„Angst wurde immer größer“: Wie gesprengte Geldautomaten Freiburg in Atem halten Kriminalität | 15.11.2024 | Till Neumann & Philip Thomas

Fast täglich knallt es irgendwo in Deutschland: Kriminelle sprengen Bankautomaten in die Luft. Sie wollen fette Beute machen und richten dabei Millionenschäden an. Laut Bundeskriminalamt gab es allein im vergangenen Jahr 461 solcher Attacken. Auch Südbaden hält das in Atem. Die Zahlen des Polizeipräsidiums Freiburg toppen schon jetzt die vergangenen Jahre. Eine Freiburger Bankangestellte berichtet von Schock und Angst. Geldhäuser rüsten sich. Das Landeskriminalamt erstellt Risikokarten.

„Kollegen waren geschockt“

„Ich habe eher selten daran gedacht, dass unsere Geldautomaten gesprengt werden können”, berichtet Sabrina Meier (Name geändert). Sie arbeitet für eine Bank in Freiburg. Ihre Ruhe bei der Arbeit hat sie mittlerweile verloren: „Als dann immer mehr Geldautomaten in den umliegenden Ortschaften gesprengt wurden, wurde die Angst immer größer.”

Um zu verhindern, dass Banditen bei Sprengungen Geld stehlen, habe ihr Arbeitgeber die Automaten stellenweise nur minimal befüllen lassen. Als es dann wirklich knallte, war sie glücklicherweise nicht mehr in der Filiale: „Aber meine Arbeitskollegen waren sehr geschockt, als sie in der Nacht über die Sprengung informiert wurden.”

Gebühren steigen

Die Verwüstung war immens, berichtet Meier. Der Grund: „Nicht nur der Gelautomatenbereich war betroffen, in Teilen war auch die Filiale in Schutt und Asche gelegt worden.” Die Konsequenzen sind enorm. „Allein die Anschaffung eines neuen Geldautomaten stellt immense Kosten für die Bank dar”, sagt Meier. Dazu komme die Renovierung der Filiale.

Zahlreiche Freiburger Bankkund·innen betrifft das direkt. Die Sparkasse Freiburg-Nördlicher Breisgau hat gerade eine Erhöhung ihrer Preise angekündigt: Zum 1. Februar werden die Gebühren für Girokonten um 2,50 Euro bis 3,40 Euro pro Monat steigen. Damit finanziert das Geldinstitut auch steigende Investitionen in Sicherheit. Mehr als eine Million Euro will die Sparkasse für den besseren Schutz ihrer 98 Automaten ausgeben. Rund 100.000 Kunden mit knapp 150.000 Konten zählt das Kreditinstitut. 

Sprengungen verdoppelt

Die Zahlen des Freiburger Polizeipräsidiums sind alarmierend: Im Jahr 2021 gab es vier Sprengungen. Im Jahr 2022 war es nur eine. 2023 schnellte die Zahl auf sieben hoch. Im laufenden Jahr 2024 hat sie sich bis Mitte Oktober verdoppelt: 15 Geldautomatensprengungen waren schon bis Mitte November verzeichnet. Das meldet das Landeskriminalamt (LKA) in Stuttgart. Es hat die Ermittlungen sowie Kommunikation übernommen. Das Phänomen Automatensprengung ist flächendeckend und geht über Landesgrenzen hinaus.

„​​Geldautomatensprengungen werden häufig durch professionelle und international agierende Tätergruppierungen mit möglichen Bezügen in die Niederlande begangen”, berichtet LKA-Sprecherin Nadine Hell. Regional agierende Täter spielten nur eine untergeordnete Rolle. Ist es möglich, diese Verbrecher zu schnappen? Hell hält sich bedeckt: „Zu etwaigen Fahndungserfolgen und anderweitigen die Ermittlungen betreffenden Fragen kann insbesondere in laufenden Verfahren aus ermittlungstaktischen Gründen derzeit keine Aussage getroffen werden.”

3 Männer festgenommen

Die Polizei hat eine internationale Fahndung angesetzt: Und drei Männer festgenommen.

Bekannt ist, dass den Behörden im Oktober ein Coup gelungen ist. Bei einer internationalen Fahndung in den Niederlanden, Frankreich und in Deutschland unter Federführung des LKA Rheinland-Pfalz durchsuchten Ermittler·innen Wohnungen und Geschäftsräume. Es folgte die Festnahme von drei Männern im Alter zwischen 24 und 30 Jahren. Sie sollen für zwei Anschlagserien im Jahr 2023 in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz verantwortlich sein. Der Schaden der Sprengungen soll sich auf mehrere Millionen Euro belaufen. „Die Täter gingen äußerst riskant und skrupellos vor”, gibt das LKA zu Protokoll. Die Verwendung von festem Sprengstoff mache die Angriffe noch gefährlicher. So könnten auch Unbeteiligte in Gefahr geraten.

