Tabuflächen aufs Tapet: Fehlendes Bauland treibt Preise in die Höhe Politik & Wirtschaft | 23.05.2016 | Lars Bargmann
Schafft Deutschland sich ab? Im Südwesten wohl kaum, Thilo Sarrazin. Im Gegenteil: Die meisten Städte und Kommunen wachsen und wachsen und haben Mühe und Not, der Bevölkerung ein Dach über dem Kopf zu ermöglichen.
Sei es zur Miete, sei es im Eigentum. Der neue Immobilienmarktbericht des Freiburger Gutachterausschusses und die Kaufpreissammlung „Auf gutem Grund“ der Sparkassen in Freiburg, im Hochschwarzwald und in Staufen-Breisach sprechen eine klare Sprache: Bauland muss her. Schnell. Freiburg bricht daher jetzt die ersten Tabus: 23 Hektar oder 33 Fußballfelder groß sind die Flächen, die so schnell wie möglich bebaut werden sollen. Mit bis zu 3000 Wohnungen. Wer bis 2030 fast 15.000 neue braucht, hat keine andere Wahl.
„Wir sind wieder so weit, dass wir wie in den 70er Jahren Hochhäuser bräuchten“, sagt Thomas Schmidt, Geschäftsführer des größten Maklers in Südbaden, der Immobiliengesellschaft der Sparkasse Freiburg-Nördlicher Breisgau. Über Wohntürme denkt auch der Karlsruher Oberbürgermeister Frank Mentrup nach. Denn auch in der nordbadischen Fächerstadt herrscht Wohnungsnot. Die Bodenpreise in 179 Städten listet die Erhebung „Auf gutem Grund“ auf. Fazit: Die Preise steigen fast überall. Gewinner des dramatisch engen Markts sind nicht die Bauträger, so Sparkassen-Vorstand Erich Greil, sondern die privaten Grundstücksbesitzer. Ein Quadratmeter Bauland für einen Geschosswohnungsbau kostete im vergangenen Jahr in Freiburg schon fast 850 Euro. Es werden aber auch mal weit über 1000 Euro gezahlt – auch wenn es nur in Erbpacht ist. Im Stadtteil Brühl hat ein Investor unlängst für den Bau eines mehrgeschossigen Gebäudes 1600 Euro für jeden Quadratmeter auf den Tisch geblättert. Das war vor fünf Jahren noch kaum vorstellbar.
Auch im Umland legen die Preise kräftig zu. Preise wie in Buchenbach (60 Euro) oder Sasbach (40 Euro) bilden die Ausnahme. Wer günstig einkaufen will, kann auch in den Hochschwarzwald fahren, ins Simonswäldertal oder nach Elztal. In Breisach hingegen kletterten die Bodenpreise im vergangenen Jahr schon auf bis zu 410 Euro, in Emmendingen auf bis zu 500 Euro (2012: 370). Spitzenreiter ist weiter Freiburg.
„Wir brauchen mehr Bauland“, weiß auch Finanzbürgermeister Otto Neideck. Wer den Immobilienmarktbericht studiert, findet darin für 2015 gerade einmal 13 verkaufte Grundstücke, auf denen Geschosswohnungsbau geplant ist. Dennoch lag das Gesamtvolumen für insgesamt 2802 Verkäufe bei 903 Millionen Euro. Das ist nach 2011 – als im November die Grunderwerbssteuer von 3,5 auf 5 Prozent erhöht wurde und 975 Millionen Euro den Eigentümer wechselten – der höchste Geldumsatz seit Beginn der Aufzeichnungen 1971. Der Finanzbürgermeister machte zwar ein ernstes Gesicht, dürfte sich aber über die damit verbundenen Grunderwerbssteuereinnahmen in Höhe von rund 45 Millionen Euro durchaus freuen.
Rund 1000 neue Wohnungen braucht die Stadt Freiburg. Jährlich. Bedenklich ist nun, dass unter den 2800 Verkäufen nur 250 Neubauwohnungen zu finden sind. Ist es realistisch, dass im selben Zeitraum zusätzlich noch 750 Mietwohnungen bezugsfertig wurden?
Die Preise sind in den gefragten Lagen nach Sparkassen-Zahlen allein in den vergangenen zwei Jahren um bis zu 20 Prozent gestiegen. Davor waren sie im selben Zeitraum sogar um 50 Prozent nach oben geschossen. Auch die Quadratmeterpreise für gebrauchte Wohnungen legten seit 2013 um mehr als 29 Prozent auf rund 3000 Euro zu, berichtete Hannelore Stockert, die Vorsitzende des Freiburger Gutachterausschusses – in Weingarten sogar um knapp 46 Prozent. Im Schnitt wanderten für einen neu gebauten Quadratmeter 4466 Euro über den Tisch. Der Markt verschiebt sich immer weiter nach oben: Kostete vor sechs Jahren in fast 80 Prozent der Fälle ein Quadratmeter in einer neuen Eigentumswohnung noch weniger als 3500 Euro, galt das im vergangenen Jahr nur noch für – ein Prozent.
Wer dagegen etwas tun will, muss bauen. Deswegen hat das Rathaus nun mehrere Tabuflächen aufs Tapet gebracht: Im Stühlinger soll der Wohnmobil-Stellplatz an der Bissierstraße nach Lehen verlagert und auf der 8000 Quadratmeter großen Fläche dann ebenso schnell Baureife hergestellt werden wie auf mehreren Flächen entlang der Sundgauallee. Dafür sollen unter anderem 150 Kleingärten weichen. Auch in Zähringen Nord, an der Kappler Straße in Littenweiler, im Mooswald West und im Vauban (Wendeschleife der Straßenbahn) sollen bislang heilige Flächen auf dem Altar der Wohnungsnot geopfert werden.
Insgesamt sollen darauf bis zu 3000 Wohnungen gebaut werden. Geleitet wird die dafür eigens gegründete „Projektgruppe neue Wohnbauflächen“ von Babette Köhler vom Stadtplanungsamt. Wenn alle Vorhaben nach den Vorgaben des Gemeinderatsbeschlusses aus dem vergangenen Mai bebaut werden, müssen 1500 davon als soziale Mietwohnungen bereitgestellt werden. Es wird spannend sein, wer sich um diese Flächen überhaupt bewirbt.
Der derzeit erarbeitete Freiburger Perspektivplan, ein Steckenpferd von Baubürgermeister Martin Haag, soll insgesamt auf 90 Flächen ein Potenzial für 7000 neue Wohnungen aufzeigen. Auch in Offenburg gibt es aktuell eine große Wohnungsbauoffensive: Auf und neben dem Areal der Spinnerei am Mühlbach werden zwei neue Stadtquartiere hochgezogen. Seit 2011 und bis 2020 sollen 2000 neue Wohnungen entstehen. Karlsruhe will bis 2030 mindestens 10.000 bauen. Auch in Mannheim fehlen bis 2030 mindestens 10.000 Wohnungen. Und bei all diesen Rechenspielen sind die Flüchtlinge – und deren Folgeunterbringung – noch gar nicht enthalten. Im Südwesten kann Sarrazin auf keine große Anerkennung hoffen.
Visualisierung: © Bachelard Wagner Architekten Basel