Razzia beim SC: Zollfahnder im Stadion, Staatsanwalt ermittelt – auch beim EHC STADTGEPLAUDER | 22.11.2024 | Lars Bargmann

19. November, Europa-Park-Stadion in Freiburg. Es ist frisch im Rund, drei Ordner bauen auf der Südtribüne die Sitze ab, die wegen des Länderspiels gegen Bosnien-Herzegowina installiert worden waren. Das Stadion könnte an diesem spielfreien Dienstag leer sein. Ist es aber nicht. Einsatzkräfte der Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Hauptzollamts Lörrach strömen herein. Am Ende sind es Augenzeugenberichten zufolge 20 bis 25 Mann. Im Visier der Fahnder: Ordnerkräfte, Laptops, Akten.

Die Freiburger Staatsanwaltschaft bestätigt am Tag danach auf chilli-Anfrage, dass sie ein „Ermittlungsverfahren wegen des Tatvorwurfs des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt“ führt. Es seien „mehrere Objekte in Freiburg und Umgebung durchsucht“ worden. Weitere Informationen zum Verfahren könnten „derzeit“ nicht mitgeteilt werden. Das Hauptzollamt teilt auf Anfrage lediglich mit, dass Einsatzkräfte der Finanzkontrolle Schwarzarbeit am Dienstag im Raum Freiburg in einer Prüfung war. „Aus Gründen des Sozialdatengeheimnisses“ könne die Behörde jedoch keine Details mitteilen.

Details berichtet der Redaktion ein Augenzeuge. „Gegen 10 Uhr kamen mehrere kleine Gruppen Menschen ins Stadion, wir waren dabei, Stühle abzubauen und dachten erst, es wäre eine Stadionführung“, erzählt Peter T. (Name der Redaktion bekannt). Die Einsatzkräfte waren in Zivil unterwegs. Aber als T. von einem angesprochen wurde, sah er eine Dienstwaffe. Er und seine Kollegen mussten ihre Ausweise abgeben. „Die bekommen sie dann nach dem Mittag wieder“, sagte der Ermittler.

Ruhe nach dem Sturm: Der Zoll hat Räume im Europa-Park-Stadion durchsucht.

Vorm Stadion stehen drei Busse. Auf einem ist ein Zoll-Logo, die anderen sind nicht als Behördenfahrzeuge zu erkennen. In einem der Busse sitzt nach der Mittagspause T., zwei weitere Ordner sitzen in den beiden anderen Bussen.

Der Ermittler, so T., teilt ihm mit, dass er Zeuge in einem Ermittlungsverfahren gegen einen Mitarbeiter des Ordnungsdiensts sowie gegen Funktionäre sei. „Da habe ich erst mal geschluckt.“ Die Namen, die T. genannt hatte, schickt das chilli der Staatsanwaltschaft. Diese, heißt es dort, „können nicht bestätigt werden“. T. beantwortet ein Dutzend Fragen. Etwa, wie er sich zur Arbeit an- und wieder abmeldet. Was er verdient. Wie er bezahlt wird. Wer ihm wie die Aufträge gibt.

T. ist in einer WhatsApp-Gruppe. Dort wird abgesprochen, wer wann wo gebraucht wird. Wenn er zum Dienst kommt, checkt er sich im Ordnerbüro im Stadion mit einer Karte elektronisch ein und wenn er fertig ist wieder aus. Im Internet kann er nachschauen, wie viele Stunden er diesen Monat gearbeitet hat. Das Geld überweist der SC auf sein Konto. So weit, so unspektakulär. Und wenn es bei jedem der über 600 Ordner jederzeit so laufen würde, wäre der Einsatz der Zollfahnder kaum zu rechtfertigen.

Ein anderer Insider (Helmut H., Name der Redaktion bekannt) war zwölf Jahre lang Ordner bei SC. Er erzählt, dass es schon seit Jahren Unregelmäßigkeiten bei der ordnungsgemäßen Erfassung von Arbeitsstunden und auch bei der „kreativen“ Bezahlung von Ordnern gäbe. Zuweilen werde auch schwarz bezahlt. Das würde er auch unter Eid vor Gericht schwören. Deswegen habe er den SC beim Zoll wegen Schwarzarbeit und Sozialversicherungsbetrug angezeigt. Das war offenbar schon im vergangenen Juli.

Außerdem würde der Sport-Club auch mindestens einen vorbestraften Ordner beschäftigen. Vonseiten des SC heißt es, dass das Polizeiliche Führungszeugnis „standardmäßig abgefragt“ wird. Nach chilli-Informationen gibt es mindestens einen zweiten ehemaligen Ordner, der die Sache mit der Anzeige ins Rollen brachte. Der aber möchte nicht mit der Redaktion sprechen.