Risikokarten für Banken

Das LKA steht mit den Banken im Austausch. Eine Gefährdungsanalyse zu möglichen Zielen ist gemacht und soll den Instituten nun helfen, sich zu wappnen. „Das LKA hat den Banken eine Risikobewertung zur Verfügung gestellt”, berichtet Hell. Der könne man eine Einstufung des Gefährdungsgrades der vorhandenen Geldautomaten entnehmen. Öffentliche Einblicke darin gibt es aber nicht. Sprecherin Hell sagt lediglich: „Über priorisierte Ziele der Täterschaft lässt sich keine valide Aussage treffen.” Auch Patrick Kunkel, Sprecher der Sparkasse Nördlicher Breisgau, möchte nicht bewerten, ob etwa Automaten im ländlichen Raum stärker gefährdet sind als jene in größeren Städten wie Freiburg.

Die Sprengungen seien bislang sowohl in diversen Bankfilialen als auch an freistehenden Geldausgabeautomaten verübt worden. Im Sicherheitsbericht 2023 hieß es zudem: „Abgesehen haben es Täter meist auf Automaten in Gebäuden, die sich verkehrsgünstig in der Nähe einer Autobahn befinden.” Dabei sei es ihnen gleichgültig, ob es sich um reine Geschäfts- oder gemischte Wohngebäude handelt.

Sparkasse verfärbt Scheine

Das weiß man auch bei der Sparkasse Freiburg. Sie geht seit Herbst in die Offensive: „Wir haben in den vergangenen Monaten alle Standorte mit modernster Sicherheitstechnik ausgestattet“, informierte Vorstandsvorsitzender Daniel Zeiler im September. Die Bank setzt auf drei Maßnahmen: ein Einfärbesystem für Banknoten, mehr Videoüberwachung und nächtliche Schließungen von 24 bis 6 Uhr.

Aufgerüstet: Auch die Volksbank investiert in den Schutz ihrer Bankautomaten und Filialen.

Auch die Volksbank rüstet auf. In Südbaden setzt sie auf Vernebelungstechnik. Und kann damit Erfolge vermelden. Als Anfang Oktober Kriminelle einen Bankautomaten in einer Filiale in Eschbach sprengen wollten, griff das System. „Mit dem Vernebelungsmechanismus konnte die Sprengung verhindert werden. Die Täter flohen unverrichteter Dinge”, informierte die Volksbank Breisgau-Markgräflerland. Sie hat nach eigener Auskunft einen hohen sechsstelligen Betrag in ihre Sicherheit investiert.

„Meist geht es ganz schnell“

Doch viele solcher Erfolgsmeldungen scheint es nicht zu geben. Das LKA schildert in seinem Sicherheitsbericht einen klassischen Tathergang: „Meist geht alles ganz schnell: Das Anbringen des vorbereiteten Sprengpakets am Geldautomaten, die Sprengung und das Zusammenraffen der Beute dauern oft nur wenige Minuten. Anschließend flüchten die Täterinnen und Täter in meist hochmotorisierten Fahrzeugen mit Geschwindigkeiten jenseits von 250 Stundenkilometern und ohne jeden Skrupel, andere Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer, Einsatzkräfte und sich selbst erheblich zu gefährden.” Das kann tödliche Konsequenzen haben: Vergangenes Jahr kam im Enzkreis ein Mensch bei einer solchen Flucht ums Leben.

Folgenschwer bei solchen Attacken ist, dass der Schaden am jeweiligen Gebäude oft größer ist als die Höhe des entwendeten Geldes: 2022 gab es in Baden-Württemberg 34 Sprengungen. Diebe klauten 1,9 Millionen Euro. Der Sachschaden war mit 4,1 Millionen Euro mehr als doppelt so hoch. Noch dramatischer war es 2023. Da wurden ebenfalls 1,9 Millionen Euro geklaut. Und ein Sachschaden von 4,3 Millionen Euro angerichtet.

