Zoff um Zockerparadiese: Freiburger Spielhallen wehren sich gegen Verbot Gesellschaft | 06.04.2023 | Till Neumann

Spielhölle

In ganz Deutschland kämpfen Spielhallen ums Überleben. Durch neue Regeln im Glücksspielstaatsvertrag sollen viele schließen. In zahlreichen Städten sind es mehr als die Hälfte. Doch die Betreiber wehren sich – mit Erfolg. So auch in Freiburg. Das Rathaus muss hier nach einem spektakulären Gerichtsurteil sein Auswahlverfahren möglicherweise komplett neu aufrollen.

Eine Kanzlei erhebt schwere Vorwürfe. Die Spielhallenlobby fühlt sich gegeißelt und verweist auf die Online-Konkurrenz. Glücksspielforscher und Suchtexperten betonen aber: Weniger Spielhallen wären eine gute Sache.

Männer drücken monoton auf Knöpfe

Die Glastür ist schmierig. Tesafilmreste zeugen von abgerissenen Aushängen. „Unter 21 Jahren ist der Zutritt verboten“ steht da. Wer in diese Spielhalle in der Freiburger City möchte, muss wie andernorts auch seinen Ausweis zeigen. Geöffnet ist täglich von 6 bis 24 Uhr.

Drinnen hängt kalter Rauch in der Luft. Rund 15 Automaten blinken im matten Licht. Etwa die Hälfte ist um die Mittagszeit besetzt. Mit Männern, die monoton auf Knöpfe drücken und auf das große Glück warten. Sie rauchen, trinken Kaffee.

Spielhölle-Till

Nah dran: Redakteur Till Neumann hat in einer Freiburger Spielhalle probegezockt – und gewonnen.

500 Meter Mindestabstand

Was nicht zu sehen ist: Die Welt der Spielhallen in Deutschland steht derzeit Kopf. Von Flensburg bis Freiburg setzen Verwaltungen die jüngsten Änderungen des Glücksspielstaatsvertrags von 2012 um. Er soll die Regelungen in Deutschland vereinheitlichen. Details legen die Länder im Landesglücksspielgesetz fest – Baden-Württemberg hat sich auf strenge Vorgaben für Spielhallen geeinigt. Hier gilt unter anderem, dass sie einen Mindestabstand von 500 Metern zueinander brauchen. Die Gretchenfrage: Welche der beiden muss im Konkurrenzfall gehen? Die Distanz gilt zudem zu Kinder- und Jugendeinrichtungen.

In Freiburg geht’s hoch her: Nach Übergangsregelungen bis zum 31. Dezember 2021 verkündete das Rathaus im April 2022, welche Spielhallen schließen müssen. Fünf von neun in der Innenstadt fielen der Regelung zum Opfer. Das bedeutete einen Rückgang von mehr als 80 Prozent der Automaten. Von rund 300 wären wohl nur 48 geblieben.

Erfolgreich geklagt

Zwei Monate gab die Stadtverwaltung den Betreibern, um ihr Geschäft abzuwickeln. Schon damals meldete der Automatenverband: Es wird zu Klagen kommen. Zankapfel sind die Auswahlkriterien. Also wer weshalb schließen muss. Das Rathaus kommunizierte: Die Stadt prüft „anhand von Kriterien wie Lage und Umgebung, Ausgestaltung, Qualität von Einlasskontrollen und Angebot an Informationsmaterialien zur Suchtprävention“.

Spielhölle-Eingang

Runtergekommen: Die Tür zu einer Freiburger Spielhalle sieht nicht nach großem Glück aus.

Die Kanzlei Benesch & Partner aus Freiburg vertritt mehrere Spielhallenbetreiber. Anfang des Jahres hat sie den ersten Erfolg gegen die Stadtverwaltung erzielt: Der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim urteilte, dass das Vorgehen des Ordnungsamtes rechtswidrig war. Die klagenden Betreiber dürfen ihre Spielhallen bis zur weiteren Klärung offen lassen.

„Es ist kompliziert“

Benesch & Partner vertritt bundesweit Hunderte Betreiber. Anwalt Karsten Königstein sagt: „Es ist kompliziert auf vielen Ebenen.“ Der 30-Jährige spricht im Namen der gesamten Kanzlei.

Erster Knackpunkt war die Freiburger Frist Ende 2021. Betreiber hatten die Information, dass rechtzeitig eine Entscheidung gefällt wird. „Es war unklar, wie es dann weitergeht und wer eine Erlaubnis erhält“, erklärt Königstein. Man habe der Kanzlei zugesagt, noch vor Weihnachten zu entscheiden. Das geschah nicht. Die Betreiber standen daher vor der Frage: Was tun?