Ein weiterer Ordner, schütteres Haar, schwarze Arbeitshose, blaue Jacke kommt in die Redaktion. Er arbeitet seit 15 Jahren als Ordner beim Sport-Club. Bei ihm sei in Sachen Stunden und Bezahlung immer alles ordnungsgemäß gelaufen. Er hat zwar schon einen Fulltime-Job, aber wenn irgendwie möglich, macht er den SC-Job zusätzlich. Er kennt das Team. Er macht den Job gern. „Manche arbeiten aber brutal viel, auf Minijob-Basis geht das sicher nicht.“ Es sei „gängige Meinung im Team“, dass manche Ordner „auch mal so“ Geld bekommen.

Redebedarf: ein Besprechungsraum des Ordnungsdiensts im Europa-Park-Stadion

Wie er behaupten auch andere Informanten, dass es ein Netz von Strohfrauen und Strohmännern gäbe, auf deren Konten dann, wenn etwa Rentner oder Transfergeldempfänger oder 538-Euro-Jobber über ihre steuerfreien Grenzen kämen, das Geld überwiesen werde. Und von dort dann in bar weitergereicht würde.

Auch beim EHC Räume durchsucht

Warum die Staatsanwaltschaft wegen Vorenthaltens und Veruntreuung von Arbeitsentgelten ermittelt, dies aber gar nicht gegen den Arbeitgeber, der diese Entgelte und Sozialversicherungsbeiträge ja schließlich zahlt, dazu macht die Pressestelle der Staatsanwaltschaft keine weiteren Angaben. Sie ermittelt aktuell in gleicher Sache auch im Umfeld des EHC Freiburg. Auch dort wurden am 19. November in der Echte-Helden-Arena die Geschäftsräume durchsucht. Die Ermittler nahmen Akten mit. Der EHC-Vorstand um Werner Karlin und Marc Esslinger hat hernach über eine renommierte Freiburger Anwaltskanzlei Akteneinsicht eingefordert.

SC-Verantwortliche betonen in einem Gespräch mit dem chilli, dass beim SC weder gegen den Verein noch gegen die Vorstände ermittelt wird. Vielmehr handele es sich bei der Angelegenheit um eine privat motivierte Fehde zwischen einem ehemaligen Ordner und einem amtierenden. Und die werde offenbar auf dem Rücken des Sport-Clubs ausgetragen.

Der Vorstand habe auch keinerlei Kenntnis von etwaigem Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt. Dass Ordner zuweilen auch in bar bezahlt würden, weisen die Verantwortlichen entschieden zurück. Genau dies aber behaupten mehrere Ordner unabhängig voneinander in Gesprächen mit der Redaktion. Ihnen selbst sei aber noch nie Bargeld ausgezahlt worden.

Der SC wird als mittelständisches Unternehmen jährlich von Kopf bis Fuß geprüft. Dabei habe es, so die Verantwortlichen, noch nie Beanstandungen gegeben. Die jüngste Prüfung sei erst wenige Monate her. „Der SC Freiburg kooperiert vollumfänglich mit den Behörden, um zur Aufklärung beizutragen. Zu laufenden Ermittlungen wird sich der SC Freiburg weiter nicht äußern“, heißt es in einer Stellungnahme ans chilli. So sei es auch am 19. November gewesen.

Erst gegen 17 Uhr packen die Ermittler ihre Sachen und rücken aus dem Europa-Park-Stadion ab. Beobachter schildern, dass diese vorher im Ordnerbüro vor Computern und Laptops saßen. Dass sie mehrere Stunden in der Geschäftsstelle waren. Ob sie Computer oder Datenträger mitgenommen haben, ist nicht bekannt. Wohl aber, dass sie Aktenordner mitnahmen. Durchsucht wurden zudem weitere SC-Standorte sowie Geschäftsräume eines Mitarbeiters und auch dessen Privatwohnung im Umland. Eine Familienangehörige hat das später im Stadion erzählt.

Als T. am Montag nach dem Länderspiel zum Stadion kam, hat er sich nicht eingeloggt. Er solle zum Parkplatz P3 gehen, dort notierte ein Abschnittsleiter des Ordnungsdiensts, wann er angefangen hat – auf einem Zettel. So war es auch am Dienstag. Die Zettel haben die Zollfahnder mitgenommen.

Fotos: © David Pister