltach

Verschachteltes Häuserensemble am Kinzigufer in Schiltach.

So laden Orte im Elsass wie im Schwarzwald dazu ein, zwischen liebevoll restaurierten Fachwerkmauern zu flanieren und sich den Wind der Geschichte um die Nase wehen zu lassen.

INFO

Gerbereimuseum in Calw
Badstraße 7/1, 75365 Calw
öffnet wieder am 2. April 2023
http://www.calw.de/Gerbereimuseum

Schwarzwälder Freilichtmuseum Vogtsbauernhof
77793 Gutach (Schwarzwaldbahn)
öffnet wieder am 26. März 2023
Tel.:
07831 9356-0
www.vogtsbauernhof.de

Schüttesägemuseum in Schiltach
Hauptstr. 1, 77761 Schiltach
Themen: Flößerei, Gerberei und Waldwirtschaft
von April bis Oktober geöffnet
www.schiltach.de/360-rundgang-im-museum

Das Handwerksmuseum in Kehl
Oberdorfstr. 8, 77694 Kehl
22 Modelle des Hanauer Fachwerkhauses, das die Fachwerklandschaft grenz­überschreitend in der Region um Straßburg prägt.
Öffnungszeiten: So., 14–17 Uhr oder nach Vereinbarung
Tel.:
07851-956640
www.handwerksmuseum-kehl-kork.de

Fotos: ©  iStock/southtownboy; Winfried Stinn; Kornelia Stinn