„Wir schlagen eine Brücke“: Radlager-Aktivisten suchen Platz für eine Wagenburg STADTGEPLAUDER | 30.04.2021 | Lars Nungesser
Wollen Freiraum: Radlager-AktivistenNach den Odysseen früherer Wageninitiativen herrschte jahrelang Stille um das Thema Wagenplatz in Freiburg. Jetzt weht jedoch frischer Wind durch die Szene. Laut „Gesamtkonzept bezahlbares Wohnen“ will die Verwaltung nun ausreichend Wagenstellplätze zur Verfügung stellen. Seit vergangenem Jahr mischt sich die neue Gruppe „Radlager“ ein. Ihre Idee: gemeinschaftliches Wohnen auf ungenutzten Flächen. chilli-Autor Lars Nungesser hat sich mit Basti, Lu und Peter (sie wollen öffentlich anonym bleiben und nur gemeinsam sprechen) vom Radlager getroffen und mit ihnen über Wohnraumpolitik, Luxus und Utopien gesprochen.
chilli: Warum habt ihr einen eingetragenen Verein gegründet?
Radlager: Uns ist schnell klar geworden, dass es einfacher ist, als juristische Körperschaft einen Platz zu mieten und Vertrauen zu gewinnen. Der vergangene Wagendiskurs war seitens der Stadtpolitiker·innen von viel Misstrauen geprägt. Mit dem Verein schlagen wir eine Brücke. Die Stadt hat dieses Signal aufgenommen und verstanden, dass wir reden und verhandeln wollen.
chilli: In Freiburg stehen die Chancen auf einen langfristigen Platz schlecht.
Radlager: Selbstverständlich will die Stadt lieber nach oben bauen, um den Platz effektiv zu nutzen. Wir könnten aber jetzt sofort zukünftiges Bauland bewohnen, wo etwa erst in zwei Jahren gebaut wird. So lange füllen wir diese Lücke und verhindern, dass die Fläche brach liegt.
chilli: Wie wäre es mit dem Umland?
Radlager: Die meisten von uns arbeiten oder studieren in Freiburg, gehen zur Schule oder haben ein Ehrenamt. Da muss es schon etwas sein, was gut mit S-Bahn oder Fahrrad erreichbar ist. Mit eigenen Pkws in die Stadt zu fahren, widerspricht unserem ökologischen Denken. Uns geht es ja gerade auch darum, dass unser Platz ein zugänglicher Raum wird. Wir wollen kein eigenbrötlerisches Projekt im Schwarzwald sein.
chilli: Ihr schreibt, dass ihr gemeinsam Utopie leben wollt. Was heißt das konkret?
Radlager: Wir wünschen uns einen gemeinschaftlichen Raum, der nicht so kommerziell ist wie viele andere Räume in der Stadt. Natürlich wollen wir dort leben, aber auch eine Gärtnerei, eine Werkstatt und einen Raum für Veranstaltungen erschaffen, wo Menschen, unabhängig von Geld, Kultur erleben können. Wir wollen ansozialisierte Verhaltensweisen und Rollenbilder hinterfragen und schauen, welche Bedürfnisse und Fähigkeiten wir miteinander austauschen können. Unsere Entscheidungen treffen wir basisdemokratisch, niemand wird übergangen und niemand bestimmt über andere. Außerdem wollen wir Selbstverwaltung, also nicht abhängig sein von einem Mietvertrag, der vielleicht irgendwann gekündigt wird.
chilli: Ist das Radlager Teil einer größeren Bewegung?
Radlager: Es fühlt sich eher an wie eine Szene. Einmal im Monat zeigen wir in unserem Online-Wagenkino Dokumentationen über Plätze in anderen Städten. Da sind auch Menschen von dort zu Gast, die damals bei den politischen Auseinandersetzungen mit dabei waren. Für Repressionen, wie etwa die Beschlagnahmung von Wägen, gibt es Solitöpfe, Geld, womit wir uns gegenseitig unterstützen.
chilli: Früher war die Politik in Freiburg nicht gerade zimperlich mit Wagenburgen …
Radlager: Jetzt sind die Bedingungen ganz andere. Es gibt einen neuen Oberbürgermeister, im Ordnungsamt sind Positionen neu besetzt. Früher mussten die Wägler·innen Flächen besetzen, weil die Stadt nicht mit sich verhandeln ließ. Im Vergleich dazu haben wir den Luxus, dass man mit uns redet. Einige aus dem Gemeinderat waren sogar echt positiv überrascht von uns. Wir hoffen einfach, man sieht uns nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung für diese Stadt.
Info
Rathaus will Konzept vorlegen
Sabine Recker und David Vogel vom städtischen Referat für bezahlbares Wohnen äußern sich wohlwollend gegenüber der Wageninitiative. Alternative Wohnformen und Vielfalt seien für eine Stadt wichtig, ein Wagenplatz habe deshalb eine gesellschaftspolitische Bedeutung. In Freiburg habe man aber das Problem einer großen Flächenknappheit und Wohnungsnot, die mit anderen Städten kaum vergleichbar sei. Derzeit sehe man die Möglichkeit einer langfristigen Flächennutzung für Wägen deshalb nicht. Es dürfe keine Konkurrenz zum Geschosswohnungsbau geben, ein weiterer Wagenplatz sei also definitiv eine Frage der Zwischennutzung. Ein neues Konzept soll bis Mitte des Jahres dem Gemeinderat zum Beschluss vorliegen.
Foto: © Radlager