Warum Freiburger Unternehmen Gemeinwohl-Ökonomie machen Politik & Wirtschaft | 25.11.2017 | Isabel Barquero

Wie nachhaltig, solidarisch und demokratisch handelt ein Unternehmen? Die Antwort darauf liefert die Gemeinwohl-Bilanz – das Herzstück der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ). Als GWÖ wird ein alternatives Wirtschaftsmodell bezeichnet, das auf sozialen Werten aufbaut.

Weltweit unterstützen derzeit etwa 2300 Unternehmen die Bewegung. In Deutschland haben bisher 250 Betriebe eine Bilanz erstellt, darunter auch drei in Freiburg.

Können Unternehmen so wirtschaften, dass sie selbst und zugleich das Gemeinwohl dabei profitieren? Alfons Graf, Geschäftsführer der Taifun-Tofu GmbH aus Freiburg, ist überzeugt davon. Der Bio-Tofu-Hersteller hat als erstes Freiburger Unternehmen seine Gemeinwohl-Bilanz aufgrund eines sehr detaillierten GWÖ-Fragebogens erfasst. Am Ende standen 575 von 1000 möglichen Punkten zu Buche.

Die GWÖ basiert auf Werten wie Kooperation und Wertschätzung anstelle von Konkurrenz und Gewinnmaximierung mit dem Ziel, das Gemeinwohl durch ökonomische, politische und gesellschaftliche Veränderungen zu steigern. Wichtige Aspekte sind Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit, Menschenwürde, Solidarität und demokratische Mitbestimmung. „Diese alternativen Denkansätze des Wirtschaftens passen sowohl gut zu den Werten unseres Unternehmens als auch zu unseren persönlichen Werten“, sagt Graf.

Als erste Schule überhaupt hat die freie Waldorfschule im Rieselfeld eine Gemeinwohl-Bilanz gemacht – und ein Spitzenergebnis (789 Punkte) erzielt. „Wir wollen ein Zeichen setzen, dass Nachhaltigkeit nicht nur im Unterricht, sondern auch in den täglichen Prozessen der Schule verankert werden sollte“, sagt Lehrer Steffen Schürkens. Besonders bei der innerbetrieblichen Mitbestimmung und der Einkommensverteilung liegt die Schule im vorbildlichen Bereich. Ökostrom, Recycling-Papier oder eine vegetarische Bio-Cafeteria zeigen zudem ökologische Verantwortung.

Das Modegeschäft Zündstoff hat 726 Punkte bekommen. „Als ökologisch faires Bekleidungsgeschäft wollten wir wissen, inwieweit wir unseren eigenen Ansprüchen genügen“, so Geschäftsführer Sascha Klemz. Ziel sei es gewesen, eine Selbstevaluation und mehr Transparenz für die Kunden zu bekommen. „Außerdem wollten wir wissen, wo unsere Stärken und Schwächen liegen.“ Drei weitere Freiburger Betriebe haben sich mittlerweile zertifizieren lassen.

Auch die Politik ist auf die GWÖ aufmerksam geworden: So fördern mehrere Kommunen in Spanien, Österreich und Deutschland – hier vor allem die Stadt Stuttgart mit jährlich 470.000 Euro – Unternehmen bei der Erstellung einer Gemeinwohlbilanz. Es steht sogar schwarz auf weiß im grün-schwarzen Koalitionsvertrag: „Die Koalitionspartner begrüßen neue Formen des Wirtschaftens wie Gemeinwohlökonomien, weil sie als soziale Innovationen die Bürgergesellschaft stärken können.“

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen in Stuttgart, Anna Deparnay-Grunenberg, wünscht sich, dass immer mehr Unternehmen eine GWÖ-Bilanz erstellen. Viele aber würden den Aufwand scheuen: „Und man braucht schon auch Mut, denn schließlich werden alle Prozesse und Schwachstellen für die Gemeinschaft offengelegt.“

Besonders für kleine Unternehmen sei eine Bilanzierung aus finanzieller Sicht gar nicht machbar. Zwar liegen die direkten Kosten nur im unteren dreistelligen Bereich, aber sie ist sehr zeitaufwendig – und Zeit kostet auch Geld. Bis zu 200 Arbeitsstunden investierte Zündstoff in die Bilanz. Bei Taifun benötigten 20 Angestellte insgesamt 500 Stunden.

Doch nicht jeder ist mit dem alternativen Wirtschaftsmodell zufrieden: Kritiker und Gegner werfen dem Konzept vor, zu bürokratisch, ineffektiv sowie einschränkend zu sein. Gitta Walchner, Referentin der GWÖ, findet, dass diese Kritik hilft, „verschiedene Blickwinkel einzunehmen und unsere Inhalte weiterzuentwickeln“.

Fotos: © Stefan Sinn; Gemeinwohl-Ökonomie