Akademie im Bahnhof: Inklusive Berufsvorbereitung im Himmelreich Land & Leute | 09.10.2022 | Erika Weisser

Das Hofgut Himmelreich

Seit 15 Jahren gibt es am Inklusionsunternehmen Hofgut Himmelreich auch eine Akademie. Während in dem erfolgreich und gemeinnützig geführten Restaurant- und Hotelbetrieb schon einige Menschen mit außergewöhnlichen Talenten arbeiten, werden an der Akademie junge Leute erst noch auf ein selbstständiges Berufsleben vorbereitet.

Lilli findet es „richtig cool“, dass ein Artikel über das Hofgut Himmelreich erscheint. Seit Mitte September nimmt die 18-Jährige zusammen mit neun Kollegen und Kolleginnen an der Berufsvorbereitung für junge Menschen mit besonderen kognitiven Fähigkeiten teil, die hier jedes Jahr angeboten wird und 18 Monate dauert. „Es gefällt mir sehr gut“, antwortet sie beim gemeinsamen Mittagessen ohne Zögern auf die entsprechende Frage. Und weil sie sich „überall schon so gut auskennt“, bietet sie der Besucherin eine Führung in die Lehrküche und den Hauswirtschaftsraum an.

Beide Praxis-Lernorte sind in jeweils einem der vielen Nebengebäude des zwischen Höllentalbahn und B 31 gelegenen Schwarzwaldhauses mit dem tiefgezogenen Walmdach untergebracht. Auf dem Weg dorthin erzählt die zugewandte junge Frau, dass sie noch nicht weiß, ob sie später lieber in der Hauswirtschaft oder im Tischservice oder als Köchin arbeiten wolle. „Ich mache alles gern. Nur das Bügeln ist nicht so cool“, lacht sie. Gestern habe sie zusammen mit ihrer Gruppe das Essen für alle zubereitet, heute sei die andere Hälfte des Kurses dafür zuständig gewesen.

Lehrkoch Mark Diehm erklärt einem Lehrling was in der Küche

In der Lehrküche des Hofguts Himmelreich erklärt Lehrkoch Marc Diehm, was beim Anbraten von Fleischküchle zu beachten ist.

Unter der freundlichen Anleitung von Lehrkoch und Mentor Marc Diehm und zwei ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen kochen die je fünf Berufsaspirant·innen für alle, die hier tätig sind und Zeit haben. Beim Mittagessen in der holzvertäfelten Gaststube mit der niedrigen Decke, den vielen Fenstern und dem gemütlichen Kachelofen sitzen gut 20 Hungrige an den einladend eindeckten Tischen und plaudern munter miteinander: Lehrpersonen der Akademie, Mitarbeitende von Restaurant und Hotel und natürlich auch die Berufsorientierungssuchenden selbst.

Entschleunigte Arbeit

In der Mittagspause, sagt Diehm, gebe es jeden Tag ein warmes Essen – und die Hilfsköche und -köchinnen seien stets mit großem Eifer bei der Sache. Hier lernten sie die Grundlagen der Nahrungszubereitung für Viele kennen. Und das sei für jene, die sich später für die Küche als Berufslebensmittelpunkt entscheiden, eine wesentliche Voraussetzung: Neben der klassischen Gastronomie sei die Arbeit in einer Betriebskantine oder einer Krankenhaus-Großküche eine wichtige, weil krisenfeste Option. Und dass es manchmal ein wenig länger dauere, bis die Kartoffeln geschält, das Gemüse geputzt oder die Fleischküchle geformt seien, mache gar nichts: „Entschleunigung tut allen gut.“

Das bestätigt auch Elisabeth Kühne, zu deren Grundlagen-Unterricht im Bereich „Etage und Service“ sich die zehn Kursteilnehmer und -teilnehmerinnen kurz darauf im neuen Seminarraum der Akademie einfinden. Die gelernte Hotelfachfrau und Mentorin weiß von einigen Partnerbetrieben der Akademie, dass die inzwischen dort fest angestellten „Akademiker·innen“ sehr geschätzt würden. Nicht nur wegen ihrer hilfsbereiten Freundlichkeit, sondern auch „wegen der Entschleunigung, die sie in die oft hektischen Abläufe bringen und die sich wohltuend auf das ganze Betriebsklima auswirkt.“

Das Hofgut Himmelreich

Der Seminarraum wurde nach der Schließung des bis 2021 dort gleichfalls von der Hofgut gGmbH betriebenen Reisezentrums mit Kiosk in der früheren Halle des Bahnhofs Himmelreich eingerichtet. Darüber ist Akademieleiter Matthias Schulz „sehr froh“: Diese Lösung „erleichtert den Alltag der Lernenden und Lehrenden erheblich“. Bisher mussten die jungen Leute, die selbstständig mit dem Zug anreisen, während des theoretisch-praktischen Teils ihrer von der Agentur für Arbeit finanzierten Berufsvorbereitung in einen Raum der Grundschule Buchenbach ausweichen – mit einem entsprechenden Transfer im Kleinbus. Jetzt liege ihr Lernort direkt vor der Zugtür. Zwischen den Unterrichtsblocks – September bis Januar und zwischen Ostern und Pfingsten – haben sie die Möglichkeit, in den Bereichen Hausmeisterdienste, Gastronomie, Hotellerie und künftig auch Einzelhandel Arbeitsluft zu schnuppern. Danach geht es für ein Dreivierteljahr in den praktischen Bereich, für den sich jede·r Einzelne entschieden hat. 75 bis 80 Prozent der Orientierungsabsolvent·innen, konstatiert Schulz zufrieden, fänden danach eine feste Anstellung.

Fotos: © Erika Weisser