Poesie am Fluss: Alemannisches auf dem Dreyland-Dichterweg Erkunden & erleben | 11.07.2024 | Erika Weisser

Zum zweiten Mal eröffnet wurde jüngst der 2016 installierte Dreyland-Dichterweg, der von der Dreirosenbrücke in Basel linksrheinisch grenzüberschreitend nach Huningue führt. Und von dort auf der Dreiländerbrücke fluss- und nochmals grenzüberschreitend nach Weil.
„Worum trennt uns de Rhi?“ Die bedenkenswerte Frage, die Lina Ritters säuberlich in eine Metalltafel graviertes Gedicht einleitet, erhält schon in den nächsten Zeilen die ebenso überraschende wie eigentlich ganz naheliegende Antwort: „Àss mer zeige chenne, wia me Brucke bäut.“ Mit dieser ziemlich philosophischen, verständigungsmahnenden Überlegung können sich Lyrik- und Dialektaffine Spaziergängerinnen und -gänger kurz vor der Grenze zwischen der Schweiz und Frankreich auseinandersetzen: an Station acht des Dreyland-Dichterwegs, der am Ufer des Rheins entlangführt und diesen schließlich überquert und im Rheinpark in Weil endet.

Gérard Leser ist einer der Dreyland-Dichter, deren Werke am Rhein präsentiert werden.
Das kleine, reimlose und aus der verständigungsarmen Zeit stammende Gedicht der 1981 93-jährig verstorbenen Mundart-Dichterin aus Village-Neuf bei Mulhouse mag als inhaltliches Leitmotiv gedient haben bei der Verwirklichung der auf beiden Seiten des an dieser Stelle trinationalen Stroms von Dialektfreunden schon länger gehegten Idee: die sprachliche wie die dichterische Vielfalt im Dreiländereck für alle sichtbar und erlebbar zu machen. Nach ihrem Verständnis, sagt der Basler Hans-Jörg Renk, neben Edgar Zeidler aus Colmar und Markus Manfred Jung aus dem Wiesental einer der Initiatoren des poetischen Uferwegs, ist der Rhein kein trennendes Element und die Sprache die Brücke: „Unsere drei Länder sind durch den Rhein verbunden und auch durch die Sprache. Das Elsass, Südbaden und Basel sind seit dem frühen Mittelalter im Alemannischen zu Hause.“
Stilles Innehalten
Um die drei großen und unzähligen kleineren Sprachvarianten des Alemannischen zu entdecken und sich darüber in die Gedankenwelt der hier repräsentierten Dichter aus verschiedenen Epochen einzufühlen, muss man sich allerdings Zeit nehmen. Die nicht einmal zwei Kilometer lange – und nicht an jeder Stelle idyllische – Strecke lässt sich nicht in der dafür üblichen halben oder dreiviertel Stunde zurücklegen. Denn 27 Stationen säumen den Weg – und jede einzelne lohnt ein Innehalten, ein lautes Lesen oder stilles Studieren und Bedenken des Geschriebenen, das für Dialekt-Unkundige durch Anmerkungen verständlich wird. Oder auch durch Übersetzung ins Französische.

Poetischer Uferweg: Zum Ausflug in das lyrische Alemannisch und dessen Varianten lädt der zwei Grenzen überschreitende Rhein-Fußweg von Basel über Huningue nach Weil.
An jeder Station ist durch einen QR-Code auch viel über die Autorinnen und Autoren zu erfahren, zu denen Johann Peter Hebel, Gerhard Jung und Carola Horstmann, Nathan Katz, Georges Zink und Gérard Leser sowie Felix Burckhardt, Emil Beurmann und Theobald Baerwart gehören. Die hier erwähnten Dichter waren schon dabei, als der Dreyland-Dichterweg 2016 eröffnet wurde; der Letztgenannte rühmt gleich an der ersten Station „My Basel am Gnei vom wilde Rhy“. Dass der Weg nun von Repräsentanten aus Basel, Weil und St. Louis sowie zahlreichen Lyriker:innen nochmals eröffnet wurde, liegt daran, dass die wegen Bauarbeiten länger entfernten Basler Tafeln wieder zugänglich sind, die Umgestaltung des Weiler Rheinparks abgeschlossen ist und zudem drei neue Stationen aufgestellt wurden, mit Dichtungen von Aernschd Born (CH), Ulrike Ebert (D) und Émile Storck (F).
Der Weg, der beweist, dass die hiesige gemeinsame „Sproch nit ùff der Dreckhüffe vo der Gschicht awakeit“, wie Edgar Zeidler bei der Einweihung sagte, ist also wieder frei begehbar.
Info
Fotos: © Hugo Neuhaus-Gétaz, Erika Weisser