Karsten-Königstein

Hat erfolgreich geklagt: Karsten Königstein

Für Königstein ist klar: „Die Stadt hat bewusst nicht entschieden.“ So hätte sie die Zahl der Hallen in Freiburg mit wenig Aufwand reduzieren können. Denn wer sein Geschäft aufgibt, hat oft den Standort für immer verloren.

»Milde gesagt unanständig«

Die einzige Chance für Spielhallen war, kurzerhand in ein Eilverfahren zu gehen, sagt Königstein. Schließen mussten sie dennoch bis zu einer Entscheidung des Gerichts. „Es war zwei Tage vor Heiligabend milde gesagt unanständig, uns überraschend in derartige Verfahren zu schicken“, sagt Königstein. Im Landkreis Breisgau Hochschwarzwald etwa hätten Spielhallen eine Duldung bekommen, auch über den Jahreswechsel hinaus. Was Königstein außerdem ärgert: Ein Betreiber in Freiburg habe trotz Fristende seine Halle illegal weitergeführt – und sei im April als Unternehmer ausgewählt worden, der weitermachen darf. Königstein: „Wenn es die Politik der Stadt Freiburg ist, Betreibern eine Erlaubnis zu erteilen, welche sich bewusst über gesetzliche Regelungen hinwegsetzen und ohne Erlaubnis betreiben, dann verheißt das nichts Gutes für die Gewerbetreibenden der Stadt.“

Für Königstein ist klar: „Was Freiburg versucht hat, ist verfassungswidrig.“ Und zwar nicht nur das unklare Verstreichenlassen der Frist. Sondern auch die Kriterien für das Aus für fünf Hallen. Ihm fehlt es an Transparenz. Außerdem kritisiert er, dass das Rathaus einen Einlass in Spielhallen ab 25 Jahren positiv bewertet hat. Dafür gebe es wissenschaftlich keine Grundlage. Des Weiteren wirft er dem Rathaus vor, nicht klar zu sagen, wie die Abstände gemessen werden. In einem Fall beim Martinstor liegen zwei Spielhallen je nach Messung knapp über oder unter 500 Meter voneinander entfernt. Königstein: „Eine Praktikantin im Rathaus hat mit Google Maps die Abstände berechnet und das, obwohl es um wirtschaftliche Existenzen ging.“ Die Jugendeinrichtung „Gleis 25″ am Bahnhof sei zudem übersehen worden.

„Uns ärgert die Kommunikation“

Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat die Kritik in mehreren Punkten im Februar bestätigt. Das Verfahren ist damit offen. „Land und Behörden müssen sich sammeln“, sagt Königstein. Er kenne zwar keine Stadt in Deutschland, die den Umgang mit Spielhallen fehlerfrei geschafft habe, andere hätten das aber besser hinbekommen als Freiburg. Soll heißen: Hier wurde gepokert und gepatzt. Stuttgart beispielsweise sei vorbildlich vorgegangen. Der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald ebenfalls. „In Freiburg ärgert uns besonders die Art und Weise der Kommunikation“, betont der Jurist.

Das Rathaus möchte die Kritik so nicht hinnehmen: „Bereits mit Schreiben vom 16. Juli 2021 haben wir die betroffenen Spielhallenbetreiber·innen darüber informiert, dass aufgrund der auslaufenden Erlaubnisse eine Auswahlentscheidung zwischen Spielhallen in der Stadt Freiburg getroffen werden muss, die den Mindestabstand von 500 Metern zueinander nicht einhalten“, informiert die Pressestelle. In dem Schreiben habe die Stadt die Betroffenen gebeten, Anträge auf Erteilung einer Erlaubnis einzureichen. Ebenfalls habe sie auf die Beurteilungskriterien verwiesen, die der damaligen Rechtsprechung und Hinweisen des Wirtschaftsministeriums folgten. Das Amt für öffentliche Ordnung habe jede Spielhalle vor Ort überprüft. „Die Stadt Freiburg hat sich schließlich eng mit dem Regierungspräsidium Freiburg zum Auswahlverfahren abgestimmt.“ Die Antragsteller·innen hätten sich bei Unklarheiten jederzeit mit der Behörde in Verbindung setzen können.

„Sie schaffen den legalen Markt ab“

Wie es weitergeht, kann das Rathaus nicht sagen: „Ob ein neues Auswahlverfahren erforderlich wird, lässt sich noch nicht beurteilen.“ Das Ordnungsamt befinde sich im Austausch mit dem Regierungspräsidium. Zudem warte es auf neue Hinweise von Wirtschaftsministerium und Städtetag.