„Stetiger Wettlauf“

Hält dagegen: Daniel Zeiler

Anfällig macht Deutschland dabei auch die Liebe zum Bargeld. Deutsche haben vergangenes Jahr pro Person rund 304-mal elektronisch bezahlt. Europaweit ist die Bundesrepublik damit im hinteren Drittel, zeigt der „Global Payment Report“ der Unternehmensberatung Boston Consulting Group. Spitzenreiter Norwegen kommt auf 815 elektronische Zahlungen pro Kopf. Fast dreimal so viel. Doch auch in Deutschland ändert sich was: Bei 83 Prozent lag die Bargeldquote beim Bezahlen in Deutschland im Jahr 2008. Bis 2023 ist sie auf 51 Prozent gesunken.

Bargeldautomaten werden trotzdem noch lange relevant bleiben. Auch in Südbaden. Das heißt auch für die Banken, in puncto Sicherheit nachzulegen. „Wir können und werden dabei nicht stehen bleiben“, betont Daniel Zeiler von der Sparkasse Freiburg: „Es ist ein stetiger Wettlauf mit den Kriminellen. Und deshalb werden wir regelmäßig neue Technologien und Sicherheitslösungen evaluieren und implementieren, um den Schutz von Menschen und Einrichtungen stetig zu verbessern.“ Zeilers Nachricht an die Kriminellen: “Sprengen lohnt sich nicht!“ Kriminelle scheinen das noch anders zu sehen.

CHRONIK

Automatensprengungen und die Folgen

 26. Januar und 3. Februar 2024: Binnen einer Woche schlagen Automatensprenger zweimal am Kaiserstuhl zu: in Weisweil und Rheinhausen.

25. April 2024: Das Landgericht Bamberg lässt die Anklage gegen 16 mutmaßliche Automatensprenger zu. Zwölf Angeklagten aus Belgien und den Niederlanden wird vorgeworfen, zwischen 2021 und 2023 in 27 Fällen Geldautomaten – darunter auch in Kappel-Grafenhausen – gesprengt, dabei mehr als drei Millionen Euro erbeutet und einen Sachschaden in Höhe von 5,5 Millionen Euro verursacht haben. Die Tatvorwürfe lauten schwerer Bandendiebstahl, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und Zerstörung von Bauwerken.

29. April 2024: In einem Brandbrief wenden sich die Bürgermeister von Bad Krozingen, Staufen, Breisach, Hartheim und Heitersheim an den Freiburger Polizeipräsidenten Franz Semling. Sie fordern, mehr Einsatzkräfte in der Region zu mobilisieren. „Es ist nicht akzeptabel, dass Banken gezwungen sind, private Sicherheitsdienste zur Sicherung ihrer Geldautomaten einzusetzen“, heißt es in dem Schreiben.

8. Juni 2024: Erneut wird ein freistehender Geldautomat in Weisweil im Landkreis Emmendingen gesprengt. Das Gerät wurde bereits im September 2019 sowie Januar 2024 mit Sprengstoff geknackt.

24. Juli 2024: Das Landgericht Bamberg einigt sich mit der am 25. April angeklagten Gruppe aus Belgien und den Niederlanden auf einen Deal. Verurteilt werden 15 Täter zu Haftstrafen zwischen einem Jahr und neun Monaten sowie fünf Jahren und elf Monaten.

6. September 2024: Die Polizei in Straßburg nimmt eine 13-köpfige Bande fest. Laut dem französischen Office Central de Délinquance Itinerrante sollen sie hinter Sprengungen im Dreiländereck stecken. 26. September 2024: Zwei Unbekannte jagen einen freistehenden Geldautomaten in Jechtingen in die Luft und fliehen per Motorrad. Die Explosion beschädigt außerdem ein parkendes Auto sowie Fensterscheiben eines angrenzenden Gebäudes.

7. Oktober 2024: Um 4:40 Uhr sprengen Unbekannte einen Sparkassen-Automaten in Glottertal. Das Sicherheitssystem besprüht die Beute mit grüner Farbe und macht die Scheine damit wertlos. Innenraum und Automat werden bei dem Angriff stark beschädigt.

11. Oktober 2024: Um 4:10 Uhr versuchen Unbekannte, einen Volksbank-Automaten in Eschbach zu sprengen. Nebelwerfer verhindern, dass die Täter Beute machen.

30. Oktober 2024: In Burkheim am Kaiserstuhl wird gegen 3:15 Uhr ein freistehender Geldautomat in die Luft gejagt. Ein Gebäude wurde nicht beschädigt, jedoch umstehende PKW. Die Täter flüchten per Motorrad.

Foto: © picture alliance/dpa Daniel Bockwoldt & pixabay

Notfalls Scheine verkleben – Wie sich Banken gegen Geldautomatensprenger wappnen