Bloss nicht anrufen – Die Angst vorm Telefonieren geht um, auch bei f79-Autorin Maja Gesellschaft | 26.10.2021 | Maja Bruder

Mann umwickelt mit mehreren Telefonhörer

Anrufen scheint für viele der allerletzte Ausweg nach E-Mail, WhatsApp oder Online-Bestellungen. Wenn das Handy klingelt, werden sie nervös. So geht es auch der f79-Autorin Maja Bruder. Sie hat sich zu Telefonphobie schlau gemacht und herausgefunden: Die Angst vorm Telefonieren ist vor allem bei jüngeren Menschen stark verbreitet.

Eine Freundin will chinesisches Essen bestellen. Ich stimme zu, sie drückt mir das Handy in die Hand. Ich wähle die Nummer, die Restaurantbesitzerin nimmt ab. Ich gebe meiner Freundin das Telefon wieder zurück, lasse lieber sie bestellen.

„Warum hast du nicht selber bestellt?”, fragt sie. Ich kann es nicht beantworten. Telefonieren macht mich einfach nervös. Die typische WhatsApp nachdem mich jemand angerufen hat und ich meinem Telefon fünf Minuten lang beim Klingeln zugeschaut habe, ist für mich auch nichts Neues: „Oh, sorry, ich war nicht am Handy, was gibt’s?”

Obwohl sich manche Dinge per Telefon viel schneller regeln lassen, schaue ich doch erst mal, ob meine Studiengangskoordination nicht auch eine E-Mail-Adresse hat. Und wenn man bei einem Restaurant auch per App bestellen kann, mache ich Luftsprünge.

Als ich 14 war, habe ich stundenlang mit Freundinnen telefoniert. Heute bin ich schon überfordert, wenn ich meine Ärztin anrufen soll. Woher kommt die Angst vor dem Telefonieren? Und gibt es noch mehr Menschen, denen es geht wie mir? 

Gut 3,5 Prozent der deutschen Bevölkerung leiden unter einer Angst vor dem Telefonieren, informiert der hessische Verband der Selbsthilfe Soziale Phobie (VSSP). Das sind an die 2,8 Millionen Menschen. Mir kommt es mit Blick auf meinen Freundeskreis allerdings so vor, als wären noch deutlich mehr Menschen betroffen.

Woher kommt diese Angst vorm Anruf? „Das Problem am Telefonieren ist, dass man sein Gegenüber nicht sieht und keine Gesten oder Reaktionen im Gesicht ablesen kann“, erklärt der Vorsitzende des VSSP, Johannes Peter Wolters in der Frankfurter Neuen Presse. Für ihn ist klar: „Dadurch habe ich weniger Kontrolle über das Gespräch.” Das versetze Betroffene in eine solche Stresssituation, dass sie kein normales oder leichtes Telefonat mehr führen können.

Auch die Verlagerung der Kommunikationskanäle spielt eine Rolle: Laut einer Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest erhalten Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren circa 36 Nachrichten pro Tag. WhatsApp gilt dabei als das Medium Nummer eins: Es wird von nahezu 95 Prozent der Jugendlichen genutzt. Lediglich jeder Fünfte nutzt laut Studie das Smartphone noch täglich zum Telefonieren.

Für eine Untersuchung aus Großbritannien wurden Bürojobber zu der Angst vorm Telefonieren befragt: Ganze 76 Prozent der sogenannten Millenial-Generation sagten, sie seien nervös und hätten Angst vor einem Telefonat. Millenials sind die zwischen 1980 und 2000 Geborenen.

Die Gründe für Telefonphobie sind zahlreich: Dr. Nadine Wolf, Psychiaterin aus Heidelberg, nennt gegenüber der Deutschen Presse-Agentur dpa verschiedenste Auslöser für den Stress vor einem Telefonat: „Angst, abgelehnt zu werden, Angst davor, sich am Telefon peinlich oder erniedrigend zu verhalten, oder einfach auch davor, dass man am Telefon ganz im Zentrum der Aufmerksamkeit steht und mit unbekannten Personen spricht.” All das scheint jedoch eher ein Problem jüngerer Menschen zu sein: „Es gibt Hinweise, dass bis zu 17 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 20 Jahren darunter leiden”, erklärt Wolf. Sie zählt als Symptome Erröten, Zittern und Stottern auf. Auch extremere Reaktionen wie die Angst vor Erbrechen oder Einnässen könnten vorkommen.

Telefonieren ist, genauso wie jede andere soziale Interaktion, eine Kompetenz, die für manche erst erworben werden muss. Im Gegensatz zum Chat kann ich keine Emojis hinter meine Aussage setzen, um zu verdeutlichen, was ich meine. Dafür muss ich spontan auf mein Gegenüber reagieren und kann mir keine Zeit für eine durchdachte Nachricht nehmen. Vor einem Telefonat stellt man sich dadurch schnell Fragen wie: Werde ich alles richtig sagen? Erinnere ich mich an alles, was ich fragen wollte? Bekomme ich die richtige Person ans Telefon? Muss ich mich länger erklären? Solche Gedanken kreieren eine Angst vorm Telefonieren, die wahrscheinlich in den meisten Fällen unberechtigt ist.

Wie oft dachte ich mir nach einem Telefonat schon: Das ging ja schnell und unkompliziert. Und trotzdem stelle ich mir vor jedem neuen Telefonat die gleichen Fragen.

Maja Bruder

Vier Tipps gegen die Angst

Nummer 1: Vorbereiten
Auch wenn es einem vielleicht peinlich vorkommt: Du kannst einfach aufschreiben, was du sagen möchtest. Auch Stichworte können helfen, um dich besser vorbereitet und sicherer zu fühlen. Es sieht beim Telefonieren keiner, was du machst.

Nummer 2: Nicht warten
Nach hinten schieben macht alles nur noch schlimmer. Je länger du Telefonate hinauszögerst und andere Leute die Dinge regeln lässt, desto mehr baust du dir eine Barrikade auf. Also ran ans Telefon und endlich mal Essen nicht über Lieferando bestellen!

Nummer 3: Trainieren
Übung macht den Meister. Wenn dir die Anrufe bei Ärzt*innen schwerfallen, kannst du auch erst mal üben, mit der Familie oder Freunden zu telefonieren. Denn sind wir mal ehrlich: Den Inhalt der 25 Sprachmemos über den Tag verteilt hättest du auch in einem halbstündigen Telefonat erzählen können.

Nummer 4: Positiv denken
Bitte grinsen! Ein Lächeln vor und während des Gesprächs kann helfen, das eigene Selbstbewusstsein aufzubauen und dich positiver in das Telefonat einsteigen zu lassen. Klingt blöd, aber auch hier der Hinweis, was das Gute am Telefonieren ist: Dich sieht dabei keiner.

Fotos: Privat; Unsplash