Dirk-Fischer

Sieht das Gewerbe ausgebremst: Dirk Fischer

Was Behörden und Politik machen, ärgert auch Dirk Fischer. Er ist Vorsitzender des Automaten-Verbands Baden Württemberg. „Wir haben hier eines der härtesten Gesetze in Deutschland“, betont Fischer. In Pforzheim könne sich die Zahl der Spielhallen von 56 auf 5 reduzieren. In Stuttgart von 140 auf 30. „Sie schaffen den legalen Markt ab – aus ideologischen Gründen“, kritisiert Fischer. Ziel des Glücksspielstaatsvertrags und des Landesglücksspielgesetzes sei eine Kanalisierung. Also das Zocken in geschützte Bahnen zu lenken. Wenn wie in Bühl aber auf 30.000 Einwohner noch eine Halle mit zwölf Automaten komme, „kann der gesetzliche Kanalisierungsauftrag nicht erfüllt werden“.

Maximalgewinn: 400 Euro

Die Folge ist für ihn klar: „Der illegale Markt wächst massiv und unkontrolliert.“ Schon jetzt gebe es in Nebenräumen von Kulturvereinen, Shishabars oder Motorradclubs illegale Automaten. Ohne jegliche Kontrolle. Bis zu 80.000 illegale Geräte seien es bundesweit. „Das wäre rund ein Drittel des stationären Glücksspielangebots in Deutschland“, sagt Fischer. Auch in Freiburg gebe es solche Angebote.

Er stellt klar: Der Spieler-Jugendschutz ist akut in Gefahr. Denn die Regeln in erlaubten Spielhallen und der Gastronomie seien streng. So könne man nie mehr als zehn Euro auf einmal in einen Automaten einzahlen. Der theoretische Maximalverlust pro Stunde liege bei 60 Euro, der Maximalgewinn bei 400 Euro. Je nach einer Stunde Spielerei sei fünf Minuten Zwangspause programmiert.

Kritik an Freiburger Steuer

Die Konkurrenz zum Online-Geschäft ist für Fischer bitter: „Der Mindestabstand von 500 Metern macht gar keinen Sinn, wenn jeder seine virtuelle Spielhalle in der Hosentasche hat.“ So mancher spiele in der Pause einfach online weiter.

Sein Verband empfiehlt, „dass alle Standorte, die vor 2012 genehmigt wurden, eine Konzession für bis zu zwölf Geräte erhalten“. So könne ein Mindestmaß an Kanalisierung erfüllt werden. Freiburg wirft er Doppelzüngigkeit vor. Spielhallen würden geschlossen – gleichzeitig sei die Vergnügungssteuer von 24 auf 29 Prozent erhöht worden. Damit liege die Stadt im „bundesweiten Spitzenfeld“.

»Totschlag-Argument«

Suchtexperten wollen die Argumente der Hallenbetreiber nicht gelten lassen. Glücksspielforscher Tobias Hayer aus Bremen sagt: „Wir wissen, dass Verfügbarkeitsbeschränkung ein zielführendes Mittel der Suchtprävention ist.“ Eine Massenabwanderung ins Internet bei geschlossenen Hallen basiere nicht auf Fakten. Keine Studie belege das. „Ein Totschlagargument“, sagt Hayer. Die Corona-Pandemie mit geschlossenen Hallen habe das gezeigt. Auch mit illegal aufgestellten Automaten zu argumentieren, findet er falsch: „Die Bekämpfung des illegalen Marktes darf nicht über die Erhöhung legaler Spielanreize und Suchtgefahren erfolgen.“ Sie spiegle lediglich ein Vollzugsdefizit wider.

Hayer

Wünscht sich weniger Spielhallen: Tobias Hayer

Auch Andreas Abler von der AGJ-Suchtberatung Freiburg plädiert für eine Einschränkung: „Ziel des Glücksspielstaatsvertrags ist, dass Menschen erst gar keine Sucht entwickeln – da macht es Sinn, das Angebot zu begrenzen und Spielhallen zu schließen.“ Dass deren Betreiber in Suchtfällen mehr darauf hinwirken, Hilfe anzunehmen als ein Online-Casino, kann er nicht bestätigen: „Ich kenne keinen, der zu uns kommt, weil ihm Spielhallen sagen, dass er Hilfe braucht.“

„Is it full?“

Zurück in der Freiburger Spielhalle: An den ratternden Automaten sitzen zwei chilli-Redakteure seit rund 20 Minuten. Einer hat aus 5 Euro amtliche 18,40 Euro gemacht. Der andere 12 Euro. Verdutzt lassen wir uns den Gewinn auszahlen und gehen. Draußen fragt ein hagerer Mann: „Is it full?“ Er geht rein und versucht sein Glück. In absehbarer Zeit könnte seine Suche nach einer Halle oder einem freien Automaten in Freiburg deutlich schwieriger werden.

Fotos: © iStock.com/zbruch, tobiasjo; Till Neumann, Philip Thomas, Kanzlei Benesch, Deutsche Automatenwirtschaft, Universität Bremen

»Am Boden zerstört«: Wie ein Freiburger sein Geld im Netz verzockte