Am Rand der »Panikzone« – Speeddating mit ehrlichen Feedback Gesellschaft | 23.07.2023 | Jennifer Patrias

Valerie Schult Höchste Konzentration: Valerie Schult erklärt den Teilnehmenden, worauf sie beim Flirten achten müssen.

Seit einigen Jahren läuft Dating hauptsächlich digital. Eine Abwechslung zum digitalen Kennenlernen bietet die Freiburger „Drachenherz“-Community. Analoges Flirten steht auf dem Stundenplan, gepaart mit Komplimenten, Augenzwinkern und der ein oder anderen Improvisation. chilli-Volontärin Jennifer Patrias hat sich trotz Partnerschaft in den Workshop getraut.

Mit einem flauen Gefühl im Magen stehe ich vor einem roten Gebäude im Freiburger Stadtteil Haslach. Es sieht einladend aus und ist der Treffpunkt für den „Eat & Flirt“-Workshop. Drinnen erklärt Gründerin Valerie Schult: „Ich wollte etwas machen, woran ich richtig Spaß habe.“ Mit ihren Workshops möchte sie vor allem eins erreichen: den Verzicht auf digitale Medien. „Wir haben nicht nur die Möglichkeit, mit dem Gegenüber zu flirten, sondern auch neue Freundschaften zu schließen“, ergänzt Schult. Sieben Workshops hat sie schon geleitet, der achte lädt zum ersten Mal neben dem Flirten auch zum Brunchen ein.

Mit meinem Namensschild bewaffnet betrete ich den Kursraum. Bunte Kissen sind auf dem Boden zu einem Kreis gelegt. Sieben Männer und neun Frauen sind gekommen. Die ehemalige Journalistin erklärt das heutige Ziel: den Teilnehmer·innen mit Hilfe von gegenseitigen Komplimenten das Flirten beibringen. Und wenn es sein muss, auch bis an den Rand der eigenen „Panikzone“ gehen. „Es gab auch schon Teilnehmer, die sich nach dem ersten Speeddating direkt zurückgezogen haben und nicht mehr herausgekommen sind, weil sie das Feedback so getriggert hat“, erzählt die 32-Jährige.

Das Speeddating muss ehrlich sein und nur auf der verbalen Ebene stattfinden. Vier Dating-Runden gibt es, doch bevor es in die Einzelphase geht, kommt die erste Gruppenaufgabe. Wir sollen unserem linken Nebensitzer ein Kompliment machen. Das ist gar nicht so einfach, auch weil ich die Person nicht kenne. Ich warte ab, was die andern so sagen – und bin überfordert. Die Komplimente sind teilweise absurd. Von einer „erdigen Persönlichkeit“ ist die Rede, auch von einer „kraftvollen Energie“.

In mir sieht mein Nachbar etwas Neugieriges, ich entscheide mich für eine positive Ausstrahlung. Die anschließenden Runden sind zwölf Minuten lang. In den ersten sechs Minuten lernen wir uns kennen. Danach geht’s ans Eingemachte. Schonungslos ehrlich sollen wir sein, selbstkritisches Feedback geben und das Gespräch evaluieren. Und kurz vor Ende der sechs Minuten entscheiden, ob Nummern ausgetauscht werden.

Wir schließen die Augen, lauschen den Worten der Kursleiterin und suchen mit Blickkontakt den ersten Flirtpartner aus. Mein Blick schweift durch den Raum und bleibt bei Axel* hängen, der ihn erwidert. Den ersten Flirtpartner habe ich gefunden. Die Unterhaltung beginnt gut, plätschert aber dann vor sich hin. Komplimente werden nicht gemacht. Geflirtet übrigens auch nicht.

In der Feedbackrunde kommen wir zu dem gleichen Ergebnis: Das Gespräch war flüssig, mehr nicht. Ich bin froh, dass die erste Runde vorbei ist und entscheide, in der nächsten Runde nach freundschaftlichen Bekanntschaften Ausschau zu halten. Mein Blick findet Amelies, die mir herzlich zulächelt. Unsere Unterhaltung ist flüssig, gemeinsame Interessen finden wir schnell, das Komplimentemachen fällt leicht. Und wir können sogar über dieselben Probleme beim Kennenlernen von neuen Menschen sprechen. Am Ende der zwölf Minuten fragen wir uns: warum nicht einfach mal auf einen Kaffee treffen und ein bisschen quatschen? Schwupps sind die Handynummern ausgetauscht.

Ich merke, wie mir der umfassende Input zu schaffen macht. Den anderen Teilnehmern geht es ähnlich. In der letzten Runde spreche ich mit Anastasia. Wir finden direkt ins Gespräch, aber ich merke, dass die Energie nicht mehr reicht, um in die Tiefe zu gehen. Ihr geht es genauso. Wir tauschen keine Nummern.

Zuletzt gibt es eine Gruppenfeedbackrunde und ein Zertifikat. Ich nehme es an und freue mich, dass ich meine Schüchternheit wenigstens an diesem Tag hinter mir gelassen habe. Und wer weiß – vielleicht klappt das ja auch tatsächlich mit dem Kaffee.

* Namen der Teilnehmenden gändert

Foto: © privat