Leben mit dem Zölibat: Warum zwei junge Männer Pfarrer werden Szene | 02.03.2019 | Till Neumann

Rund 41 Prozent der Katholiken in Deutschland haben schon darüber nachgedacht, aus der Kirche auszutreten. Konkret umgesetzt haben das 2018 so viele Freiburger wie nie zuvor. Doch zwei Männer gehen gegen den Trend: Sie wollen Pfarrer werden – trotz Zölibat. Im chilli erzählen sie, warum sie überzeugt sind, auf dem richtigen Weg zu sein.

Bis Anfang 30 lief bei Thomas Rudolf (Foto links) alles wie am Schnürchen. Der studierte Sozialarbeiter leitete sechs Kindergärten, hatte Spaß an seiner Arbeit und lebte bei den Eltern. „Zum perfekten Glück hätte nur noch die Gründung einer Familie gehört“, erzählt der 39-Jährige. Doch ein Wunsch wurde immer stärker: „Ich spürte die Sehnsucht nach einem pastoralen Beruf.“ Nach einer Supervision war ihm klar: Er will Priester werden.

Die Mutter war nicht glücklich damit. Sie wünschte sich Enkelkinder von ihrem einzigen Kind. Doch Rudolfs Freundeskreis reagierte positiv. „Wir wussten es schon immer“, hieß es da. Die Ausbildung dauert acht Jahre und dient der Prüfung, ob man auf dem richtigen Weg ist.

Viele entscheiden sich vor der Priesterweihe dagegen. Rudolfs Jahrgang umfasste sieben Männer. Nur drei davon seien geblieben, berichtet er. Auch Rudolf selbst erzählt von Zweifeln. Eine Familie zu gründen, sei reizvoll. Dennoch ist er überzeugt, das Richtige zu tun. Für Gott und die Menschen da zu sein, sei heilsam.

Einsam leben müsse er trotz Zölibat nicht. Aktuell wohnt er mit einem Pfarrer und dessen Haushälterin in Herbolzheim und pendelt an freien Tagen zu seiner Mutter in Wiesloch. Ein Leben als Pfarrer ohne Zölibat würde er dennoch nicht verneinen. „Ich könnte es mir vorstellen“, sagt Rudolf.

Liebe findet er in der Gemeinde, mit Freunden oder Familie. Der Kontakt mit den Menschen ist für ihn das Schönste seines Berufs. „Ich will Glauben und Hoffnung weitergeben“, sagt Rudolf. Das Theologiestudium hat er abgeschlossen und macht nun sein Pastoralpraktikum in der Seelsorgeeinheit Herbolzheim. Dort unterrichtet er Religion an Schulen und hat kürzlich seine erste Beerdigung geleitet.

Auch Lukas Biermeyer (Foto rechts) hat sich für ein Leben mit Gott entschieden. Genau wie Rudolf diente er in jungen Jahren als Ministrant, verbrachte viel Zeit in der Kirche. Heute ist der 30-Jährige Vikar in Offenburg, also bereits geweihter Priester. In einigen Jahren könnte er eine eigene Pfarrei leiten.

Schon nach dem Abitur kam ihm die Idee, Priester zu werden. Die positiven Erfahrungen mit der Kirche will er weitergeben und zeigen: „Das kann ein spannender Verein sein.“ Ein Auslandsjahr im Rahmen des Studiums führte ihn nach Schweden. Dort gibt es die „hübschesten Frauen Europas“, wie Freunde ihm erzählten, aber nur rund ein Prozent Katholiken.

Fast zehn Jahre dauerte seine Ausbildung. „In manchen Momenten dachte ich, ich schmeiß hin“, erinnert er sich. Gerade das Zölibat sei eine große Hürde. Doch die Phasen seien überwunden, die Freude überwiege.

In seiner Jugend im nordbadischen Seckach habe es noch geheißen: jedes Dorf, ein Pfarrer. Heute würden Strukturen immer größer, keine leichte Aufgabe, berichtet Biermeyer. Er sieht es als seine Aufgabe, den sich Abwendenden zu zeigen, dass sie glauben.

Aber auch von starkem Gegenwind in der Gesellschaft berichtet Biermeyer. Finanzskandale und Missbrauchsfälle in der Kirche beschäftigen auch ihn: „Will ich für diese Organisation arbeiten?“, frage er sich manchmal. Seine Antwort ist ein klares Ja. Die großen Herausforderungen, vor denen die Kirche steht, will er annehmen und ein positives Bild vermitteln.

Zweifel sind überwunden

Einer Änderung des Eheverbots würde auch Biermeyer offen gegenüberstehen. Er plädiert für ein freiwilliges Zölibat wie in der orthodoxen Kirche. Bis zur Priesterweihe könne man dort heiraten. Nur wer unverheiratet bleibt, kann Bischof werden.

Dass Kirchliche sich an Kindern vergreifen, ist für ihn ein Schock. „Unsere Glaubwürdigkeit wird in Frage gestellt“, sagt Biermeyer zu den Missbrauchsfällen der katholischen Kirche. Er selbst habe so viel Positives erlebt und möchte das dagegenhalten – auch in schwierigen Zeiten.

Die schönsten Momente sind für ihn Taufen und Hochzeiten. Mitzuhelfen, anderen Menschen schöne Momente zu gestalten, sei toll. Wehmut, selbst nicht heiraten zu können, spüre er dabei nur manchmal.

Studie: Austritte nehmen zu, Erzbistum reagiert

41 Prozent der Katholiken in Deutschland haben schon über einen Austritt aus der Kirche nachgedacht. Das zeigt eine Studie des Sinus-Instituts im Auftrag der katholischen Kirche. 1642 Freiburger sind im vergangenen Jahr aus den Kirchen ausgetreten, berichtet das Standesamt. Das seien so viele wie nie zuvor. Das Erzbistum Freiburg reagiert auf den Wandel: Die Zahl der Pfarrgemeinden soll in den kommenden Jahren deutlich reduziert werden. Von 224 Seelsorgeeinheiten sollen noch 24 übrig bleiben.

Fotos: © tln

„Eine Priesterseminar ist eine Weggemeinschaft“