Riesenverluste erzwingen Kehrtwende: VAG-Bilanzen bedrohen Stadtwerke-Holding Politik & Wirtschaft | 20.11.2017 | Lars Bargmann

Bei der Freiburger Verkehrs AG (VAG) sind die Finanzen aus dem Gleis gesprungen: Die Verkehrsbetriebe haben im vergangenen Jahr 18 Millionen Euro Verlust eingefahren und rechnen in diesem Jahr mit einem Fehlbetrag von rund 23 Millionen Euro.

Da solche Zahlen nicht länger hinnehmbar sind, müssen die Vorstände Stephan Bartosch und Oliver Benz nun den Ausbau dramatisch drosseln, sparen und fordern mehr Geld vom Regio-Verkehrsverbund Freiburg (RVF). Dort aber heben die Geschäftsführerinnen Dorothee Koch und Simone Stahl erst einmal die Hand: „Kurzfristig wird es bei der Einnahmenaufteilung keine Änderung geben.“

„Die VAG muss sich anders aufstellen“, sagt Oberbürgermeister und VAG- Aufsichtsratsvorsitzender Dieter Salomon. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: 2010 lag das Defizit der Verkehrsbetriebe noch bei 7,5 Millionen Euro, im laufenden Jahr werden es voraussichtlich 22,8 Millionen sein. „Wenn wir das so weiterlaufen lassen, dann sind es 2030 bis zu 35 Millionen. Das geht eindeutig nicht“, spricht der Rathauschef Klartext.

Das Anhäufen der Riesenverluste ist indes ein direktes Ergebnis aus den Beschlüssen des Gemeinderats. Allein für die Stadtbahnverlängerung Zähringen, den ersten Bauabschnitt der Messelinie und die Stadtbahn Rotteckring blätterte die VAG 44 Millionen Euro auf den Tisch. 78 Millionen kamen von Bund und Land. Aufs Gleis setzte die Politik auch die Sanierung der Schienen auf der Schwarzwaldstraße und den Bau der Stadtbahn durch die Waldkircher Straße. Die VAG rüstete mit den neuen Strecken gleich auch ihren Fuhrpark auf: 12 Trams der Marke Urbos wurden gekauft – für 38 Millionen Euro. Dafür wiederum musste der Betriebshof auf der Haid erweitert und auch eine neue Haltestelle gebaut werden – für 6,8 Millionen. Insgesamt wurden in den vergangenen 15 Jahren mehr als 260 Millionen Euro in den Nahverkehr investiert. Das Rathaus – Verwaltung und Gemeinderat – hat der VAG schwere Steine in den Rucksack gelegt. Zu schwere? „Wir haben uns nicht übernommen“, sagt Finanzbürgermeister Otto Neideck auf Nachfrage des business im Breisgau. Der Ausbau des ÖPNV koste nun mal viel Geld.

Das Defizit der VAG reißt auch die Stadtwerke-Bilanz in den Keller: Bis 2014 machte die Holding meist Gewinne, 2016 schrieb der steuerliche Querverbund (Gewinne aus der Badenova-Beteiligung werden hier mit den Verlusten der VAG und der öffentlichen Bäder verrechnet, um eine Besteuerung der Gewinne zu vermeiden) schon 6,2 Millionen Euro Miese und zwang so das Rathaus, erneut fünf Millionen in die Stadtwerkekasse zu packen. Die wird in diesem Jahr wohl schon mit einem Fehlbetrag von 9,6 Millionen Euro abschließen. „Wenn wir nichts machen, gehen die Stadtwerke insolvent“, so Salomon.

Für Neideck und seinen Stadtsäckel steht dabei auch der Querverbund selber auf dem Spiel. Das Finanzamt betrachtet Betriebe, die nur Verluste machen, als „Liebhaberei“ und entzieht ihnen irgendwann die steuerlichen Möglichkeiten. Im dem Fall müsste Neideck die Gewinne aus der Badenova, zuletzt rund 17 Millionen, allein versteuern und zusätzlich als 100-Prozent-Gesellschafter der VAG deren Verluste tragen. Ein Schlag in die Magengrube.

Deswegen gibt es nun einen Richtungswechsel. Der Name: Perspektivplan 2022 bis 2026. Der Slogan: Wenn die Politik bestellt, muss sie auch bezahlen. Erste Folge: Die Verlängerung der Tramtrasse in den neuen Stadtteil Dietenbach muss nicht die VAG, sondern das Rathaus bezahlen. Zweite Folge: Eine immer wieder debattierte Straßenbahn nach St. Georgen wird es in den nächsten 20 Jahren sicher nicht geben. Eine dritte: Auch andere Projekte wie die Verlängerung nach Kappel oder nach Gundelfingen oder auch nach Merzhausen werden in den Schubladen verstauben.

Um die Bilanz zu verbessern, muss die VAG ab 2020 zudem 5,5 Millionen Euro jährlich sparen oder mehr einnehmen. „Wir haben im Vergleich zu anderen Städten zwar bundesweit eine der größten Marktdurchdringungen, aber die niedrigsten Erlöse“, sagt Benz. Was er nicht so direkt sagt: Ohne eine Erhöhung der Tarife wird die VAG ihre Bringschuld kaum zusammenbekommen. Die VAG wird zudem ihren Fahrplan eher ent- als verdichten, ein Personalabbau steht aber für den Vorstand nicht zur Debatte.

In einer Pressemitteilung beziffern VAG und Rathaus die Mehrleistungen für den RVF im Vergleich zu 2010 auf 12,5 Prozent. Ob der Verbund das bestätigen kann? „Die Leistungen der VAG sind in den vergangenen Jahren im Zuge des Stadtbahnausbaus stark gewachsen“, teilt die Geschäftsführung auf Anfrage mit. Bei der Einnahmenaufteilung gebe es aber keinen Automatismus nach dem Motto: 12,5 Prozent mehr Leistung sind auch 12,5 Prozent Mehreinnahmen.

Der RVF sammelt die Einnahmen aus den 20 angeschlossenen Verkehrsdienstleistern – zuletzt knapp 100 Millionen Euro jährlich – und schüttet sie dann nach einem durchaus komplexen Einnahmenaufteilungsvertrag aus. Der sei „fein austariert“. Änderungen bedeuteten immer „einen langen Verhandlungsprozess“. Es sei übrigens nichts Ungewöhnliches, dass einzelne Betriebe mehr Geld fordern würden. Änderungen, die das Gesamtsystem betreffen, könnten aber „immer nur im Konsens“ erfolgen. Entsprechende Beratungen mit den Verbundpartnern haben noch gar nicht begonnen.

Neideck, der Anfang Oktober Gespräche mit dem RVF angekündigt hatte, war für eine erneute Stellungnahme zum Stand der Verhandlungen bis zum Redaktionsschluss nicht zu erreichen. Es wird eine harte Nuss. Im Raum stehen offenbar rund vier Millionen Euro. Es wird nicht lange dauern, bis sich der Zweckverband Regio-Nahverkehr Freiburg, in dem neben Salomon auch die Landräte Hanno Hurth (Emmendingen) und Dorothea Störr-Ritter (Breisgau-Hochschwarzwald) sitzen, politisch einschalten wird.

Politische Gespräche wird es auch zwischen der Stadt Freiburg und der Landesregierung in Stuttgart geben. Das Land bekommt nach dem neuen Finanzausgleich fast eine Milliarde Euro mehr als bisher. „Wenn die Finanzministerin nun denkt“, so Salomon, „dass die Kommunen den Landesanteil am Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz selber aufbringen sollen, dann geht das gar nicht.“

Foto: © VAG