Unternehmen schrauben Erwartungen zurück: Die Wirtschaft am Oberrhein wächst, die Sorgen auch Politik & Wirtschaft | 30.11.2018 | pt

Die Geschäftswelt in Südbaden befindet sich weiterhin in einer ausgezeichneten Lage. Das geht zumindest aus der aktuellen Befragung von 961 Unternehmen durch die Industrie- und Handelskammer Südlicher Oberrhein (IHK) hervor. Jedoch blicken viele Unternehmer verhalten in die Zukunft und korrigieren ihre Wachstumsprognosen nach unten.

„Mit 56 Punkten befindet sich der Geschäftsindex nur knapp unter dem Allzeithoch vom Jahresbeginn (61 Punkte)“, zitierte IHK-Präsident Steffen Auer (2.v.r.) unlängst vor Journalisten aus dem jüngsten Konjunkturbericht seines Verbandes. Darin bezeichnen 60 Prozent der befragten Unternehmen die eigene Geschäftslage nach wie vor als gut, unzufrieden sind nur vier Prozent. Weniger positiv fällt die Beurteilung der Geschäftserwartungen aus: Nur noch 29 Prozent rechnen damit, dass die Konjunktur im kommenden Jahr an Schwung gewinnen kann, elf Prozent gehen von einem Rückgang aus.

Beim Blick in die Branchen zeigt sich der größte Pessimismus – trotz stabiler Geschäftslage – in der Industrie. Nur noch 31 Prozent glauben an einen Auftrieb, auch der Index der erwarteten Beschäftigung sank von 33 Punkten zu Jahresbeginn auf elf Prozent. Während der Boom der Baubranche anhält, Dienstleister und Händler zumindest vorsichtig optimistisch in die Zukunft schauen, gibt sich das Hotelgewerbe weiter skeptisch: Trotz erneutem Rekord von 4,1 Millionen Gästen im Kammergebiet, lag die Geschäftserwartung bei minus neun Punkten.

Anzahl der Störfeuer nimmt zu

Auer begründet den Pessimismus mit „einer Vielzahl von konjunkturellen Störfeuern“. Unklarheiten beim Brexit, ein ausstehendes Handelsabkommen mit der Schweiz sowie die schwache türkische Lira würden viele Unternehmer in der exportstarken Region verunsichern. Neben der politischen ­Großwetterlage sowie steigenden Energie- und Rohstoffpreisen bereitet aber vor allem der anhaltende Fachkräftemangel den Unternehmen Bauchschmerzen: 68 Prozent der Befragten sehen im Fehlen von Fachkräften ein Geschäftsrisiko. 2013 lag dieser Wert noch bei 31 Prozent.

„Auch am Europa-Park geht der Fachkräftemangel nicht vorbei“, berichtet Armin Schmidt, Personalleiter des Freizeitparks mit 1500 Festangestellten (links). Zwar sei man verstärkt in Rumänien und Bulgarien auf Personalsuche, in Rust seien derzeit trotzdem 70 Stellen unbesetzt. Schmidt und Auer hoffen auf das im Koalitionsvertrag geregelte Einwanderungsgesetz, nach dem Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten für sechs Monate nach Deutschland einreisen dürfen, um auf Jobsuche zu gehen.

„Unserer Meinung nach kann das Gesetz so wie früh wie möglich kommen“, sagte Schmidt im Hinblick auf die 700 neuen Mitarbeiter, die der Europa-Park in den kommenden Jahren für neue Hotels und eine Parkerweiterung benötigt. Auer bestätigt: „Das ist dramatisch.“ Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, ziehen fast ein Drittel die Anwerbung ausländischer Fachkräfte in Betracht und folgen damit einem Trend: In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Anzahl ausländischer Beschäftigter in Baden-Württemberg von 465.000 auf 705.000 erhöht. „Ohne ausländische Fachkräfte hätten wir wirklich Schwierigkeiten“, betont Auer.

„Wir kommen aus einem Überhitzungszustand in den Normalzustand“, kommentierte IHK-Hauptgeschäftsführer Andreas Kempff (rechts). Für den Volkswirt war es sein letzter Konjunkturbericht in Südbaden: Kempff verlässt Freiburg in Richtung Heidelberg und übernimmt den Verbund Rhein-Neckar als neuer Geschäftsführer zum 1. April 2019.

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